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       # taz.de -- Debütalbum von Chansonstar Fishbach: Ich ist eine andere
       
       > In Frankreich ist die gelernte Schuhverkäuferin Flora Fishbach bereits
       > ein Star. Mit ihrem Debütalbum, „À ta merci“ kommt sie nun nach
       > Deutschland.
       
   IMG Bild: Düsterrock ist auch cool: Fishbach
       
       Wenn man den Huldigungen folgt, die seit einiger Zeit in der französischen
       Presse über Sängerin Flora Fischbach alias Fishbach zu lesen sind, könnte
       man meinen, einen Hauch Sehnsucht zu verspüren; fast schon verzweifelt
       wirkt die Kritik, denn die Angst geht um, dass charismatische französische
       Sängerinnen eine vom Aussterben bedrohte Spezies sein könnten. Je
       überschwänglicher die Kritiken ausfallen, desto abwegiger sind die
       Referenzen. Fishbachs raue und zugleich klangvolle Stimme wird zumeist mit
       den Gesangsorganen von Berühmtheiten aus den 1980ern verglichen – ob Frauen
       oder Männer, ob Indie-Pop oder Mainstream.
       
       Die so Belobigte selbst findet die Elogen halb so wild, oft seien
       KünstlerInnen, mit denen sie verglichen wird, tatsächlich solche, die sie
       auch schätze, erklärt die 25-Jährige im Interview mit der taz. Oder es
       seien welche, die sie noch nicht kannte und dadurch erst für sich entdecke.
       
       Wie zum Beispiel Catherine Ringer von Les Rita Mitsouko. „Wenn die Sprache
       auf Musik fällt, die weithin unbekannt ist, werden Vergleiche notwendig“,
       fährt sie diplomatisch fort. „Ein paar Bezugspunkte müssen schon sein, und
       eines Tages wird man sicherlich von meinem spezifischen Fishbach-Sound
       sprechen.“
       
       ## Berechtigter Hype
       
       Bemerkenswert bleibt dabei vor allem, wie die Vergleiche von einer Kritik
       zur nächsten abweichen. Zwischen der kanadischen Popdiva Mylène Farmer und
       dem britischen Postpunk-Sänger Ian Curtis liegen ästhetische Welten. Gründe
       für die unterschiedlichen Referenzen und den berechtigten Hype um Flora
       Fishbach werden sofort ersichtlich, wenn man ihr Debütalbum, „À ta merci“
       (Dir Ausgeliefert), hört, das vor Kurzen nun auch hierzulande
       veröffentlicht wurde: Tatsächlich begegnet der Hörerin darauf ein Reigen an
       eingängigen Melodien, elastischen Klängen und synthetischen Arrangements,
       wie sie im französischen Pop der Achtziger typisch waren. Fishbach legt
       eine düster rockistische Haltung an den Tag, aber verkörpert auch
       theatralische Emphase, wie sie typisch ist für „Variété“, jener oftmals als
       leicht verdaulich belächelten Sparte der Chanson française.
       
       Aber die junge Künstlerin ruht sich nicht auf den Schultern ihrer Vorbilder
       aus. Sie macht absolut eigenwillige Musik: „À ta merci“ hat einige Songs,
       in deren flottes Tempo man sich sofort verlieben kann, andere Stücke
       wiederum klingen sperriger, sind weniger leicht zugänglich produziert: Vor
       lauter Echo- und Halleffekten weiß man gar nicht, wohin mit der
       Ergriffenheit. Generell aber lässt einen Fishbachs Vortrag nie
       gleichgültig. Denn sie stellt ihr zweifelsohne vorhandenes Talent auf
       unaufdringliche Weise zur Schau.
       
       Geboren wurde die Tochter eines Lkw-Fahrers und einer Krankenschwester in
       Dieppe am Ärmelkanal. Dann zog die Familie in die Ardennen, wo sie
       ursprünglich auch herkam. Fortan wuchs Flora Fishbach in
       Charleville-Mézières auf: „Es ist eine etwas mysteriöse, aber reizende
       Stadt, in der die Zeit stehen geblieben scheint“, beschreibt sie ihre alte
       Heimat. Immerhin ist die Kleinstadt auch Geburtsort von Arthur Rimbaud.
       
       ## Rimbauds Grab
       
       Am Grab des verfemten Dichters kam zum Beispiel regelmäßig US-Punkikone
       Patti Smith vorbei und spielte dann spontane Gedenkkonzerte. Das Gedöns um
       den symbolistischen Poeten verstand Fishbach trotzdem nie: „Rimbaud hat
       doch die Stadt gehasst!“ An einem Gebäude prangte sein überlebensgroßes
       Porträt, erinnert sie sich. Davor hatte sie als Kind große Angst. Seitdem
       ist Rimbaud für sie gleichbedeutend mit „furchterregender Fratze.
       Inzwischen mag ich ihn ja“, gibt sie zu. „Wenn ich mit ihm eines gemeinsam
       hatte in meiner Jugend, dann, dass ich nicht mochte, was man mir vorgesetzt
       hat. Ich wollte auch nicht lernen, was man mir in der Schule aufzwang.“
       
       Folgerichtig brach Fishbach die Schule mit 15 ab – aus schierer Langeweile:
       „Paradox, aber wahr; tat ich meiner Hirnfunktion zuliebe. Ich wollte
       kreativ sein, intellektuell stimulierende Sachen machen.“ Diese Einsicht
       führte zunächst zu einem Job als Schuhverkäuferin. Danach bewarb sich
       Fishbach auf gut Glück als Sportfotografin bei der Lokalzeitung. Zwei Jahre
       lang knipste sie Bilder von GymniasastInnen bei Schulolympiaden, bis sie
       schließlich eine Kehrtwende schaffte: Mit einem Freund gründete sie das
       Punkduo Most Agadn’t.
       
