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       # taz.de -- Eklat bei Frankfurter Vorlesung: Reaktionäre Abgründe der Poetik
       
       > Blech reden und schummeln: Der Autor Michael Kleeberg äußert abfällig
       > sich über Zuwanderung, will dann aber nicht mehr dazu stehen.
       
   IMG Bild: In luftigen Höhen thront das stolze deutsche Gedankengut
       
       Die diesjährigen Poetik-Vorlesungen in Frankfurt am Main bestritt der
       Schriftsteller Michael Kleeberg. Die Veranstaltung verlief glatt bis zur
       dritten Vorlesung, als der Autor mit der Attitüde des Meinungslosen zum
       Zweihänder griff – „man wird ja wohl noch sagen dürfen“.
       
       Kleeberg verhedderte sich in Konfusionen, was Susanne Komfort-Hein, die
       Geschäftsführerin der Frankfurter Poetikvorlesungen, zu einem
       ungewöhnlichen Schritt veranlasste. Zu Beginn der vierten Vorlesung verlas
       sie eine Stellungnahme, in der sie klarstellte, dass Institutionen wie die
       Universität eine Verantwortung dafür tragen, wie die Meinungsfreiheit
       innerhalb ihrer Mauern ausgeübt wird. Sie distanzierte sich vom inneren
       Ringen des Staatsbürgers Kleeberg mit dem Autor Kleeberg, das für den
       Staatsbürger dramatisch endet – mit dem „Aufeinandertreffen einer
       Mehrheitsidentität, die sich auflösen, mit einer Minderheitsidentität, die
       sich durchsetzen will“. Den Autor Kleeberg beschäftigt derweil das
       Schicksal der Einzelnen, denn „der einzelne Mensch ist nie falsch“.
       
       Am Mittwochabend sollten im Frankfurter Literaturhaus die Probleme
       diskutiert werden zwischen Armina Omerika, Juniorprofessorin für
       Ideengeschichte des Islam, Germanistikprofessor Heinz Drügh und Kleeberg
       selbst. Drügh las Kleeberg tapfer eine fast wörtliche Paraphrase des
       umstrittenen Zitats vor, das Susanne Komfort-Hein zu ihrer Distanzierung
       motivierte. Kleeberg ging nicht darauf ein, sondern redete leutselig über
       „isolierte Zitate“ sowie Aus- und Einwanderung im Allgemeinen und eine
       geglückte Vermischung der Kulturen in Frankreich. Das bescheinigt dem
       Schriftsteller, der 14 Jahre in Frankreich lebte, eine sehr begrenzte
       Fähigkeit, soziale Realitäten wahrzunehmen.
       
       Die FAZ druckte am Mittwoch ein [1][Interview von Andreas Platthaus] mit
       Kleeberg. Darin geht es um Kleebergs neuen Roman, die Distanzierung von
       Susanne Komfort-Hein und Meinungen überhaupt. Kein Wort fiel zu den
       Fantasien des Staatsbürgers Kleeberg über „Mehrheits- und
       Minderheitsidentität“. Auf Nachfrage der taz beteuerte FAZ-Redakteur
       Platthaus, dass der umstrittene Satz in Kleebergs dritter Vorlesung, die
       ihm zur Vorbereitung des Interviews schriftlich vorlag, nicht enthalten
       war. Kleeberg räumt auf Nachfrage die Existenz verschiedener Versionen der
       Vorlesung ein.
       
       ## Die entscheidende Stelle
       
       Ein starkes Stück. Denn wer Einsicht in das Manuskript der dritten
       Vorlesung nimmt, merkt schnell, dass das umstrittene Zitat darin vorhanden
       ist und keineswegs aus dem Zusammenhang gerissen wurde.
       
       Vollständig lautet der Satz des Meinungsathleten Kleeberg, der seine
       törichte Meinung jetzt vergessen machen möchte: „Das Aufeinandertreffen
       einer Mehrheitsidentität, die sich auflösen, mit einer
       Minderheitsidentität, die sich durchsetzen will, ist keine gute
       Voraussetzung für die Integration von Zuwanderung in einem
       Einwanderungsland.“ Auch die Video-Aufnahmen könnten belegen, dass Kleeberg
       schummelt. Aber nach Auskunft der Uni-Pressestelle gibt er sie nicht frei.
       
       Kleeberg gleicht in seinem Verhalten Martin Walser, der seit Jahren von der
       Idée fixe besessen ist, keine Meinung zu vertreten, sondern „nur“ sein
       reiches Innenleben öffentlich zu machen. Er verteidigt sich dabei mit dem
       Hinweis, keine Meinung zu vertreten. Als ob die Einbildung, keine Meinung
       zu haben, nicht eine besonders verbohrte Meinung wäre.
       
       6 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/michael-kleeberg-spricht-ueber-die-poetikvorlesung-in-frankfurt-15091015.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Walther
       
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