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       # taz.de -- Nordisches Design für Kinder: Frische Luft und Haferflocken
       
       > Die Ausstellung „Century of a Child“ in Berlin zeigt chronologisch Design
       > im gesellschaftlichen Wandel der letzten hundert Jahre.
       
   IMG Bild: Spielskulptur „Tuffsen“ von Egon Møller-Nielsen, 1949
       
       Seitdem der norwegische Designer Peter Opsvik den mitwachsenden
       Tripp-Trapp-Kinderstuhl 1972 entworfen hat, sind auch in Deutschland
       Generationen von Kindern mit diesem flexiblen Alltagsmöbel groß geworden.
       Durch zwei höhenverschiebbare Bretter erlaubt der Holzstuhl Kleinkindern
       bis Grundschülern auf Augenhöhe der Familie am Tisch zu begegnen. Dadurch
       wurde der Tripp Trapp zu einem gelungenen Beispiel, wie Gestaltung positiv
       die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen beeinflussen kann.
       
       Der berühmte Stuhl ist nur eines von zahlreichen Exponaten, die aktuell in
       der Ausstellung „Century of the Child. Nordisches Design von 1900 bis
       heute“ zu sehen sind. In einem chronologischen Überblick zeigen die
       Nordischen Botschaften in Berlin eine Auswahl historischer Entwürfe von
       Möbeln, Architektur, Alltagsgegenständen, Spielzeug oder Plakaten, die vom
       gesellschaftlichen Wandel im Zusammenleben mit Kindern zeugen, aber auch
       die Tradition im nordischen Design hervorheben, soziale Verantwortung zu
       übernehmen.
       
       Dabei begrüßen einige der dort ausgestellten Objekte den Besucher wie alte
       Bekannte – etwa das beliebte Labyrinth-Spiel (1946) und die Holzeisenbahn
       (1958) der schwedischen Firma Brio. Oder die Wippe (1961) und Trage (1973)
       von BabyBjörn, die genauso wie die ersten Volvo-Kinderautositze (1967) oder
       das Christiania-Bike (1984) auf veränderte Familienmodelle und das
       Bedürfnis nach mehr Mobilität reagierten.
       
       Andere Exponate wie der schlichte Holzaffe (1951) des dänischen Designers
       Kay Bojesen oder der Kinderstuhl aus Schichtholz (1935) des finnischen
       Architekten Alvar Aalto sind jenseits der Alltagsrealität von Kindern
       längst zu Designklassiker geworden.
       
       Wie das körperliche und geistige Wohlbefinden von Kindern sowie die
       Förderung ihrer Entwicklung ab den 1930er Jahren in den nordischen Ländern
       zunehmend staatliche und kommunale Aufmerksamkeit erhielt, wird an
       öffentlichen Einrichtungen wie der von Alvar Aalto 1938 geplanten
       Inkeroinen-Grundschule in Kouvola oder der Munkegardsskolen (1957) des
       dänischen Architekten Arne Jacobsen besonders deutlich.
       
       Dort schufen die inzwischen legendären Gestalter humanistisch und
       demokratisch geprägte Gebäude mit lichtdurchfluteten Räumen, erbaut aus
       natürlichen Materialien, mit integrierten Außenbereichen als Lernumfeld für
       Kinder.
       
       Bereits 1943 eröffnete in Emdrup nördlich von Kopenhagen der erste
       Abenteuerspielplatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man Kindern die
       Möglichkeit geben, im öffentlichen Raum und anders als auf konventionellen
       Spielplätzen anregende sinnliche und motorische Erfahrungen zu machen. So
       entwarf der dänische Künstler Egon Møller-Nielsen schon 1949 seine erste
       Spielskulptur „Tuffsen“, eine abstrakt organische Form für einen
       Stockholmer Park, die zum vielfältigen Erkunden einlud.
       
       Nun finden die im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen besonders
       aufschlussreichen größeren Projekte in der überschaubaren Berliner
       Ausstellung nur knapp dokumentiert Erwähnung. Doch bietet der begleitende
       Katalog, der anlässlich der ersten Ausstellungsstation im Design-Museum
       Vandalorum in Schweden 2014 erschien, dazu zusätzliche Informationen. Man
       erfährt darin von dem im Norden ganzjährig praktizierten
       Outdoor-Mittagsschlaf für Babys und Kleinkinder genauso wie von den seit
       den 1920er Jahren propagierten täglichen Frühstücksflocken.
       
       Neuste Tendenzen 
       
       Die aktuelle Schau präsentiert auch neueste Design-Tendenzen aus Dänemark,
       Finnland, Island, Norwegen und Schweden. Sie war ursprünglich aus der
       umfangreicheren und international ausgerichteten Design-Ausstellung
       „Century of the Child. Growing by Design“ im New Yorker Museum of Modern
       Art von 2012 hervorgegangen.
       
       Deren Ausstellungstitel zitierte die 1909 verfasste Schrift „Das
       Jahrhundert des Kindes“ der schwedischen Schriftstellerin und
       Reformpädagogin Ellen Key, die die Entdeckung der Kindheit als eigene
       Erfahrungswelt historisch einleitete. (Die besonderen Bedürfnisse des
       Kindes im Blick, argumentierte Key allerdings damals gleichzeitig gegen
       Frauenarbeit und für Eugenetik.)
       
       Ein Viertel der Exponate in der Überblicksschau im MoMA waren nordischer
       Herkunft. Warum diese Länder bis heute einen so bedeutenden Anteil an
       Architektur- und Gestaltungslösungen für Kinder innehaben, erklärt die
       isländische Produktdesignerin Róshildur Jónsdóttir anlässlich der Eröffnung
       der Berliner Ausstellung vor allem mit der allgemein starken
       Familienausrichtung und einem größeren Respekt für die Bedürfnisse von
       Kindern.
       
       Und Julie Dufour, die als Architektin in dänischen Kindergärten und Schulen
       arbeitet, betont den Wert, bereits Kinder mit den Funktionsweisen von
       Architektur und Design vertraut zu machen, sie in Ideenfindungen
       einzubeziehen: „Sie müssen unsere Zukunft gestalten. Sie sind die
       Experten.“
       
       25 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva-Christina Meier
       
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