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       # taz.de -- Kolumne Mein Leben mit der Ökobilanz: Die kleine Notlüge
       
       > So eine Mikrowelle ist ein echtes Ökowunder. Aber eben auch so hässlich,
       > dass mir im Kampf gegen die Anschaffung jedes Mittel recht ist.
       
   IMG Bild: Als Briefkasten geht die doch noch?
       
       Seit meine Frau das mit der Mikrowelle herausgefunden hat, muss ich im
       Gästezimmer schlafen. „Du lügst und schwindelst“, schimpft sie. Meine Frau
       will eine Mikrowelle. Öbi will auch eine. Denn eine Mikrowelle ist ein
       echtes Ökowunder. Aber ich will keine! Weil Mikrowellen hässlich sind.
       
       Mit meiner kleinen Unehrlichkeit wollte ich verhindern, dass Öbi und meine
       Frau miteinander reden – am Ende über Mikrowellen. Jetzt geht es für mich
       nur noch darum, möglichst glimpflich aus der Sache rauszukommen. „Notlüge“,
       stammle ich also versuchsweise. „Bledsinn! Da wär’ ich rüchtüch fuchtig bei
       so ’n Balaber.“ Wenn meine Frau sauer ist, kommen ihre
       erzgebirgsvorländischen Wurzeln durch. Ich versteh kein Sächsisch. Aber der
       Ton macht schon die Musik.
       
       Was da los war? Schuld ist Öbi. Sie hat getan, womit ich nicht rechnen
       konnte. Normalerweise ignoriert sie meine Frau, obwohl wir auf engstem Raum
       leben, und Öbi, die Ökobilanz, ihren missionarischen Eifer kaum zügeln
       kann. Sie findet immer etwas an dem, was wir tun, das die Erde dem Abgrund
       einen Schritt näherbringt. Arme Öbi: Sie sieht meist aus, als habe sie
       Essig getrunken.
       
       Meine Frau nervt das. Manchmal ruft sie morgens „ich nehme heute das Auto“
       und bringt unsere Tochter dann trotzdem wie immer mit dem Rad in den
       Kinderladen. Nur um Öbi zu ärgern. Darum war ich eigentlich sicher, dass
       Öbi und Katharina – meine Frau – nicht dahinterkommen würden. Ich fand
       meine Notlüge legitim. Meine Frau nicht.
       
       ## Tot ist man am umweltfreundlichsten
       
       „Katharina“, sagte Öbi, nachdem ich mit unseren Jungs zur Schule
       aufgebrochen war. „Was macht ihr denn eigentlich in den Ferien?“ Meine Frau
       wird sich gewundert haben, denn normalerweise liegt Öbi morgens auf dem
       Sofa und beginnt den ökologisch korrekten Tag damit, nichts zu machen. Sie
       hat mir vorgerechnet, dass das ganze Problem damit losgeht, dass Leute was
       machen. Irgendwas. Egal was. „Wenn man nichts macht, macht man am wenigsten
       falsch.“
       
       Sie denkt oft nach, wie sie sich möglichst umweltfreundlich von der Welt
       verabschieden könnte. Es geht dann um kaltes Wasser, Pappsärge und einen
       Bestatter mit Fahrradanhänger für Leichen. Sie tut es dann doch nicht.
       Nicht, dass ich auf ihr Ableben spekulieren würden. Ich liebe Öbi, ich kann
       nicht leben ohne sie. Aber ich denke: Wäre sie konsequent, wäre sie tot.
       
       Dann rückte sie damit raus: „Wenn ich euch fünf und den Mitbewohner richtig
       erziehe, kann ich vielleicht so viel CO2 vermeiden, dass ich meine
       Emissionen wieder reinhole.“ Seitdem passe ich auf, dass Öbi bei uns immer
       wieder was zum Verbessern findet.
       
       „Na, wir fahren auf diese Hütte in den Alpen“, sagte meine Frau. Wir planen
       nämlich die Super-Öko-Ferien bei einem Freund, der seit 30 Jahren so lebt
       wie 1850 – vor der Erfindung von elektrischem Strom und Dampfmaschine, die
       er für die Ursache allen Schlamassels hält. Die Hütte ist in Wahrheit ein
       Unterstand aus lose geschichteten Steinen, durch die der Wind pfeift.
       „Alles da, was man braucht“, hat mir der Freund versichert. „Und wenn noch
       eine Unterlage fehlt, holen wir Laub aus dem Wald.“ Da kann Öbi wenig
       meckern.
       
       ## Das Auto ist nicht zu rechtfertigen
       
       Der kritische Punkt ist die Anreise. Mit dem Auto. Dessen Ökobilanz ist
       bekanntlich spätestens nicht mehr zu rechtfertigen, seit die Bahn mit
       Öko-Strom fährt. Zumindest für uns Bahncardbesitzer. Meine Frau war sich
       darum sicher, dass es jetzt um die Ökobilanz der Bahn gehen würde. Aber Öbi
       ging einfach über die Sommerferien hinweg: „Ah, das ist ja schön. Und was
       macht ihr im Winter?“ „Keine Ahnung, wir haben noch nichts geplant“, sagte
       meine Frau wahrheitsgemäß. Öbi säuselte harmlos: „Und deine Idee mit
       Südafrika?“
       
       Am Ende musste ich alles gestehen. Dass ich mir das mit Südafrika nur
       ausgedacht hatte. Dass ich natürlich niemals glauben würde, dass meine Frau
       so unsensibel wäre, unsere Ökobilanz mit einem Flug für fünf Personen nach
       Südafrika praktisch für immer zu ruinieren. Und dass ich das nur gesagt
       hatte, damit Öbi und Katharina nicht miteinander reden. Vor allem nicht
       über die Mikrowelle.
       
       Im Kampf gegen die Mikrowelle ist mir jedes Mittel recht.
       
       22 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marcus Franken
       
       ## TAGS
       
   DIR Umweltschutz
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   DIR tazlab 2012: „Das gute Leben“
       
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