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       # taz.de -- Kolumne Macht: Meiden Sie alles, was Spaß macht
       
       > Die Reisehinweise des Auswärtigen Amts sind längst zu einem schlechten
       > Witz verkommen. Findet Erdoğan ganz sicher auch.
       
   IMG Bild: Leere Strände, Antalya. Die Reisehinweise des AA haben eher nichts damit zu tun
       
       Die Verschärfung der Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes
       für Türkeiurlauber wird als neuer Tiefpunkt [1][in den Beziehungen zwischen
       Berlin und Ankara] gewertet. Diese Analyse ist einerseits zutreffend – und
       zeigt andererseits, was von diesen Hinweisen zu halten ist. Nämlich wenig
       oder nichts.
       
       Einem Diktator wie Erdoğan, der Menschenrechtler, Journalisten und
       Aktivistinnen in Geiselhaft hält, hätte schon längst jede Rote Karte
       gezeigt werden müssen, die herumliegt. Es ist richtig, wenn Firmen jetzt
       vor Investitionen in der Türkei gewarnt sowie Hermesbürgschaften überprüft
       und Rüstungsprojekte überprüft werden.
       
       Augenblick, war da nicht noch was? Irgend was mit Flüchtlingen? Seltsam,
       dass davon im Augenblick so gar nicht die Rede ist. Die EU zahlt der Türkei
       – also einem Staat, den der deutsche Finanzminister gerade mit der DDR
       gleichgesetzt hat – viel Geld dafür, dass sie Schutzsuchende davon abhält,
       auf das Gebiet der Europäischen Union weiterzureisen. Wenn wir schon von
       Tiefpunkten reden, dann ist dieses Abkommen zweifellos ein Tiefpunkt in der
       Menschenrechtsbilanz der Europäischen Union.
       
       ## Eher Wasserstandsmeldungen
       
       Es gibt gute Gründe und viele weitere Möglichkeiten, den türkischen
       Präsidenten unter Druck zu setzen. Verschärfte Sicherheitshinweise für
       Touristen sind jedoch der falsche Weg – jedenfalls dann, wenn gewünscht
       wird, dass diese ernst genommen werden. Aber es hat sich ja schon lange
       eingebürgert, solche Hinweise eher als Wasserstandsmeldungen für die
       Qualität zwischenstaatlicher Beziehungen zu nutzen denn als praktische
       Entscheidungshilfe für die Bevölkerung. Das ist zynisch.
       
       Anlass zu Reisewarnungen – die zwar umgangssprachlich so genannt werden,
       aber offiziell aus versicherungsrechtlichen Gründen nur in seltenen,
       dramatischen Fällen so heißen – hätte es im Hinblick auf die Türkei schon
       häufig gegeben. Bisher jedoch wollte die Bundesregierung den verrückten
       Mann am Bosporus eben nicht ärgern.
       
       Reisehinweise, die in Wahrheit entweder Freundschaftsbekundungen oder
       Protestnoten sind, verfehlen ihren Zweck. Wenn das Auswärtige Amt dann noch
       versucht, sich nach allen Seiten abzusichern, kann es unfreiwillig komisch
       werden.
       
       Beispiel Kenia. Ein beliebtes Touristenziel, in dem zwar mancherorts
       Gefahren lauern, anderswo aber eben auch nicht. Das Land kann also durchaus
       von Leuten besucht werden, die nicht leichtsinnig sind. Aber da das
       Auswärtige Amt sich offenbar keine Versäumnisse nachsagen lassen will, rät
       es nun von nahezu allem ab, was irgendwie Spaß machen könnte. Oder mahnt
       zumindest zu erhöhter Wachsamkeit. Zum Beispiel in Städten, am Strand, in
       vielen Naturparks sowie in Bars und Restaurants. Ganz zu verstehen ist
       nicht, weshalb nicht empfohlen wird, sich nach Ankunft ein nettes
       Industriegebiet zu suchen und das bis zur Abreise nicht mehr zu verlassen.
       
       Wer Kenia nicht ohnehin so gut kennt, dass er oder sie auf Ratschläge des
       AA nicht angewiesen ist, kann mit diesen Empfehlungen gar nichts anfangen
       und wird sie vermutlich vollständig ignorieren. Was bedauerlich ist, denn
       einige der Empfehlungen sind nützlich und sollten beachtet werden.
       
       Kenia ist kein Einzelfall, die Türkei ist kein Einzelfall. Nun gibt es auch
       andere Informationsquellen als die offiziellen Verlautbarungen der
       Bundesregierung. Kein Problem. Ein Ärgernis sind die Reisehinweise des
       Auswärtigen Amtes dennoch. Sie sind nämlich ein Beleg dafür, dass die
       politische Klasse gelegentlich nur um sich selbst kreist und den konkreten
       Fragen des Rests der Bevölkerung eine bestenfalls untergeordnete Bedeutung
       beimisst. Das ist arrogant.
       
       22 Jul 2017
       
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