URI: 
       # taz.de -- Geplante Justizreform in Polen: Ein Präsident verteidigt seinen Posten
       
       > Polens Staatsoberhaupt will die umstrittene Justizreform nicht absegnen.
       > Er legt einen eigenen Gesetzentwurf vor. Auch dieser ist
       > verfassungswidrig.
       
   IMG Bild: Am Dienstag vor dem Präsidentenpalast in Warschau: Protest gegen die Pläne der Regierung
       
       Warschau taz | Wie gewaltige Beerdigungszüge wirken die jüngsten
       Massendemonstrationen in Polen. Über 10.000 Menschen zünden am Montagabend
       Grabkerzen vor dem Obersten Gericht in Warschau an. In den Händen tragen
       sie weiße langstielige Rosen zum Zeichen der Trauer und des Protests gegen
       den Rückbau von Demokratie und Rechtsstaat.
       
       Am Tag darauf gehen wieder Zehntausende auf die Straße – in Warschau vor
       dem Präsidentenpalast, in Krakau, Danzig, Stettin, Lublin, Lodz, Posen und
       anderen Städten vor den Gerichten. Flackernde weiße Kerzen überall und die
       weißen Rosen des Widerstands.
       
       Im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, liefern sich zur selben Zeit die
       Abgeordneten der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und
       Gerechtigkeit (PiS) und der Oppositionsparteien Bürgerplattform (PO) und
       Nowoczesna (Die Moderne) tumultartige Szenen. Der Streit ist existenziell:
       Es geht um Sein oder Nichtsein der polnischen Demokratie.
       
       Seit ihrem Regierungsantritt Ende 2015 baut die PiS in atemberaubenden
       Tempo den Rechtsstaat in einen zentralistischen Einparteienstaat um. Zwar
       hatte Parteichef Jarosław Kaczyński die Abschaffung der von ihm verhassten
       III. Republik schon lange angekündigt – doch ernst genommen hatte ihn nur
       eine kleiner Schar Getreuer.
       
       Von 2006 bis 2007 führte Kaczyński selbst als Premier eine
       Koalitionsregierung. Doch nach nur einem Jahr stand er vor den Trümmern
       seiner intrigenreichen Politik, musste Neuwahlen ausrufen und verlor sie
       katastrophal. Alle, die glaubten, dass ihm diese ein Lehre war und er wie
       auch die PiS sich geändert hätten, wachen nun in einer bösen Realität auf.
       
       ## Ziel der Gesetzesattacken ist das Oberste Gericht
       
       Nach der Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien, der
       Geheimdienste, der Polizei, der Armee und des bislang hoch angesehenen
       Verfassungsgerichts soll nun mit drei Gesetzen der bisherige Rechtsstaat
       aus den Angeln gehoben werden. Ziel der Gesetzesattacken sind das Oberste
       Gericht, das Urteile in letzter Instanz fällt, aber auch darüber
       entscheidet, ob Wahlen und Referenden gültig oder ungültig sind.
       
       Zudem führt es die Aufsicht über alle ordentlichen und Militärgerichte. Mit
       zwei neuen PiS-Gesetzen soll das heutige Oberste Gericht liquidiert und
       dann mit Richtern, die Justizminister Zbigniew Ziobro ernennen würde, neu
       gegründet werden. Zunächst sollen alle Richter in den Ruhestand versetzt
       werden.
       
       Da bislang der Landesjustizrat über die Unabhängigkeit der Justiz wacht und
       die Richter im ganzen Land ernennt, soll nun auch dieses Verfassungsorgan
       mit einem PiS-Gesetz gleichgeschaltet werden. Minister Ziobro, der nach
       einem Jurastudium die Prüfung als Staatsanwalt bestand, dann aber nie bei
       Gericht arbeitete, bezeichnete die 15 Richter im Landesjustizrat als
       „Augiasstall“, den er und die PiS nun „ausmisten“ würden.
       
       Sein Vorwurf: Der Rat entscheide allein über die Richterbesetzungen im
       Land, angeblich – so der 46-Jährige – „wie eine Korporation“ oder „wie eine
       Kaste mit eigenen Privilegien“. Die PiS hingegen werde „dem Volk“ die
       Gerichte zurückgeben. Da die PiS mit „Volk“ sich selbst meint, ist dies nur
       als Verballhornung für „Wir schaffen eine politische Justiz“ zu verstehen.
       
       ## Schlechter Ruf des Präsidenten
       
       Präsident Andrzej Duda, der bislang die Richter auf Vorschlag des
       Landesjustizrats vereidigt, sieht sich durch das neue Gesetz
       marginalisiert. Schon jetzt leidet er unter dem Ruf, eine Marionette des
       PiS-Vorsitzenden Kaczyński zu sein, schlimmer noch: dessen
       „Kugelschreiber“, der skrupellos auch verfassungswidrige Gesetze
       unterschreibt. Durch das neue Gesetz sieht Duda nun plötzlich seine letzten
       Felle davonschwimmen.
       
