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       # taz.de -- Gras für den Frieden
       
       > Die Ostkameruner zögerten nicht, als die Menschen von der anderen Seite
       > der Grenze Schutz bei ihnen suchten. Klar, es gibt Probleme – aber auch
       > viele kluge Lösungen. Ein Besuch bei wahren Humanisten
       
   IMG Bild: Nur Ton, Sägemehl und Salzwasser: Selbst hergestellte Briketts machen das Leben der Frauen von Mbilé sicherer – sie müssen kein Brennholz mehr sammeln
       
       Aus Mbilé, Timangolo und Boubara Irina Serdyuk
       
       Der Dorfbrunnen von Mbilé ist zu einem Sandkasten geworden. Dutzende Frauen
       sitzen gedrängt unter einer Plane und mischen mit bloßen Händen Ton,
       Sägemehl und Salzwasser zusammen. Nebenan wird der Brei zu kleinen Scheiben
       gepresst und zum Trocknen ausgelegt. Briketts zum Feuermachen. Einhundert
       davon braucht eine Familie pro Tag, um Essen zu kochen. Früher mussten die
       Frauen im Wald Brennholz sammeln, sie suchten manchmal fünf Stunden.
       Überfälle und Vergewaltigungen kamen oft vor.
       
       Mbilé liegt im Osten Kameruns und zählt knapp 13.000 Einwohner. 11.500
       davon sind Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik, etwa die
       Hälfte lebt in einem Camp, einer „Refugee Site“, wie es in der örtlichen
       Verwaltung heißt – ein Hinweis auf den temporären Status. Die meisten
       Flüchtlinge sind jedoch seit drei Jahren hier und haben nicht vor,
       zurückzukehren. „Ihr seid hier, weil ihr zur Schule gegangen seid“, so
       spricht der Camp-Älteste die Gäste aus Europa an. „Wir wollen auch unsere
       Kinder zur Schule schicken!“ Applaus. Eine Grundschule gibt es im Camp,
       doch die nächste Sekundarschule ist in Boubara, 18 Kilometer entfernt.
       
       Ibrahim Kadjidja, 54, floh mit Familie aus der Region Baoro in der
       Zentralafrikanischen Republik, etwa 400 Kilometer östlich von hier, als ihr
       Dorf von der christlichen Anti-Balaka-Miliz angegriffen wurde. Ihr Mann
       wurde getötet, von ihren sieben Kindern leben noch vier, zwei in Mbilé,
       zwei an der Küste. Sie kocht dreimal täglich für dreizehn Personen. Kelen
       Kelen zum Beispiel, Fleisch mit Okra-Gemüse, oder den Brei Fufu.
       
       Kadjidja hat von den Einheimischen ein Stück Land bekommen, wo sie Mais,
       Gurken und Bohnen anbaut. Sie kann sogar etwas verkaufen. Samstags ist
       Markttag in Mbilé. Sonntags ist Kirchtag, aber Kadjidja betet zu Hause. Sie
       war zum Islam konvertiert, weil ihr Mann Muslim war. Nach dessen Tod sei
       sie dazu nicht mehr verpflichtet, nun bezeichnet sie sich als evangelisch.
       An eine Rückkehr in die alte Heimat denkt sie nicht.
       
       ## So viele wie möglich retten
       
       Kamerun hatte bereits früher Flüchtlinge aufgenommen, aus Algerien,
       Nigeria, dem Tschad. Sie alle gingen aber wieder zurück. Diesmal ist es
       anders. Als im Dezember 2013 in der Zentralafrikanischen Republik zwischen
       den muslimischen Seleka-Rebellen und den christlichen Anti-Balaka-Milizen
       Kämpfe ausbrachen, fanden rund 185.000 Zentralafrikaner Zuflucht in
       Ostkamerun.
       
       „In dieser Phase war unser Ziel, so viele Leben wie möglich zu retten“,
       sagt Baseme Kulimushi, Leiter des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR für
       Ostkamerun. Nahezu alle Flüchtlinge seien Muslime, während nur 24 Prozent
       der lokalen Bevölkerung Muslime sind. Doch noch bevor die UN helfen
       konnten, hatte die örtliche Bevölkerung die Flüchtlinge spontan
       aufgenommen. Aufgrund der gemeinsamen Sprache und Mentalität war das nicht
       schwer. Die ersten Ankömmlinge fanden Zuflucht in Moscheen, Kirchen,
       Sportstadien.
       
       „Spirit of the living together“ – so beschreibt es der Präfekt von Batouri,
       Emmanuel Halpha. „In westlichen Schulen lehrt man den Humanismus. In Afrika
       wird er praktiziert.“ Später erst kam Hilfe von außen. 2015 sei die Lage in
       Ostkamerun aber in den Hintergrund getreten, klagt Kulimushi, weil da
       Flüchtlinge aus Nigeria in den Norden Kameruns strömten. Sie flohen vor
       Boko Haram, der islamistischen Terrorgruppe. 2016 hätte Kamerun vom
       UN-Flüchtlingswerk (UNHCR) nur knapp die Hälfte der benötigten 55
       Millionen US-Dollar erhalten. Wegen der Unterfinanzierung sei dann die
       Hilfe des UN-Welternährungsprogrammes (WFP) für die Flüchtlinge aus der
       Zentralafrikanischen Republik in Kamerun drastisch reduziert worden. Im
       Oktober mussten die ohnehin knappen Lebensmittelrationen halbiert werden.
       
