URI: 
       # taz.de -- Personalnotstand in Niedersachsen: Celler Polizei kann nicht mehr
       
       > Nach Großeinsätzen klagen die Polizeigewerkschaften gern über
       > Personalnöte. Aber im niedersächsischen Celle scheint die Lage wirklich
       > übel.
       
   IMG Bild: Hat Helme für Polizisten, aber nicht genug Stellen: Innenminister Boris Pistoris (SPD).
       
       Göttingen taz | Der Ruf von Polizeigewerkschaften nach mehr Personal und
       weniger Belastung für die einzelnen Beamten ist an sich nichts Neues.
       Gerade nach gewaltsamen Auseinandersetzungen wie vergangene Woche beim
       G20-Gipfel in Hamburg haben solche Forderungen Konjunktur. Die drastischen
       Beispiele, mit der die Gewerkschaften jetzt eine Überlastung der
       Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Polizeidirektion (PD) Lüneburg und
       insbesondere der ihr untergeordneten Polizeiinspektion (PI) Celle
       schildern, lassen jedoch aufhorchen. Die am Rand der Lüneburger Heide
       gelegene Stadt und der Landkreis Celle sind allerdings bislang nicht als
       kriminelle Hotspots aufgefallen.
       
       Aus allen Inspektionen der PD Lüneburg gebe es Berichte, die die aktuelle
       Personalsituation „als prekär beschreiben“, erklärten die Gewerkschaft der
       Polizei (GdP), die Deutsche Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund
       (DPolG) und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Die Schichtstärken
       seien auf „ein Minimum heruntergefahren“, die Beamten führen allein zu
       Einsätzen, reguläre Streifenfahrten fänden nicht mehr statt.
       
       Weil keine Zeit für Ermittlungen sei, würden Strafsachen nur noch
       verwaltet. „Wir sind erschöpft. Es gibt keine Erholungsphasen mehr!“, heißt
       es in der Erklärung. Besonders dramatisch sei die Situation nach
       Gewerkschaftsangaben im Bereich der PI Celle.
       
       Dort seien in den vergangenen fünf Jahren 50 Stellen eingespart, die Zahl
       der Beamten somit von 320 auf 270 reduziert worden. In diesem Jahr sollen
       weitere Stellen gestrichen werden. Der Personalabbau habe „jedes
       vertretbare Maß überschritten“. Das verbliebene Personal sei überaltert:
       „In Celle ist ein Polizeibeamter im Durchschnitt knapp 48 Jahre alt, in
       einigen wesentlichen Bereichen deutlich darüber.“
       
       Vergleichszahlen werden zwar nicht genannt, doch wegen des hohen
       Altersschnitts und der hohen Belastung seien immer mehr Beamte nur
       eingeschränkt dienstfähig. „Die Krankenquote des Personalkörpers liegt in
       Celle bei mehr als elf Prozent“, so die Polizeigewerkschaften. Auch das sei
       im Vergleich zu anderen Dienststellen des Landes ein „überproportionaler“
       Wert.
       
       Andere Polizistinnen und Polizisten schleppten sich trotz Krankheit
       pflichtschuldig zum Dienst, gab die Hannoversche Allgemeine Zeitung am
       Donnerstag die Aussage eines Abteilungsleiters wieder: „Wenn das so
       weitergeht, bricht hier bald alles zusammen.“ Und Celles Oberbürgermeister
       Jörg Nigge (CDU) wird von dem Blatt mit den Worten zitiert: „Die
       Polizeibeamten gehen mitunter auf dem Zahnfleisch.“
       
       Sie sind aber offenbar dennoch arbeitsfähig, wie aus der kürzlich
       vorgestellten Kriminalstatistik 2016 der PI Celle hervorgeht. Demnach sank
       die Zahl der erfassten Straftaten deutlich. „Das Leben in Stadt und
       Landkreis Celle ist weiterhin sicher“, sagte PI-Chef Eckart Pfeiffer.
       Gleichwohl forderten die Polizeigewerkschaften in Celle die politisch
       Verantwortlichen und den Lüneburger Polizeipräsidenten Robert Kruse zum
       Handeln auf.
       