       Würde demnächst der Justizminister die Richter ernennen, was wäre dann
       seine Aufgabe? Wo wäre sein politischer Einfluss? Dem Justizminister bei
       Hunderten von Richterneu-Besetzungen auch nur ein paar Dutzend abzuschlagen
       wäre unmöglich. Das Gleiche gilt für einen von der PiS dominierten
       Landesjustizrat, wie ihn das zweite Gesetze vorsieht.
       
       Also drohte Duda am Dienstag damit, das PiS-Gesetz über das Oberste Gericht
       nicht zu unterschreiben, sollte nicht sein eigener Gesetzesvorschlag über
       den Landesjustizrat angenommen werden. Anders als im PiS-Entwurf sollen die
       Abgeordneten die neuen Richter nicht mit einfacher Mehrheit wählen können,
       sondern nur mit einer 3/5-Mehrheit. Dies soll angeblich garantieren, dass
       die neuen Richter nicht alle PiS-Gefolgsleute wären, sondern überparteilich
       gewählt würden.
       
       Das Problem: Auch dieses Gesetz wäre verfassungswidrig. Laut Polens
       Verfassung sollen Politiker keine Richter wählen, weder mit einfacher noch
       mit 3/5-Mehrheit. Die Präsidentenvorlage, die von der PiS intern schon
       akzeptiert wurde, sorgt nur dafür, dass der Präsident demnächst bei der
       Richterbestellung ein Wörtchen mitzureden hat und das Ganze nach außen hin
       ein bisschen demokratischer aussieht.
       
       Ziobro wiederum machte von sich aus einen Rückzieher. Er will nun nicht
       mehr – wie in einem dritten, ebenfalls verfassungswidrigen Gesetz
       vorgesehen – die Richter des Obersten Gerichts ernennen, sondern dies dem
       Landesjustizrat und dem Präsidenten überlassen.
       
       Während die Oppositionellen im Parlament und auf der Straße noch darüber
       rätselten, ob die Massenproteste vielleicht doch Erfolg hatten und den
       Präsidenten auf Gegenkurs zur PiS brachten, stürmte im Sejm gegen zwei Uhr
       nachts Jarosław Kaczyński die Rednerbühne und ließ seinen Gefühlen freien
       Lauf.
       
       Es war ein Hassausbruch, der den gesamten Staatsumbau als riesigen
       Rachefeldzug eines einzigen Mannes dastehen lässt. Knallrot im Gesicht,
       brüllte der PIS-Chef: „Ich weiß, ihr wollt die Wahrheit nicht wissen. Aber
       wischt euch nicht eure Verrätermäuler am Namen meines Bruders ab – Gott hab
       ihn selig. Ihr habt ihn zerstört! Ihr habt ihn ermordet! Ihr seid
       Kanaillen!“ Die Oppositionelle, die gegen den Vorwurf protestieren wollte,
       blaffte Kaczyński an: „Hau ab! Hau bloß ab!“
       
       19 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
       ## TAGS
       
   DIR Polen
   DIR Rechtsstaatlichkeit
   DIR Andrzej Duda
   DIR PiS
   DIR Polen
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Polen
   DIR Bialowieza
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Justizreform in Polen: Demos und Ärger mit der EU
       
       Tausende gehen in Polen gegen die Justizreform auf die Straße. Gefährdet
       ist auch die Zusammenarbeit mit der EU. Nun hat Präsident Andrzej Duda
       reagiert.
       
   DIR Rechter Nachrichtenchef in Polen: Wildsteins Zeit ist gekommen
       
       Eine Gruppe junger rechtsgesinnter Journalisten steigt mit den
       Rechtspopulisten in Polen auf. Inzwischen besetzen sie Schlüsselpositionen.
       
   DIR Demo gegen Justizreform in Polen: „Wir müssen die Gerichte verteidigen“
       
       Zehntausende Menschen sind in Warschau gegen die umstrittene Justizreform
       auf die Straße gegangen. Sie fordern ein Veto des Präsidenten.
       
   DIR Umstrittene Justizreform in Polen: Parlament nickt Gesetz ab
       
       Das polnische Unterhaus hat den Entwurf verabschiedet, der die
       Unabhängigkeit der Justiz beschneidet. Die EU hatte zuvor mit Sanktionen
       gedroht.
       
   DIR Kommentar Rechtsstaatlichkeit: Polen im Rückwärtsgang
       
       Polens Präsident Andrzej Duda strebt wie die PiS die Aufhebung der
       Gewaltenteilung an. Dabei soll er die Verfassung eigentlich schützen.
       
   DIR Umstrittene Justizreform in Polen: Die EU droht mit Sanktionen
       
       Polen solle die umstrittene Justizreform aussetzen, fordert die
       EU-Kommission. Sie befürchtet „negative Konsequenzen“ für die
       Rechtsstaatlichkeit.
       
   DIR Kommentar Rechtsstaat in Polen: Strauchelnde Demokratie
       
       Polens Regierungspartei will die Gewaltenteilung abschaffen. Bleibt nur zu
       hoffen, dass Präsident Duda Vernunft zeigt.
       
   DIR Abholzung im Białowieża-Nationalpark: EU verklagt Polen
       
       Das Abholzen im Nationalpark muss sofort aufhören, erklärt die
       EU-Kommission. Sie zieht gegen das Land vor den Europäischen Gerichtshof.