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       # taz.de -- Bremen stimmt über Wahlperiode ab: Weniger Demokratie wagen
       
       > Bremer dürfen parallel zur Bundestagswahl am 24. September entscheiden,
       > ob sie weiter alle vier oder zukünftig alle fünf Jahre die Bürgerschaft
       > wählen wollen
       
   IMG Bild: High Five für fünf Jahre Legislaturperiode: Lencke Steiner (FDP) und ihr Ehemann Philipp Steiner freuen sich, hier allerdings über den Wahlausgang 2015
       
       BREMEN taz | Kantig dick und schreiend groß steht „Nein“ auf 500
       Kampagneplakaten der Bremer Linken. Das apodiktische Statement stellten sie
       gestern vor und wollen es zum Auftakt der Bundestagswahlwerbung am nächsten
       Wochenende an Bäume nageln und an Zäune drahten. Um sich als einzige der
       Regierungs- und Oppositionsparteien deutlich zum dritten Volksentscheid der
       Hansestadt zu positionieren.
       
       Denn weniger Demokratie wagen – das will jetzt auch Bremen. Die Bürger
       sollen sich nicht mehr alle vier, sondern nur noch alle fünf Jahre per
       Landtagswahl politisch äußern. So wünschen es Abgeordnete in einer
       parteiübergreifenden Initiative. Mit dem großen Ziel: „Optimierung der
       Funktionsfähigkeit“ der Bremischen Bürgerschaft.
       
       Da es sich bei der Verlängerung der Wahlperiode um eine Verfassungsänderung
       handelt, hat der Landtag beschlossen, sie direkt von den Bürgern absegnen
       zu lassen. Das soll parallel zur Bundestagswahl am 24. September geschehen.
       Sollten sich die Wahlberechtigten mit einfacher Mehrheit für eine
       Rhythmusänderung beim Urnengang aussprechen, würde die Neuregelung ab 2019
       zum Zuge kommen.
       
       Im Nachkriegsdeutschland hatte sich über Jahrzehnte eine vierjährige
       Wahlperiode etabliert. Nach der Wiedervereinigung wurde sie peu à peu von
       den Bundesländern um ein Jahr verlängert. In Niedersachsen war dies 1998
       der Fall, in Hamburg 2015. Seither gibt es bundesweit nur noch in Bremen
       den Vierjahres-Turnus.
       
       Dem einstimmig von den Fraktionen beschlossene Antrag zum Volksentscheid
       ist zu entnehmen, dass weniger Wahlgänge die Arbeit der Abgeordneten
       „effektiviert“ – weil mit der Einarbeitungszeit auch „die
       Umsetzungsmöglichkeit komplexerer Gesetzesvorhaben“ wachse. Da sich im
       ersten halben Jahr nach Volkes Stimmenabgabe die Politiker erst einmal
       schütteln sowie in neuen Konstellationen zurechtfinden müssten und das
       letzte Legislaturjahr zunehmend dem Wahlkampf widmeten, gerieten gerade
       größere politische Initiativen „oft ins Stocken oder fallen gar der
       sogenannten Diskontinuität zum Opfer“.
       
       Doris Achelwilm meint hingegen, es gehe hier um „Probleme, die keiner hat“.
       Eingeschränkt werden sollen „Wahlen als lästige Unterbrechung des
       Arbeitsalltags“, verlängert würden Amtszeiten. Schon die Formulierung zur
       Volksbefragung ist ihr suspekt. Nicht ob die bisherige Regelung
       beibehalten, sondern ob sie geändert werden soll, sei dort zu lesen.
       Deswegen: „Nein“.
       
       Im schwerfälligen Politapparat könne man sich in vier Jahren in ausreichend
       Themen einarbeiten, argumentiert Linken-Landesprecher Felix Pithan. Zudem
       sei es in Zeiten sinkender Wahlbeteiligung das falsche Signal,
       „demokratische Entscheidungsmöglichkeiten abzubauen“. Für Achelwilm kann es
       gar nicht genug Partizipationsmöglichkeiten und Wahlzeiten geben. Habe man
       darin doch die größte Aufmerksamkeit der Bürger und könne auch mal Themen
       ansprechen, die sonst untergingen.
       
       Aus den Reihen der CDU heißt es, das Interesse der Bürger an Politik und
       Wahlbeteiligung hänge nicht an der Länge der Wahlperiode. „Entscheidend ist
       die konkrete Politikgestaltung und die Frage, inwieweit eine Regierung die
       tatsächlichen Themen und Probleme der Bürger erkennt und aufgreift.“ Zudem
       könne „auch die Kostenfrage ein Argument für eine fünfjährige
       Legislaturperiode sein“.
       
       Seltener wählen spart tatsächlich Geld. Das komplette Procedere einer
       Bürgerschaftswahl kostet laut Landeswahlleiterin Evelyn Temme „gut drei
       Millionen Euro“. Wenn also in den kommenden 20 Jahren nur vier- statt
       fünfmal zur Urne geschritten werde, dann wären in jedem dieser Jahre
       150.000 Euro mehr im Stadtsäckel.
       
       Und da auch das Europaparlament eine Wahlperiode von fünf Jahren hat,
       könnten zukünftig beide Stimmabgaben zeitgleich durchgeführt werden, was
       wiederum Kosten spare und „zu einer Aufwertung beider Wahlen“ führe,
       ergänzt der FDP-Landesvorsitzende Hauke Hilz. Er ist wie CDU und SPD für
       einen fünfjährigen Wahl-Turnus. Diese Parteien unterlassen es allerdings,
       ihren Anhängern allzu deutlich eine Entscheidung nahezulegen. Die Grünen
       halten sich ganz raus und teilen mit, sie würden ganz „auf das Votum der
       Bürger vertrauen“.
       
       28 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Fischer
       
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