       Die sehen dafür aber keinen dringenden Bedarf. Eine Überprüfung
       verschiedener Belastungsfaktoren habe bislang keine Hinweise auf eine
       besondere Belastung der PI Celle oder eine Benachteiligung gegenüber
       anderen Polizeiinspektionen des Bezirks ergeben, so die PD.
       
       Zwar sei in Celle „unbestreitbar ein Personalrückgang zu verzeichnen“, es
       seien dort aber auch Aufgaben weggefallen – etwa der Objektschutz für den
       früheren Celler Generalstaatsanwalt und Generalbundesanwalt Harald Range.
       Neuerdings würden auch alle Notrufe der Polizeiinspektion Celle in einer
       Leitstelle Lüneburg entgegengenommen, bearbeitet und die daraus folgenden
       Einsätze disponiert. „Mit der Aufgabenverschiebung von Celle nach Lüneburg
       ist die Verschiebung der zugehörigen Dienstposten folgerichtig“,
       argumentiert die PD.
       
       Das ebenfalls angesprochene Innenministerium in Hannover zeigte sich
       „einigermaßen überrascht von der recht massiv vorgetragenen Kritik“. Und
       verwies darauf, dass die rot-grüne Landesregierung zahlreiche neue Stellen
       bei der Polizei geschaffen habe: Es gebe „so viele Polizisten wie noch nie
       im Land Niedersachsen und dies, obwohl noch eine Einsparrunde der
       Vorgängerregierung abgearbeitet werden musste“. Der Personalstand der
       Polizei in Niedersachsen sei auf einem historischen „Hoch“.
       
       Gleichzeitig kündigte das Ministerium Gespräche mit den
       Polizeigewerkschaften an. Innenminister Boris Pistorius (SPD) will bereits
       heute auf seiner Sommerreise in Celle vorbeischauen.
       
       13 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
       ## TAGS
       
   DIR Polizei
   DIR Niedersachsen
   DIR Boris Pistorius
   DIR AfD Niedersachsen
   DIR Polizei
   DIR Polizei Bremen
   DIR Schwere Waffen
   DIR Justiz
   DIR Polizeigewerkschaft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Auf Kommando der AfD: Celle rückt nach rechts
       
       Die Verwaltung der Stadt Celle unterstellt Geflüchteten, sie würden
       Herzattacken vorspielen, um Abschiebungen zu verhindern. Der Flüchtlingsrat
       nennt das Hetze.
       
   DIR Niedersächsische Polizisten bleiben zu Hause: Innenminister will nicht teilen
       
       Niedersachsens Polizisten sollen in Zukunft weniger in anderen
       Bundesländern aushelfen. Bisher sendete das Land mehr Einsatzkräfte aus als
       kamen
       
   DIR Ein Sack über dem Kopf: Hamburg rüstet nach
       
       Nach Bremen und Niedersachsen sollen nun auch in Hamburg Spuckschutzhauben
       Polizisten davor schützen, bespuckt zu werden.
       
   DIR Schleswig-Holstein setzt auf Kriegswaffen: Sturmgewehre für die Polizei
       
       Jeder Streifenwagen in Schleswig-Holstein könnte ein G36-Gewehr bekommen.
       Landesregierung will 14 Millionen in die Polizei investieren.
       
   DIR Nicht genügend Gefängniswärter: Personalnot sorgt für Unruhe
       
       In Hamburg-Billwerder können Gefangene nicht ihren Arbeitsplatz aufsuchen.
       Auch in Schleswig-Holstein protestieren Häftlinge für mehr Personal.
       
   DIR Rekordverdächtige Arbeitsbelastung: Notruf von der Polizei
       
       Bei der Bremer Polizei häufen sich die Überstunden: 30.000 mehr als im
       letzten Jahr haben sich laut Gewerkschaft bereits angehäuft.