URI: 
       # taz.de -- Kolumne Nachbarn: Der Kaffee und ein Gesang
       
       > Der Duft von Kaffee ist wie eine Truhe, in der man sein Gedächtnis
       > aufbewahrt. Er weht von Damaskus bis Berlin und weckt Erinnerungen.
       
   IMG Bild: Plötzlich duftet es in meinem Büro herrlich nach Damaszener Kaffee mit Kardamom
       
       Heute ist Freitag. Es ist ein Tag wie jeder andere der bisherigen Woche.
       Ich stehe früh auf, begebe mich zögernd in Richtung Fenster, ziehe die
       Vorhänge auf, damit das graue Licht, das die Berliner Wolken durchlassen,
       in mein Zimmer fallen kann. Auf meinem Handy suche ich nach „Wir und der
       Mond sind Nachbarn“, einem arabischen Lied, das mich am Morgen in Damaskus
       begleitete.
       
       Ich lege mein Handy auf den Küchentisch und stelle die Lautstärke etwas
       höher, während ich meinen üblichen Morgenritualen nachgehe. Diese Zeit
       verbringe ich jeden Morgen zwischen Küche und Bad. Ich mache mich fertig
       und suche wie üblich meine Sonnenbrille, die ich immer verlege. Ich benutze
       sie nur als Haarreif, damit meine Haare mir nicht ins Gesicht fallen.
       
       Ich mag es nicht, wenn meine Haare zu lang werden. Dann verdecken sie das
       Muttermal über meiner Oberlippe; und das stört mich ungemein. Mein
       verwöhntes Muttermal ist mein heimliches Markenzeichen. Ich vergleiche es
       gern mit Damaskus. Es ist überliefert, dass Damaskus (arabisch Schaam,
       abgeleitet von Schaamah) Muttermal bedeutet, weil es das Schönste der Erde
       sei.
       
       Bevor ich zur Arbeit gehe, vergewissere ich mich, dass ich nichts Wichtiges
       vergessen habe; Geldbeutel, Ausweis, Handy oder die Dose mit den Kaugummis,
       die mir meine Freundin aus Damaskus mitgebracht hat. Singend renne ich die
       Treppe herunter: „Wir und der Mond sind Nachbarn. Seine Hütte steht hinter
       unseren Hügeln …“ Wie kann ich die, die Damaskus nicht kennen, davon
       überzeugen, dass der Mond wirklich unser Nachbar war?
       
       ## „Sei nicht traurig“
       
       Ich bin morgens gern die Erste im Büro. Ich schalte den Computer an und
       koche mir, während er hochfährt, einen deutschen Kaffee, schreibe einigen
       Freunden in Syrien und erkundige mich nach ihnen. Sie schreiben postwendend
       zurück und schicken Fotos, während sie ihren Morgenkaffee nach Damaszener
       Art kochen. Plötzlich duftet es in meinem Büro herrlich nach Damaszener
       Kaffee mit Kardamom, als kochte man ihn gerade hier und jetzt. Ein
       seltsames Gefühl!
       
       Der Kaffeeduft ist wie eine sichere Truhe, in der man sein Gedächtnis
       aufbewahrt. Er durchwandert die ganze Welt, alle Sphären, und steigt aus
       den Bildern heraus. Ich schreibe meinem Freund, dass der Duft seines
       Kaffees zauberhaft köstlich sei. Daraufhin sendet er mir ein Foto, das
       zeigt, wie der Dampf auf seiner Tasse emporsteigt. Er kommentiert ironisch:
       „Sei nicht traurig. Ich schicke dir ein halbes Kilo Kaffee mit einem
       Freund, der bald nach Berlin fliegt.“
       
       Mein Freund sagt: „Jetzt muss ich zur Arbeit. Und du? Gehst du heute nicht
       arbeiten?“ Ich antworte: „Doch, natürlich. Ich bin schon im Büro. Aber
       ehrlich gesagt bin ich heute nicht besonders motiviert.“ Er empfiehlt mir,
       Kaffee zu trinken, damit sich meine Laune bessert. Und er schickt mir einen
       Link.
       
       Ich drücke auf den Link und höre: „Wir und der Mond sind Nachbarn. Seine
       Hütte steht hinter unseren Hügeln …“ Welch ein Zufall!
       
       Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman
       
       23 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kefah Ali Deeb
       
       ## TAGS
       
   DIR Nachbarn
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Erinnerung
   DIR Kaffee
   DIR Nachbarn
   DIR Nachbarn
   DIR Nachbarn
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Nachbarn
   DIR Hier und Dort
   DIR Fluchtrouten
   DIR Hier und Dort
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Nachbarn: Das Mädchen mit den braunen Augen
       
       Plötzlich ist im Fernsehen das Kind, das ich einst in der Straße des Todes
       traf. Tausende Kilometer bin ich geflohen, doch vergessen kann ich nicht.
       
   DIR Kolumne Nachbarn: Im September
       
       Die Brise dieses Septembermorgens ähnelt jener am Tag meiner Ankunft in
       Deutschland – ebenso wie die Sehnsucht, die sie weckt.
       
   DIR Kolumne Nachbarn: „Für den Beamten, der mich folterte“
       
       Wer in Damaskus festgenommen und misshandelt wird, ist froh, wenn er aus
       dem Gefängnis kommt – mit oder ohne Widmung an den Folterknecht.
       
   DIR Kolumne Nachbarn: Woher komme ich?
       
       Sind Sie aus Spanien? Sprechen Sie Deutsch? Seltsame Fragen müssen sicher
       auch noch meine Kinder beantworten.
       
   DIR Kolumne Nachbarn: Hund!
       
       Täglich wiederholte sich in der Nachbarzelle dasselbe Ereignis: Der
       Gefangene bat um Wasser, der Wärter schlug ihn.
       
   DIR Kolumne Nachbarn: Eines Nachts
       
       Dieser Durst. Diese Blicke. Diese Angst. Und dann auch noch die Stimme, die
       versagt! Ich muss schnell die Polizei rufen. Doch wo ist mein Telefon?
       
   DIR Kolumne Nachbarn: Ein Blick zurück würde reichen
       
       Auf der Schmugglerroute ist kein Platz für alle Gedächtnisdetails. Die
       Schubladen und die Fotoalben musste ich zurücklassen.
       
   DIR Kolumne „Nachbarn“: Nach dem Sarin-Massaker
       
       Bitte, liebe Nachbarn, lassen Sie Ihre Kinder die Bilder unserer Kinder
       nicht anschauen. Werden Sie nicht zu Zeugen eines Verbrechens.