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       # taz.de -- Justiz in der Türkei: Cumhuriyet vor Gericht
       
       > Siebzehn Mitarbeiter der linksliberalen Zeitung sind angeklagt,
       > terroristische Organisationen unterstützt zu haben. Für die Redaktion ist
       > das absurd.
       
   IMG Bild: Solidaritätsaktion türkischer Journalisten für Can Dündar im April 2016 in Istanbul
       
       Istanbul taz | An diesem Montag beginnt ein wichtiger Prozess gegen
       Journalisten in der Türkei. Siebzehn Mitarbeiter der linksliberalen
       Tageszeitung Cumhuriyet sind angeklagt, „terroristische Organisationen“ zu
       unterstützen. Jeden Tag bildet Cumhuriyet auf der Titelseite die Fotos der
       verhafteten Kollegen ab und zählt auf, wie lange sie im Gefängnis sind.
       Zehn der Angeklagten sitzen seit 266 Tagen, ein weiterer, der Kolumnist
       Ahmet Şık, seit 205 Tagen. Die anderen sechs Angeklagten sind entweder
       nicht in U-Haft oder befinden sich, wie der frühere Chefredakteur Can
       Dündar, im Ausland.
       
       Der Prozess gegen die Cumhuriyet-Journalisten und kaufmännischen
       Mitarbeiter ist so etwas wie die Abrechnung der Regierung mit den
       wichtigsten Stimmen der säkularen Türkei. Unter den Inhaftierten ist der
       Chefredakteur Murat Sabuncu, der Vorsitzende der Cumhuriyet-Stiftung Akin
       Atalay, der Karikaturist Musa Kart und der bekannte Kolumnist Kadri Gürsel.
       
       Die Zeitung Cumhuriyet, schrieb der Geschäftsführer von Reporter ohne
       Grenzen, Cristian Mihr, am Wochenende, „steht symbolisch für den mutigen
       Einsatz der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien in der Türkei.
       Eine Verurteilung wäre ein verheerendes Signal und eine Schande für die
       türkische Justiz.“
       
       Cumhuriyet (Die Republik) ist die älteste Tageszeitung der türkischen
       Republik. Sie wurde 1924 gegründet und versteht sich seitdem als Stimme der
       Aufklärung und der säkularen Türkei. Sie war über weite Strecken eng mit
       der Republikanischen Volkspartei (CHP) verbunden und unterstützt auch jetzt
       die Politik der Opposition.
       
       ## Kritisch wie eh und je
       
       Cumhuriyet erscheint jeden Tag kritisch wie eh und je. Doch seit Ende
       Oktober letzten Jahres, als die halbe Mannschaft verhaftet wurde, ist es
       für die übrigen Journalisten schwer, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Vor
       allem die Tage nach den Verhaftungen seien „sehr schwer“ gewesen, sagte der
       kommissarische Chefredakteur Bülent Özdoğan der Nachrichtenagentur dpa.
       
       Schon rein äußerlich ist die Spannung auf den ersten Blick erkennbar. Das
       Redaktionsgebäude ist abgeriegelt, eine Zeitlang kontrollierte die Polizei
       jeden, der das Gebäude betreten wollte. Innen ist eine Sicherheitsschleuse
       aufgebaut, weil die Redaktion befürchten muss, Ziel eines Attentates zu
       werden.
       
       Die Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagten zwischen 4 und 43 Jahre
       Haft. Sie sollen wahlweise die FETÖ, die mutmaßlich für den Putschversuch
       verantwortliche islamische Gülen-Sekte, die kurdische Terrororganisation
       PKK, oder die DHKPC, eine militante linksradikale Splittergruppe,
       unterstützt haben. Die Anklage behauptet, dass diese Unterstützung begann,
       als Can Dündar Anfang 2015 Chefredakteur der Cumhuriyet wurde.
       
       Gegen Dündar, der seit einem Jahr in Deutschland lebt, läuft noch ein
       weiterer Prozess. Mit dem Hauptstadtkorrespondenten Erdem Gül, ist er wegen
       Geheimnisverrat angeklagt. Beide sind in erster Instanz bereits zu gut fünf
       Jahren Haft verurteilt, weil sie im Juni 2015 aufdeckten, wie der türkische
       Geheimdienst Waffen an syrische Islamisten illegal über die Grenze
       schickte.
       
       ## Öffentliche Kritik
       
       Die Redaktion nennt die Vorwürfe gegen ihre Kollegen „absurd“. Warum, lässt
       sich am Beispiel eines der bekanntesten Kolumnisten, Kadri Gürsel, gut
       zeigen. Gürsel ist in der Türkei nicht nur als Schreiber, sondern auch als
       scharfzüngiger Diskutant aus Talkshows bekannt, zu denen er als säkulare
       Stimmen gegen islamische Intellektuelle eingeladen wurde. Insbesondere die
       Gülen-Sekte hat er immer wieder öffentlich kritisiert.
       
       Jetzt soll er als ihr Unterstützer ins Gefängnis. Der Beweis der Anklage:
       Anrufe und SMS von angeblichen oder tatsächlichen Gülen-Leute an seine
       Adresse.
       
       Nun ist Kadri Gürsel auch im Vorstand des Internationalen Press Instituts
       (IPI) und hat sich für bedrängte Kollegen eingesetzt. Deshalb wurde er eine
       Zeit lang, als im Frühjahr 2016 die Gülen-nahe Zeitung Zaman geschlossen
       wurde, mit SMS von gefeuerten Gülen-Leuten geradezu bombardiert. Laut
       Protokoll der Telefongesellschaft hat er von 92 SMS 84 gar nicht geöffnet.
       Auch die Vorwürfe gegen die anderen Cumhuriyet-Leute sind von ähnlicher
       Qualität. Der Prozess ist für vier Tage angesetzt. Wann ein Urteil fällt,
       ist offen.
       
       24 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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