       Djoubainartou Issa hat ihr vier Monate altes Baby auf dem Rücken und einen
       Sack mit der Monatsration zu ihren Füßen. Einmal im Monat ist im Camp von
       Mbilé Nahrungsausgabe. Mehrere Stunden wartete die 27-Jährige, bis sie die
       Soja-Mais-Mischung, Hülsenfrüchte, Pflanzenöl, Mehl, Zucker bekam. Der
       weiße Sack scheint wie von allein vom Boden auf ihren Kopf zu fliegen. Sie
       steuert mit ihrer Last durch die Gassen zwischen endlosen Reihen von Hütten
       – manche aus Blech, manche aus Plastik – und setzt den Sack an einem
       Lehmhaus mit Strohdach ab. Drinnen zwei Betten, eine Baby-Hängematte, eine
       Holzkiste. Daraus holt sie einen neuen Läufer und breitet ihn für die
       Besucher vor dem Haus aus. Bevor sie spricht, lässt sie ihren Sohn für den
       Gast noch einen Hocker von der Nachbarin bringen.
       
       ## Die Erinnerung quält
       
       Djoubainartou ist mit ihrem ersten Mann aus dem 500 Kilometer entfernten
       Bossembélé aus der Zentralafrikanischen Republik zuerst nach Nordkamerun
       geflohen. Dort hat sie ihren Mann verlassen, der sie schlug. Das Problem
       sei, dass die beiden gemeinsamen Kinder bei dem Vater registriert sind,
       obwohl sie bei ihr in Mbilé leben. Für die Kinder erhalte sie daher keine
       Lebensmittel. Außerdem gibt es Probleme, wenn ein Kind krank wird. Seit sie
       hier die Zweitfrau eines Mannes geworden ist, geht es ihr besser. Zwei
       weitere Kinder wurden geboren. Um alle durchzubringen, verkauft
       Djoubainartou Bananen und Holz.
       
       Polygamie ist in Kamerun verbreitet und ein zusätzliches Hindernis für die
       Hilfe. Denn bei einer Vielehe gilt der Mann als das Oberhaupt. Er
       entscheidet, welche Frau wie viel bekommt. Seit Februar 2017 läuft in
       Timangolo nun ein Cash-Transfer-System des Welternährungsprogramms. Drei
       Stunden Fahrt von Mbilé entfernt hat das Dorf mit 3.500 Einwohnern 7.500
       Flüchtlinge aufgenommen. Jeder Haushalt, also auch jede einzelne Ehefrau,
       ist im Besitz eines Mobiltelefons und einer Karte, auf der das WFP
       monatlich Geld einzahlt. 40.000 Geldempfänger gibt es mittlerweile in
       Ostkamerun, 8 Euro bekommen sie pro Person und Monat. So können sie ihre
       Lebensmittel selbst kaufen.
       
       Adamou Ibrahim, 30, ist ein Oberhaupt. Er hat zwei Frauen und sechs Kinder.
       In der Zentralafrikanischen Republik war er Goldhändler, 2014 floh er nach
       Ostkamerun. Drei Monate Fußmarsch. Die Erinnerung quält ihn, sein Bruder
       und ein Onkel seien vor seinen Augen ermordet worden, Gendarmen erpressten
       und schikanierten alle. Die Familie habe ihr Vermögen samt 200 Rindern
       verloren. In Timangolo betreibt Ibrahim nun einen kleinen Laden mit Waren
       für Flüchtlinge. Er verdient nicht viel, aber besser als nichts. Niemand
       wolle betteln.
       
       Die Flüchtlingshilfe ist manchmal heikel. Immer wieder kommt es zu
       Konflikten zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen. Ein Agrarprojekt in
       Boubara, einem Dorf, das 2.000 Flüchtlinge aufnahm, soll diese mildern. Die
       Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik sind meist Hirten, die
       Einheimischen Bauern. Weiden können Anlass für Streit sein. Die Kamerunerin
       Amina, 55, ist Mutter von acht Kindern. Mit zwölf anderen Freiwilligen,
       sieben Bauern und fünf Hirten, hat sie eine „Peaceful Platform“ gegründet.
       Für 100 US-Dollar stellte ein Mitglied Land zur Verfügung, dort wächst nun
       nährstoffreiches Weidegras.
       
       Wenn es nun zum Streit kommt, holt niemand mehr die Polizei, sondern
       jemanden von der Plattform. Gemeinsam versucht man, den Konflikt
       beizulegen. Falls er sich nicht anders lösen lässt, bekommen die
       Flüchtlinge Weidegras für ihr Vieh umsonst. Amina fürchtet nur, dass das
       Projekt nicht von Dauer sein wird, so sehr zehrt es an ihr. Sie selbst muss
       sich um ihren älteren Mann kümmern, aber trotzdem: „Flüchtlinge bringen uns
       allen Vorteile: neue Schulklassen, Krankenhäuser, Brunnen. Erst haben wir
       ihnen geholfen, jetzt erreicht die Hilfe auch uns.“
       
       Das Brikett-Projekt in Mbilé ist nun aber in Gefahr. Gestartet wurde es
       2014 mit einem Fonds von EU, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.
       Die Briketts sind ein Erfolg, dank ihnen leben die Frauen sicherer und die
       Rivalität um Brennholz nahm ab. Aber nach der Pilotphase Ende Mai bekommen
       die Frauen kein Geld mehr für die Arbeit. Die Deutsche Gesellschaft für
       Internationale Zusammenarbeit verhandelt mit dem UNHCR, damit wenigstens
       die Transportkosten für Sägemehl übernommen werden. „Ich werde trotzdem
       arbeiten gehen“, sagt Ibrahim Kadjidja. „Jeden Tag zur Frühschicht, von
       acht bis zwölf“.
       
       Die Reisekosten wurden von der Generaldirektion für Humanitäre Hilfe und
       Katastrophenschutz der EU-Kommission (ECHO) übernommen
       
       27 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Irina Serdyuk
       
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