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       # taz.de -- Wissenschaftskritik im Internet: Elefanten im Labor
       
       > Wissenschaftler beleuchten ihre Zunft: Ein Webblog aus Berlin beschäftigt
       > sich mit fragwürdigen Entwicklungen in der Forschung.
       
   IMG Bild: Ein „dickes Fell“ hilft, wenn man sich kritisch mit der Wissenschafts-Community auseinandersetzt
       
       Berlin taz | Der Elefant im Porzellanladen ist bekannt – ein
       rücksichtsloser Zeitgenosse. Vom „Elefanten im Raum“ ist dann die Rede,
       wenn ein dominanter Störenfried adressiert werden soll, von dem alle
       wissen, dessen Namen aber keiner auszusprechen wagt. Diesen virtuellen
       Problem-Elefanten hat jetzt eine Gruppe junger Berliner
       Sozialwissenschaftler ins Internetlabor geholt, um genau das zu tun: Ihr
       Webblog „Elefant im Labor“ [1][(www.elephantinthelab.org)] spricht die
       großen systemischen Probleme an, die der wissenschaftlichen Forschung zu
       schaffen machen, die aber bislang lieber unter den Teppich gekehrt werden.
       
       „Wir sind von Wissenschaft begeistert und machen deshalb darüber einen
       Blog“, heißt es auf der Webseite. „Aber wir wollen nicht die neuesten
       Ergebnisse der Teilchenphysik oder Essays über Luhmanns Systemtheorie
       veröffentlichen, sondern uns geht es um die Probleme in der Wissenschaft,
       die jeder sieht, aber über die niemand spricht“.
       
       Als Beispiele werden genannt: das Journalsystem der wissenschaftlichen
       Publikationen, die „Idiotie“ der Autorenschaft, die Zitationskartelle, die
       Karrierechancen von jungen Wissenschaftlern und die Aufstiegsmöglichkeiten
       von Frauen.
       
       Das Ziel der Autoren von elephantinthelab.org ist es, die unausgesprochenen
       Probleme der Wissenschaft in wechselnden Dossiers zu diskutieren. „Es gibt
       Bedarf, die Elefanten im Raum deutlicher anzusprechen“, sagt Benedikt
       Fecher, Programmleiter am Alexander von Humboldt Institut für Internet und
       Gesellschaft (HIIG) und Mitgründer des Blogs.
       
       ## Der Gesellschaft dienen
       
       „Nur so kann Wissenschaft mit den digitalen Entwicklungen mithalten und als
       informierter Partner für die Gesellschaft dienen.“ Neben Fecher sind
       Christian Kobsda und Martin Schmidt weitere Gründer des Blogs. Alle drei
       sind am HIIG tätig, verfügen über langjährige Erfahrung in der
       Wissenschaftsforschung und im Wissenschaftsmanagement.
       
       Das erste Monatsthema behandelt die Auswüchse der wissenschaftlichen
       Autorenschaft: Immer mehr Aufsätze geben nicht einen oder zwei, sondern
       eine Vielzahl von Autoren an. In der Physik sind schon Artikel mit 5.154
       Autoren erschienen – in diesem Fall ging es um eine Entdeckung am
       internationalen Kernforschungszentrum Cern in Genf. „Die Hälfte des Papers
       bestand nur aus Namen und Adressen“, fanden die HIIG-Forscher heraus.
       „Jeder Autor hat im Schnitt 1,1 Worte für diesen Aufsatz geschrieben“. Die
       20 am häufigsten zitierten Wissenschaftsaufsätze der Physik und Astronomie
       in den letzten 15 Jahren wiesen jeweils mehr als 1.200 Koautoren auf.
       
       Das ist auch die tiefere Ursache der Autoren-Inflation: Veröffentlichungen
       in bestimmten Forschungsjournalen sind die zentrale „Währung“ der
       Wissenschaftsreputation. Je mehr Publikationen, desto besser gelingt die
       wissenschaftliche Karriere. Das hat zu einer „Salamitaktik“ der
       Scheibchenweise-Veröffentlichung von Ergebnissen geführt. Was früher ein
       zusammenfassender Forschungsreport war, erscheint nun als eine Artikelserie
       von Einzelaspekten. In diesem wuchernden Publikationswesen geht zudem der
       Überblick verloren, wo die wirklichen Wissenschaftsdurchbrüche stattfinden.
       
       Nächste Themen der Wissenschaftskritiker werden Zitationskartelle, die
       Chancengleichheit in der Wissenschaft und die abnehmende Reproduzierbarkeit
       von Forschungsergebnissen sein. Wie sehr man sich auch den „Elefanten“
       Plagiate und Fälschung von Forschungsergebnissen zuwendet, ist noch nicht
       entschieden. Wissenschaftliche Integrität und die Rolle von Whistleblowern
       zur Aufdeckung von Fehlverhalten sind weitere mögliche Themen.
       
       Unterstützt wird der „Laborelefant“ vom Berliner Alexander von Humboldt
       Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), wo das Projekt kürzlich auch
       präsentiert wurde. Das HIIG, ein Verbund von vier
       Wissenschaftseinrichtungen, darunter die Humboldt-Universität und das
       Wisssenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), betreibt
       gesellschaftsbezogene Internetforschung und wurde 2012 mit einer
       Millionenförderung von Google gestartet. Mit Sicherheit auch ein Elefant.
       
       24 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.elephantinthelab.org
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Ronzheimer
       
       ## TAGS
       
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