       Er spielte Gitarre und brachte sich DIY Schlagzeug bei. Sie tobte sich auf
       ihrem gebrauchten, von den Eltern geschenkten Yamaha DX-7-Keyboard aus. Die
       Proben fanden in einer ehemaligen, von Punks und Metalheads besetzten
       Kaserne statt. „Ziemlich bald traten wir live auf, wobei unsere Musik alles
       andere als durchdacht war. Sie war eher Ventil für unsere Wut.“ Nach vier
       Jahren trennten sich die Wege der beiden. „Mir blieb minimales Werkzeug –
       lediglich ein iPad, um Songs zu komponieren – und das Bedürfnis, die Sache
       intimer anzugehen.“ Nach einer Weile des Werkelns im Schlafzimmer verfügte
       Fishbach über ein eigenes kleines Repertoire.
       
       „Hey, Flora, machst du noch Musik?“, wurde sie hin und wieder gefragt. 2013
       war es dann so weit und sie betrat wieder eine Bühne; solo, zunächst in
       Nordfrankreich, dann im benachbarten Département der Marne, schließlich
       auch in Paris. Dort wurde das auf frankophone Chansons spezialisierte Label
       Entreprise auf sie aufmerksam – und nahm sie sofort unter Vertrag. Ab da
       lief es rund: Eine erste, schlicht „Fishbach“ betitelte EP erschien 2015.
       
       Im Jahr darauf wurde sie zum Musikfestival „Printemps de Bourges“ südlich
       von Paris eingeladen, das sich als Sprungbrett für Newcomer etabliert hat
       und Fishbach umgehend einen Preis verlieh. Es folgte eine Künstlerresidenz
       beim Festival Transmusicales in der Bretagne im letzten Herbst: Fishbach
       spielte fünf Livekonzerte hintereinander. Publikum und Presse lagen ihr zu
       Füßen.
       
       ## Liebe in Zeiten von Ruhm
       
       Was geht in einer jungen Künstlerin vor, wenn der Erfolg quasi über Nacht
       einsetzt? Ihr Song „Mortel“ (Sterblich) von ihrem Debütalbum ließe sich so
       interpretieren, dass er von einem Fan und seinem Idol erzählt. Der Star
       erstrahlt hell, der Fan sieht nur das Licht, ist geblendet und übersieht
       (oder ignoriert) die Risse in der Fassade. Daher ist der Fan dem Star
       leichte Beute, aber die Konsequenzen der Oberflächlichkeit beider sind
       dramatisch. Ob Ruhm und Liebe sich gut vertragen? „Danke, mir geht’s
       blendend“, entgegnet Fishbach. Und der Song sei uralt, den habe sie
       komponiert, lange bevor sie Erfolg, geschweige denn Fans hatte. Für ihr
       Publikum habe das Lied sowieso eine andere Bedeutung, erzählt sie, „das hat
       sich den Text nach den Terroranschlägen zu eigen gemacht“. Für ihre Fans
       handelt das Lied von blindwütig um sich schießenden Attentätern. „Meine
       Songs lassen Raum für unterschiedliche Interpretationen. Mir gefällt das
       sehr.“ Dabei ist Fishbachs Musik stets persönlich und basiert auf ihren
       eigenen Erfahrungen; mal handeln die Texte vom Meer, mal von Endlichkeit
       des Lebens, und so gut wie immer spielt Liebe eine Rolle.
       
       Die ProtagonistInnen ihrer Songs sind meistens ein schlichtes Du und Ich,
       deren Beziehungen von Unvereinbarkeit, kollidierenden Überzeugungen und
       zerstörerischen Verflechtungen unterlaufen werden. „Ich mache Krieg, habe
       meine Gründe“, singt sie in „Y crois-tu“ (Glaubst du dran), in „Un autre
       que moi“ (Ein anderer als ich) gibt sie sich kämpferisch: „Fixer Blick/ zur
       Rauferei bereit“, heißt es da. Liebe ist ein Herd von Konflikten. Der
       Alltag ist generell umkämpft.
       
       „Kommt ganz darauf an“, erklärt Fishbach, „es geht nicht die ganze Zeit um
       Zoff .“ Nach kurzer Denkpause fängt sie sich wieder. „Andere nehmen ihr
       Leben vielleicht leichter als ich. Aber meine Aggressionen und meine Wut
       münze ich immer zu neuen Songs um.“ Und es stimmt: Bei ihrem Debüt
       entschied sich Fishbach intuitiv für den glaubwürdigen, wenngleich
       strapaziösen Weg, ihre Emotionen einzusetzen. Zu diesem Weg steht Fishbach
       voll und ganz. Gut so.
       
       8 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elise Graton
       
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