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       # taz.de -- Vor der Wahl in Kenia: Dauerstau wäre besser
       
       > Vor zehn Jahren führte die Wahl zu wochenlangem Blutvergießen. Nun ist
       > die Angst vor Gewalt wieder groß, die Straßen sind wie leergefegt.
       
   IMG Bild: Beten, dass es friedlich bleibt: Friedenskundgebung am Sonntag in Nairobi
       
       Nairobi taz | Auf dem Gemüsemarkt mangelt es an Kartoffeln, Zwiebeln und
       Bohnen. „Ich kann sie nicht anschleppen“, sagt die Marktfrau mit buntem
       Kopftuch und grüner Schürze. „Vielleicht bekomme ich morgen noch welche.
       Ich kann nichts dafür.“ Als Erklärung deutet sie mit einem Finger auf die
       Wahlplakate auf der Mauer hinter ihr. „Die Wahlen sind schuld. Die Menschen
       hamstern wie wahnsinnig.“
       
       Die Wahlen am 8. August sind so ungefähr das Einzige, worüber momentan in
       Kenia geredet wird. Vor allem über die Angst vor Gewalt. „Ich bin froh,
       dass die Geschäfte jetzt so gut gehen. Du wirst mich nämlich nicht so
       schnell wiedersehen. Ich bleibe zu Hause und warte ab“, sagt die Marktfrau.
       Dann beschäftigt sie sich mit dem nächsten Kunden.
       
       Vor zehn Jahren führten die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Kenia
       zu wochenlangem Blutvergießen. Mehr als 1.300 Menschen kamen um und eine
       halbe Million wurden aus ihren Häusern vertrieben. Kenianer waren
       erschüttert über die Bilder, die sie sonst nur aus Nachbarländern kannten:
       Leichen auf den Straßen; johlende junge Männer mit abgeschnittenen
       Körperteilen ihrer Feinde; Frauen die ihre enthaupteten Ehemänner begraben.
       
       Kenianer haben das noch lange nicht vergessen. „Ich kann noch immer nicht
       fassen, dass wir Kenianer zu so etwas imstande waren“, sagt meine Nachbarin
       kopfschüttelnd. „Ich will das nicht nochmal erleben. Ich gehe nicht aus dem
       Haus, bis alles vorbei ist. Ich werde auch kein Fernsehen schauen, nur
       Radio hören. Ich schließe die Welt draußen weg.“
       
       ## Auslandsflüge sind ausgebucht
       
       Mit der Angst vor neuer Gewalt werden Geschäfte gemacht. Wachfirmen
       schicken ihren Kunden Rundbriefe mit Listen, was zu tun und was nicht zu
       tun ist. Obenan steht, dass man für mehr Bewachung sorgen soll. Auch soll
       man viel Bargeld im Haus aufbewahren, denn wenn es Krawalle gibt, sind
       Banken und Geldautomaten die ersten Ziele. Und man soll genügend Nahrung
       für zwei Wochen einkaufen und vor allem so oft wie möglich zu Hause
       bleiben.
       
       Kenianer sind keine zahmen Schafe, die machen, was ein Rundbrief ihnen
       vorschreibt – aber dieses Mal scheinen viele artig zu folgen.
       
       Mein Automechaniker schließt seinen Laden. Er hatte in den letzten Wochen
       Dutzende Autos zur Inspektion. Jeder will sein Auto in Topform haben:
       „Manche Kunden denken, dass sie fliehen müssen. Die Panik hat Kenia
       wirklich im Griff. Ich schließe den Laden nicht aus Angst – sondern weil
       ich für August keinen einzigen Auftrag habe.“
       
       Die Flugzeuge ins Ausland sind im nächsten Monat ausgebucht, auch die Busse
       in die Nachbarländer Uganda und Tansania. Fabriken fahren die Produktion
       herunter. Internationale Konzerne und Botschaften raten ihren Mitarbeitern,
       im August Urlaub zu machen. Die Schulen sind sowieso wegen Ferien
       geschlossen.
       
       ## Raila Odinga will es noch einmal wissen
       
       Warum gibt es jetzt so viel mehr Angst als bei den letzten Wahlen im Jahr
       2013? Anhänger verschiedener politischer Parteien sehen die Verantwortung
       bei der Opposition, die immer noch vom Altpolitiker Raila Odinga geführt
       wird. 2007 hielt sich Odinga für den Wahlsieger, und als seine Niederlage
       proklamiert wurde, gingen seine Anhänger wütend auf die Straße, was eine
       Gewaltspirale in Gang setzte. 2013 verlor Odinga wieder knapp – aber
       diesmal zog er vor Gericht. Er verlor, aber seine Fans blieben ruhig.
       
       Jetzt sagen Oppositionsanhänger, dass sie nicht mehr vor Gericht gehen
       werden. Heißt das, dass sie auf der Straße kämpfen wollen? Und was machen
       dann Regierungsanhänger?
       
       Die vielen Lastwagen von Armee und Polizei, die jetzt schon Mannschaften zu
       möglichen Brennpunkten bringen, beruhigen jedenfalls nicht. Aber immerhin:
       Bis zu den Wahlen können Autofahrer in Nairobi fließenden Verkehr genießen.
       Die normalen Staus sind mehr oder weniger verschwunden. Die Stadt wird
       leerer. Freunde in einem anderen Viertel zu besuchen ist keine
       Tagesexpedition mehr.
       
       „Ich genieße das“, sagt ein Autofahrer an der Tankstelle. „Aber wenn ich
       die Wahl habe, dann lieber Stau als Gewalt.“
       
       1 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
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