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       # taz.de -- Der lange Marsch: Gerechtigkeit für alle
       
       > Seit 19 Tagen marschiert die CHP für Gerechtigkeit von Ankara nach
       > Istanbul. Die prokurdische HDP besuchte den Marsch am Montag.
       
   IMG Bild: Tag 19 beim „Marsch für Gerechtigkeit: Besuch des HDP-Komitees.
       
       Es ist der 19. Tag des „Marsch für die Gerechtigkeit“. Am 15. Juni, ein Tag
       nach der Festnahme des CHP-Abgeordneten Enis Berberoglu, hat der
       Parteivorsitzende der größten Oppositionspartei der Türkei den
       Protestmarsch gestartet, der von Ankara nach Istanbul führen soll.
       Insgesamt 428 Kilometer.
       
       Und es ist kaum ein Tag vergangen, an dem Staatspräsident Erdogan und seine
       Anhänger nicht versucht haben, den Marsch zu diskreditieren. Dennoch laufen
       immer mehr Menschen mit. Am Montag sollen es fast 20.000 Tausend gewesen,
       als der Marsch in Kocaeli, 100 Kilometer östlich von Istanbul, ankam.
       
       ## Zu Terroristen erklärt
       
       „Wundert euch nicht, wenn die Justiz euch auch eines Tages vorlädt,“ sagte
       Tayyip Erdoğan schon am zweiten Tag des Protests, um die Demonstrant*innen
       einzuschüchtern. Nun legte er am Wochenende nach, indem er alle Teilnehmer
       des Marschs zu Terroristen erklärte: „Euer Weg führt nach Kandil und nach
       Pennsylvania.“ (Eine Anspielung auf die Wohnorte der Führungskader von PKK
       und Fethullah Gülen, Anm. d. Redaktion.)
       
       Auch wenn der Protestmarsch vonseiten der links-nationalistischen CHP
       gestartet wurde, so ist doch die Forderung nach Gerechtigkeit spätestens
       seit den „Nein“-Kampagnen im Vorfeld des Verfassungsreferendums das
       Bindeglied zwischen verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen.
       
       Insofern wäre es ein wichtiger Schritt gewesen, wenn auch die prokurdische
       linke Partei HDP in die Aktion integriert worden wäre. Nach Langem hin und
       her beschloss die Partei am Montag schließlich den Marsch zu besuchen.
       
       ## Marschroute nicht verlängert
       
       „Die Gerechtigkeit nur für sich selbst einzufordern, ist falsch. Wenn der
       Marsch bis Edirne verlängert wird, dann erst nehmen wir die Forderung nach
       Gerechtigkeit ernst und laufen mit“, hatte HDP-Abgeordnete Pervin Buldan im
       Vorfeld erklärt. Sie bezieht sich damit auf das Unrecht gegen
       HDP-Kovorsitzenden Selahattin Demirtas, der seit November in Edirne
       inhaftiert ist, rund 250 Kilometer westlich von Istanbul.
       
       Einer Verlängerung der Marschroute nach Edirne stimmte die CHP jedoch nicht
       zu. Daraufhin erklärte der sich derzeit in Haft befinde Demirtas mittels
       Ahmet Yıldırım, eines HDP-Abgeordneten, dass es nicht notwendig sei, bis
       nach Edirne zu marschieren und dass der Marsch das Ziel haben solle, alle
       oppositionellen Spektren zu vereinigen.
       
       Nicht wenige Mitglieder der CHP fürchten nämlich, dass es ihrem Anliegen
       schaden würde, wenn die HDP sich am Marsch beteiligt. Nicht nur, weil die
       HDP von der Regierung als verlängerter Arm der bewaffneten kurdischen
       Arbeiterpartei PKK gesehen wird.
       
       Auch innerhalb der CHP, die neben ihrem sozialdemokratischen Profil auch
       für eine streng nationalistische Linie steht, gibt es genügend Personen,
       die aus Prinzip nicht mit HDP-Mitgliedern Seite an Seite stehen wollen.
       CHP-Vorsitzender Kemal Kılıçdaroğlu erklärte lediglich, wer mitlaufen
       wolle, solle seine Parteizugehörigkeit beiseite legen. Schließlich würde er
       bei diesem Marsch auch keine CHP-Fahnen schwenken. Es gehe um
       Gerechtigkeit, und diese stünde allen Menschen zu.
       
       ## „Wir müssen an einen Punkt kommen“
       
       Schließlich kam ein Komitee der HDP am Montag nach Kocaeli, darunter die
       neue Kovorsitzende Serpil Kemalbay, die stellvertretenden Kovorsitzenden
       Saruhan Oluç und Sezai Temelli, sowie die Parteimitglieder Beyza Üstün,
       Murat Mıhçı und die HDP-Abgeordneten Ahmet Yıldırım Celal Doğan, Erol Dora,
       Ertuğrul Kürkçü, Feleknas Uca, Mithat Sancar und der Kobürgermeister der
       kurdischen Stadt Mardin, Ahmet Türk.
       
       Erst versuchten sie ihre ehemalige Kovorsitzende Figen Yüksekdag in der
       nahe gelegenen Haftanstalt Kandıra zu besuchen und dort eine
       Pressemitteilung zu verlesen, was ihnen von den Sicherheitskräften verboten
       wurde, “wegen des Ausnahmezustands“.
       
       Daraufhin empfing das HDP-Komitee die CHPler in den vorderen Reihen des
       Marschs, mit Schildern, die die Aufschrift „Gerechtigkeit für alle“ trugen.
       Nachdem Kilicdaroglu das HDP-Komitee begrüßte überreichten dieses ihm
       Blumen. Beide Gruppen liefen dann gemeinsam eine kurze Strecke. Nach dem
       kurzen, symbolischen Marsch verabschiedete sich das HDP-Komitee, um eine
       Presserklärung zu geben.
       
       Ahmet Türk sprach zum Schluss: „Wenn den Kurden keine demokratischen
       Bedingungen garantiert werden, ist die Forderung nach Gerechtigkeit
       mangelhaft. Wir müssen an einen Punkt kommen, an dem keiner mehr
       ausgeschlossen wird.“
       
       3 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ali Celikkan
   DIR Ali Çelikkan
       
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