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       # taz.de -- Intelligenz bei Raben: Protestantische Gesinnungskräher
       
       > Raben sind noch klüger als gedacht. Sie können planen und verzichten –
       > und zwar mit einer Leichtigkeit, die einer schwedischen Kleinfamilie
       > abgeht.
       
   IMG Bild: Die Statue eines Raben vor dem einstigen Wohnhaus des Schriftstellers Edgar Allan Poe
       
       Dass Rabenvögel ziemlich intelligent sind, weiß man schon lange. Dass sie
       sich auch von einer protestantischen Gesinnungsethik leiten lassen, ist
       eine neue Erkenntnis. Es geht um die Bereitschaft zum Bedürfnisaufschub,
       das heißt: um Verzicht zugunsten einer späteren – besseren – Befriedigung.
       [1][Entdeckt haben das schwedische Kolkrabenforscher] an der
       protestantischen Universität Lund.
       
       Raben und Krähen sind „Allesfresser“, im Gegensatz zu den meisten Tieren
       sind sie also nicht auf ein bestimmtes Nahrungsspektrum festgelegt, sondern
       allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, zudem werden sie sehr alt und leben
       in sozialen Verbänden, daraus resultiert ihre verblüffende Intelligenz.
       
       Speziell bei den neukaledonischen Krähen kommt noch ein besonders
       geschickter Umgang mit Werkzeug hinzu. Sie können mittels verschiedener
       Stöcker und Drähte, die sie zum Teil umbiegen, Futterstücke aus kompliziert
       verschachtelten Gefäßen angeln. Sie lernen dies bereits in ihren
       heimatlichen Wäldern, wo sie mit ähnlichen Werkzeugen Nahrung unter Rinden
       und in Erdlöchern finden.
       
       Die schwedischen Zoologen Can Kabadayi und Mathias Osvath fügten nun bei
       ihren Experimenten noch den Faktor Zeit hinzu. Die gefangenen Kolkraben
       mussten einen Stein bestimmter Größe in ein Rohr fallen lassen, woraufhin
       unten ein Stück Fleisch herauskam. Die Vögel mussten den passenden Stein
       allerdings bereits 15 Minuten vor dem Versuch aus mehreren Steinen
       auswählen – und diese Zeit des Bedürfnisaufschubs wurde von den Forschern
       dann noch auf 17 Stunden erweitert.
       
       ## Vorteil klar erkannt
       
       Als wäre das noch nicht protestantisch genug, bekamen die Kolkraben neben
       Steinen auch noch Futterstücke zur Auswahl, die weniger begehrenswert für
       sie waren als die Fleischbrocken, die sie später zur Belohnung für den
       richtigen Gebrauch der Steine erhielten. „Die Vögel mussten also
       Selbstkontrolle beweisen“, schreibt die Welt, „und das schafften sie auch.
       In drei Vierteln der Versuche verschmähten die Tiere den Schnellimbiss und
       warteten lieber geduldig auf den Festschmaus.“
       
       Der Protestantismus der Kolkraben, auch wenn er dabei nur zu 75 Prozent in
       Erscheinung trat, unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den
       schwedischen Kleinfamilienmenschen. Diese müssen ihrer Brut den
       Bedürfnisaufschub mühsam über Jahrzehnte hinweg und das täglich mehrmals
       anerziehen (wobei über 50 Prozent an der Konsumgesellschaft scheitern) und
       dürfen dabei auch vor einem gewissen Zwang nicht zurückschrecken, um
       protestantisches Langzeitdenken in ihren Kindern zu versenken („Iss nicht
       schon wieder ein Nutellabrot, Mutter kocht uns was Gutes!“ „Erst wenn du
       deine Hausaufgaben gemacht hast, darfst du raus!“ „Wenn du jetzt die Zähne
       zusammenbeißt und bis zum Abi durchhältst, hast du später weitaus bessere
       Chancen!“ und so weiter).
       
       Die Zoologen hatten es mit ihren Kolkraben, besonders mit Juno, weitaus
       leichter: Die Vögel kapierten quasi sofort, worin der Vorteil
       vorausplanenden Verhaltens bestand und dass sie damit ihre forschenden
       Gefangenschaftswärter glücklich machten, so dass diese ihre
       Versuchsergebnisse, als wären es ihre eigenen, sofort in alle
       Science-Welten hinausposaunen.
       
       Den wirklich ernsthaften Rabenforschern, wie dem Deutschen Josef Reichholf
       oder dem Amerikaner Bernd Heinrich (beide katholisch!), imponierten die
       Experimente in Lund jedoch nicht: „Ich finde es merkwürdig, dass das Leben
       an sich nicht allen Leuten beeindruckend erscheint“, meinte Letzterer.
       „Aber aus irgendeinem Grund beeindruckt sie das ‚intelligente‘ Leben. Wenn
       man das Leben insgesamt betrachtet, ist Intelligenz nur eine Borste am
       Schwein.“
       
       18 Jul 2017
       
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   DIR [1] http://science.sciencemag.org/content/357/6347/202
       
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