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       # taz.de -- Graphic Novels aus Frankreich: „Zuerst habe ich Spinnen gezeichnet“
       
       > Der französische Comic-Autor Bastien Vivès im Gespräch über seine
       > Frauenfiguren und die Liebe – und das Glück, ohne Familie zu leben.
       
   IMG Bild: Zeichnet am liebsten Frauen: Bastien Vivès
       
       taz: Monsieur Vivès, mit gerade 33 Jahren haben Sie schon rund ebenso
       viele Alben und Graphic Novels veröffentlicht. Sind Sie eigentlich
       permanent am Zeichnen? 
       
       Bastien Vivès: Im Wesentlichen: Ja! Ich arbeite jeden Tag in meinem
       Atelier, von Montag bis Sonntag. Ich habe keine Familie, der ich mich
       widmen muss, sondern kann mich ganz meiner Leidenschaft hingeben. Das ist
       ein Glück und ein Luxus. Ich nehme meine Arbeit allerdings auch sehr ernst,
       bis zu dem Grad, dass ich manchmal den Eindruck habe, das Leben zu
       versäumen.
       
       Zeichnen Sie mitunter auch rein zum Vergnügen? 
       
       Das kommt schon vor, etwa wenn ich abends nach Hause komme, an einem Tag,
       wo ich ausnahmsweise wenig getan habe. Aber wichtigsten ist es mir, mit dem
       Projekt, an dem ich gerade sitze, voranzukommen. Das ist ein großer Druck,
       aber auch immer wieder sehr zufriedenstellend. Man sieht, wie das Album
       wächst, von Strich zu Strich, von Panel zu Panel, von Seite zu Seite.
       
       Haben Sie schon als Kind gezeichnet? 
       
       Ja. Zuerst habe ich Spinnen gezeichnet, da war ich drei, vier Jahre alt,
       dann bin ich zu Dinosauriern und Ninjas übergegangen. Mit zwölf habe ich
       angefangen, Frauen zu zeichnen, und das mache ich, ehrlich gesagt, heute
       noch am liebsten.
       
       Sie schreiben oft auch ihre Szenarios selbst. Was ist für Sie wichtiger,
       die Story oder die Bilder? 
       
       Allgemein ist es das Zeichnen, das mich motiviert, ein Album zu beginnen.
       Ich will auch eine Geschichte erzählen, klar, aber am Anfang stehen immer
       die Bilder. Daher werde ich nie einen politischen Comic machen. Ich habe
       einfach keine Lust, Büros, Politiker und Flugzeuge zu zeichnen.
       
       Ihre Zeichnungen sind nicht sehr detailliert, sondern eher skizzenhaft. 
       
       Das hat Vorteile, was die Mise en Scène angeht. So ist es viel besser
       möglich, Akzente zu setzen, bestimmte Aspekte hervorzuheben, als wenn man
       alles detailliert zeichnet.
       
       Sie achten sehr genau auf die Körpersprache Ihrer Figuren. Mimik und Gestik
       sind oft wichtiger als die Dialoge. 
       
       Unbedingt! Viele Comics scheitern meiner Ansicht nach daran, dass die
       Bilder zu ästhetisch und illustrativ sind, nicht expressiv genug. Ich will
       dagegen versuchen, Inhalte und Emotionen über die Bilder zu vermitteln,
       nicht über die Dialoge oder eine Off-Stimme. Wenn man etwa in „Der
       Geschmack von Chlor“ sieht, wie sich die Hauptfigur in einer
       Schwimmbadkabine auszieht, dann versteht man sofort: Dieser junge Mann ist
       schüchtern, er fühlt sich nicht wohl in seinem Körper, er ist sexuell
       gehemmt.
       
       Eines Ihrer bevorzugten Themen ist die Liebe. Aber gerade Ihre anrührendste
       Figur führt ein Leben, in dem die Liebe keine Rolle spielt. Ich meine die
       Ballerina Polina, Hauptfigur der gleichnamigen Graphic Novel. Polina lebt
       nur für ihre Kunst. 
       
       Polina ist zweifellos meine Lieblingsfigur, und ich bin superglücklich, sie
       erschaffen zu haben. Sie ist für mich wie ein Avatar, der es mir ermöglicht
       hat, von Dingen zu reden, die mich zum Zeitpunkt der Entstehung dieses
       Comics sehr beschäftigt haben. Ich war von der Liebe enttäuscht und habe
       mich gleichzeitig gefragt: Was ist eigentlich Kunst? Was habe ich für ein
       Verhältnis zur Kunst?
       
       Gustave Flaubert hat gesagt: „Madame Bovary, das bin ich.“ Dasselbe könnten
       Sie von Polina sagen. 
       
       Ja! (lacht) Sehr wichtig ist mir auch die Beziehung Polinas zu ihrem
       Tanzlehrer. Er ist sehr streng – wie kann man so eine Figur entwerfen, ohne
       dass sie völlig unsympathisch wirkt? Und was für Emotionen kann es in der
       intensiven Beziehung zwischen ihm und Polina geben, auch wenn sie nie ein
       Liebespaar werden?
       
       Sie machen auch Genre-Comics. „Lastman“ ist eine stark von den Mangas
       beeinflusste Fantasyabenteuerserie, „Olympia“, Ihre jüngste deutsche
       Veröffentlichung, ist ein nicht ganz ernst gemeinter Actionthriller, in
       dessen Zentrum drei Kunstdiebinnen stehen. 
       
       Diese Titel haben mich aus verschiedenen Gründen gereizt. Zunächst einmal
       habe ich sie nicht allein kreiert, sondern in Kooperation mit anderen. Das
       ist angenehm: Man trägt nicht für alles die Verantwortung, man kann mit
       Freunden zusammensein und herumalbern. Außerdem mag ich es, wenn Comics
       oder Filme einerseits spektakuläre Unterhaltung bieten, andererseits aber
       auch eine gewisse Tiefe besitzen. Was mich in „Lastman“ daher am meisten
       fasziniert hat, ist die Beziehung des jugendlichen Helden Adrian zu seiner
       Mutter. Ich habe Seiten über Seiten gezeichnet, wo es nur um diese beiden
       geht, und immer unendlich viel Spaß dabei gehabt.
       
       24 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Haas
       
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