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       # taz.de -- Die Wahrheit: Null Schoko im Bier
       
       > Das Europa der zwei Geschmäcker polarisiert. Jetzt muckt die Slowakei
       > auf, die ansonsten stets mit Slowenien verwechselt wird.
       
   IMG Bild: Kluge Slowakin: Sie nutzt die schlechtschmeckende Schokocreme anderweitig
       
       Das eigentlich Schöne an der Europäischen Union ist, dass es immer
       irgendwen gibt, der sich über irgendwas aufregt. Im Moment der slowakische
       Oberschulze. In slowakischer Nutella ist viel weniger Schokolade drin als
       in österreichischer, greint er, in slowakischen Lenor-Packungen zu viel
       Luft, in slowakischem Jacobs-Kaffee keine Jacob-Sisters, in den
       Fischstäbchen zu viel Stäbchen. Und so weiter und so fort.
       
       Die Hersteller reagieren cool: In einem Europa der zwei Geschwindigkeiten
       seien die Geschmäcker nun mal verschieden. Gerade bei Lenor ein
       durchschlagendes Argument. Außerdem würden die Produkte in der Slowakei zum
       Ausgleich für die andere Qualität teurer verkauft als in Westeuropa,
       schließlich verdienten die Menschen dort auch mehr. Oder war’s weniger?
       Egal, es gibt jedenfalls Gründe.
       
       Auch den Grund, dass nirgendwo geschrieben steht, dass in Nougatcreme
       überall Spuren von Nüssen drin sein müssen. Daran haben die Gründungsväter
       der EU nicht gedacht, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
       ist nicht zuständig. Das wird er nämlich erst, wenn die Nutella von
       Strafgefangenen im Rahmen des verschärften Arrests gegessen werden muss
       oder wenn jemand klagt, der mindere Geschmack beruhe nicht auf minderen
       Zutaten, sondern auf religiösen Vorurteilen. Wenn es also um
       Diskriminierung geht.
       
       Aber sonst? Wem sein Nutella nicht schmeckt, der kann es doch ganz einfach
       durch eine selbstgerührte Paste aus Kartoffelbrei, Bratenfett,
       Kompostbeschleuniger und Zucker substituieren! Gleiche Konsistenz,
       gleicher Nährwert, mehr Geschmack!
       
       ## Wann kommt der Slexit?
       
       Welcher Vorwurf kommt als nächstes? Zu wenig Mineralöl in den Pralinen?
       Unser Katzenstreu nimmt viel weniger Flüssigkeit auf, außerdem klumpt es,
       wenn man es ins Schweinefutter einrührt? Bei der Zahncreme sitzt der grüne
       Streifen nicht genau in der Mitte? Das in der Slowakei verkaufte Viagra
       wirkt nur halb so lange? Käme es zum Slexit, wenn die offizielle Antwort
       aus Brüssel darauf lautet: Bei euren Frauen auch kein Wunder?!
       
       Aber seit der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem mit seiner Bemerkung über
       Südländer, die ihr Geld für Alkohol und Frauen ausgeben und anschließend um
       Unterstützung bitten, auf die lange Nase fiel, hält sich die EU bei
       Frauenthemen zurück.
       
       Es ist ja im Grunde gar keine politische Entscheidung der EU, wo was wie
       verkauft wird. Sondern eine unternehmerische! Vielleicht sitzt irgendwo in
       der Qualitätskontrolle von Pampers jemand, den seine Frau mal mit einem
       slowakischen Fernfahrer betrogen hat? Dem soll er zum Dank noch gute
       Höschenwindeln für bis zu zwölf Stunden Trockenheit hinterherschmeißen? Es
       ist sicherlich wünschenswert, dass die Menschheit irgendwann zu dieser
       Größe findet, doch es wäre vermessen, ausgerechnet von einem
       Qualitätskontrolleur bei Pampers zu erwarten, dass er damit anfängt.
       
       Dass Packungsgröße und Packungsinhalt oft in einem Verhältnis zueinander
       stehen, das man als inadäquat bezeichnen könnte – man also in der Regel
       mehr Luft als Inhalt kauft –, liegt nicht am bösen Willen der Hersteller.
       Sondern daran, dass auf jeder Lebensmittelverpackung die Inhaltsstoffe in
       allen EU-Sprachen abgedruckt sind. Das braucht Platz. Wählte man dafür
       nicht, wie es Praxis ist, Schriftgröße 2, sondern 10 oder 11, müsste, damit
       alles draufpasst, jeder einzelne Mars-Riegel in einem umzugskistengroßen
       Karton verkauft werden!
       
       ## Slowakisch ist Trumpf
       
       Ließe man, um die Verpackung kleiner zu machen, zum Beispiel Slowakisch
       weg, wäre das Geschrei auch wieder gleich riesig. Denn der gemeine Slowake
       will nicht auf Englisch oder gar Tschechisch gesagt bekommen, dass in
       seinem Schokoriegel Schokolade verbaut wurde, das verbietet ihm sein Stolz.
       
       Apropos Schokolade: Zu wenig Schokolade in der Nusscreme – was ist das
       eigentlich für ein unsinniger Vorwurf! Wie sieht es denn umgekehrt aus? Das
       slowakische Bier bei uns enthält überhaupt gar keine Schokolade! Null! Und
       hat sich darüber schon mal jemand aufgeregt?
       
       26 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Niemann
       
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