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       # taz.de -- Film über NS-Widerstandskämpfer: Späte Rehabilitation
       
       > Christian Weisenborn erzählt in „Die guten Feinde. Mein Vater, die Rote
       > Kapelle und ich“ die Geschichte einer deutschen Widerstandsgruppe.
       
   IMG Bild: Günther und Joy Weisenborn
       
       „Mögen sich diejenigen weiter belügen lassen, die zu schwach sind, die
       Wahrheit zu erfahren. Mögen diejenigen weiter untätig bleiben, die zu träge
       sind, die Wahrheit zu suchen. Alle Verantwortungsbewussten müssen mit den
       Tatsachen rechnen: Ein Endsieg des nationalsozialistischen Deutschland ist
       nicht mehr möglich.“
       
       Sätze aus einem Flugblatt, das die Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen
       und John Sieg im Februar 1942 verfassten und das von ihren
       Mitstreiter*innen in mehreren hundert Exemplaren in Berlin verschickt
       wurde. Jahrzehntelang war das Wissen um den deutschen Widerstand gegen den
       Nationalsozialismus marginal.
       
       Während der ständisch-nationalistische Widerstand deutscher Militärs im
       Juli 1944 im Rückblick staatstragend verklärt wurde, blieben
       Widerstandsgruppen, die die Nationalsozialisten mit dem Kommunismus in
       Verbindung gebracht hatten, in der Bundesrepublik lange ohne jede
       Rehabilitierung.
       
       Die DDR wiederum verklärte diese Gruppen im Sinne der eigenen
       Selbstlobhudelung. Christian Weisenborns Dokumentarfilm „Die guten Feinde.
       Mein Vater, die Rote Kapelle und ich“ zeigt dies am Beispiel jener
       Widerstandsgruppe, in der sein Vater Günther Weisenborn mitwirkte – jener
       Gruppe, die von der Gestapo „Rote Kapelle“ genannt wurde.
       
       ## Die „Rote Kapelle“
       
       Christian Weisenborns Vater, Günther Weisenborn, zog Ende der 1920er Jahre
       nach Berlin und konnte mit seinem Antikriegsstück „U-Boot S4“ schon kurz
       darauf Erfolge feiern. Nach der Machtübertragung an die
       Nationalsozialisten wurden Weisenborns Texte verboten, nach einigen Jahren
       konnte Weisenborn jedoch unter Pseudonym wieder publizieren. 1936 reiste er
       in die USA, kehrte jedoch nach wenigen Monaten zurück und bekam eher
       zufällig wieder Kontakt zu Harro Schulze-Boysen, den er von früher kannte.
       
       Um Schulze-Boysen hatte sich bereits ein kleiner Kreis von Menschen
       gebildet, die sich mit der Herrschaft der Nationalsozialisten nicht
       abfinden wollten. Im Sommer 1942 wurde die Gruppe enttarnt. Im Laufe des
       folgenden Jahres wurden 200 Menschen verhaftet, 59 davon schließlich von
       den Nationalsozialisten ermordet.
       
       Nicht nur wegen ihrer Größe ist das Netzwerk von Freunden und Freundinnen,
       das die Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichnete, einer der Kerne des
       deutschen Widerstands. Die Gruppe unterhielt mal mehr, mal weniger
       ausgeprägte Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen.
       
       Zum Verhängnis hinsichtlich der Erinnerung wurden der Gruppe die wenig
       erfolgsgekrönten Kontakte zur Sowjetunion, die kurzzeitig versuchte, die
       Gruppe zur Informationsgewinnung zu benutzen. Frühere Kontakte zur
       Botschaft der USA verliefen ebenfalls im Nichts.
       
       ## Die Perspektive der Frauen
       
       „Die guten Feinde“ ist nach Stefan Roloffs Porträt seines Vater Helmut
       Roloff von 2004 der zweite Dokumentarfilm über die Widerstandsgruppe, der
       versucht die Verzerrungen in der Erinnerung an die Gruppe, die der Kalte
       Krieg hinterlassen hat, gerade zu richten. Weisenborns Film entwirft ein
       lebendiges Bild des Freundeskreises um Harro Schulze-Boysen und dessen Frau
       Libertas, zu dem auch sein Vater gehörte.
       
       Die Aufmerksamkeit, die Weisenborn auf die Darstellung der Perspektive der
       Frauen in der Widerstandsgruppe verwendet, ruft in Erinnerung, dass die
       Geschichte des Widerstands noch immer vor allem als eine von Männern im
       Widerstand erzählt wird. Ausführliche Gespräche mit der Publizistin Silke
       Kettelhake, die vor knapp zehn Jahren eine vielbeachtete Biografie von
       Libertas Schulze-Boysen vorgelegt hat, betonen deren Rolle im
       Freundeskreis.
       
       Am hinreißendsten geschieht dies jedoch in einigen Videointerviews, die
       Christian Weisenborn seiner eigenen Mutter abgetrotzt hat. Die humorvolle
       Art, in der Joy Weisenborn über ihre ersten Begegnungen mit Günther
       Weisenborn und später dem Freundeskreis erzählt, ist gleichermaßen
       begeisternd wie erschütternd; begeisternd, insofern sie in den wenigen
       Sequenzen einen quicklebendigen Eindruck von Joy Weisenborn und der Gruppe
       erzeugt; erschütternd, insofern vor allem diese Momente die Lebensfreude
       der Mitglieder der Gruppe plastisch machen und zeigen, welche Zerstörungen
       der Nationalsozialismus hinterlassen hat.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       28 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
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