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       # taz.de -- Amon-Düül-Sängerin über neues Projekt: „Eine Art Urschrei“
       
       > Renate Knaup hat mit Amon Düül II Musikgeschichte geschrieben. Nun tritt
       > sie zusammen mit Dot Product beim Krake Festival in Berlin auf.
       
   IMG Bild: „Als ich das eingesungen habe, lagen die Männer auf dem Boden“, Renate Knaup
       
       taz: Frau Knaup, man kennt Sie als Sängerin alter Bands wie Amon Düül II
       und Popol Vuh. Nun haben Sie mit dem Bristoler Electronic-Duo Dot Product
       ein neues Projekt. Wie kam ’s dazu? 
       
       Renate Knaup: Wir haben uns während des Atonal Festivals letztes Jahr
       kennengelernt. Dot Product haben dort gespielt, ich fand das toll, was die
       gemacht haben. Zwei Monate später haben wir schon zusammen gejammt.
       Inzwischen wohnen die beiden – Chris Jarman und Adam Winchester – auch in
       Berlin. Ich glaube schon, dass wir auch ins Studio gehen werden.
       
       Man würde Sie eher mit handgemachter Musik assoziieren – Dot Product
       dagegen experimentieren mit Elektronik. Ergänzt sich das gut? 
       
       Die machen auch Handgemachtes. Das ist für mich ja das Interessante. Sie
       nehmen etwas Gegebenes und jagen das durch ihre Effektgeräte. Zum Beispiel
       der Sound einer Eisscholle, die an eine Kaimauer klatscht – dieses
       „Krch-krch“. Oder den Klang eines Aufzugs oder einer Rolltreppe. Nur
       erkennt man das dann nicht mehr. Oder sie gehen mit einem Pick-up-Coil (ein
       Tonabnehmer, d. Red) an andere elektronische Geräte wie an Handys oder an
       dieses Teil (zeigt auf das Diktiergerät). Da kommt dann etwas ziemlich
       Irres raus.
       
       Und Sie singen dazu? 
       
       Ja, ich höre mir das an und lasse mich inspirieren. Anfänglich haben die
       beiden meine Stimme auch durch einen Frequencer geschickt. Das gefiel mir
       aber nicht. Jetzt arbeite ich mit zwei Mikrofonen. Auf dem einen wir der
       Gesang digital verändert, das andere ist klarstimmig.
       
       Sie gehörten damals zu den Protagonistinnen einer Generation, die in
       Deutschland ein eigenständiges Genre begründet haben, meist „Krautrock“
       genannt. Wenn Sie die zig Retrospektiven von Kraftwerk, Can und Co
       anschauen, kommt Amon Düül II da zu schlecht weg? 
       
       Ja. Aber ich bin nicht bitter deswegen. Die anderen haben halt irgendetwas
       besser gemacht. Wir hatten nie einen Leader, der vorangegangen ist und
       bestimmt hat: „Wir machen das jetzt so und so.“ Wir treten ja heute noch
       auf, meistens im Ausland – in anderen Ländern lieben sie uns meistens, da
       muss man sich auch nicht dafür entschuldigen, dass man „Amon Düül“ heißt.
       Inzwischen hört uns die dritte Generation zu. Die Eltern von Chris, mit dem
       ich jetzt zusammenspiele, hatten unsere Alben im Plattenschrank stehen. Ist
       doch crazy.
       
       Was war das Neue am Amon-Düül-Sound damals? 
       
       Die Rhythmik und der Klang als solches. Die Gitarrenriffs waren nicht
       englisch oder angloamerikanisch geprägt, sondern da kamen auch
       weltmusikalische Einflüsse dazu und Jazz sowieso. Das kam vor allem von
       unserem Gitarristen Chris Karrer, das war unser Freak, im positiven Sinne.
       Wir haben ja damals schon eine Schalmei und solche Instrumente benutzt. Und
       ich habe dazu mal so, mal so gesungen, ich hatte ja keine kontinuierliche
       Stimmlage. Mir hat das Spaß gemacht zu modellieren und andere Sachen
       auszuprobieren. Das hat sich gut ergänzt.
       
       Sie waren unter den ständigen Mitgliedern bei Amon Düül die einzige Frau.
       Sie haben mal gesagt, dass Sie in eine musikalische Macho-Mafia reingeraten
       sind. 
       
       Ja, ich bin mir bis heute noch nicht sicher, ob die das blöd fanden, dass
       ich da plötzlich aufgetaucht bin. Ich kannte die anderen von früher, wir
       hatten zusammen Jazz gehört und so. Als ich mitbekam, dass die zusammen
       Musik machen, bin ich einfach hingefahren. Ich bin zwar begabt – meine
       Eltern waren beide sehr gute Sänger –, aber ich hatte nichts vorzuweisen,
       abgesehen davon, dass ich im Kirchenchor gesungen hatte … Ich wollte
       unbedingt eigene Songs machen, ich stand wahnsinnig auf Soul. Aber ich
       musste wahnsinnig hart kämpfen um meinen Platz in der Gruppe.
       
       Bei „Archangel Thunderbird“, einem der bekanntesten Amon-Düül-Stücke,
       singen Sie sich durch alle Stimmlagen und wirken dabei … 
       
       … das Lied war wie eine Geburt für mich. Die anderen waren schon im Studio,
       und ich habe zu Hause an der Gesangsmelodie gearbeitet, bis sie einfach so
       rausploppte. Ich fuhr dann ins Studio und sagte: „Ich hab’s fertig.“ Als
       ich es gesungen hatte, lagen die Männer fertig am Boden. Das hatten die
       nicht erwartet. Ich habe das nur ein einziges Mal gesungen, in einem Take
       aufgenommen. Das war wie eine Art Urschrei.
       
       Eine Befreiung? 
       
       Total. Und diese Musik war auch völlig enthemmt, um der Enge der Zeit etwas
       entgegenzusetzen. Es war nicht einfach für uns diese neuen Wege zu gehen
       und zu sagen: wir machen’s anders.
       
       Siggi Loch, Gründer des Labels ATC, hat Amon Düüls Musik mal als
       „musikalischen Terror“, als „RAF musikalisch“ bezeichnet. 
       
       Es war natürlich zum Teil absichtlich destruktiv und schräg. Wenn wir mit
       „Eye-Shaking King“ unsere Konzerte begannen, hat es die Leute erst mal so
       nach hinten gedrückt, als würde man mit der Walze auf sie zurollen. Wir
       hatten zwei Drummer, die sich hochgespielt haben, dann brachen die Gitarren
       los. Brachial und heavy, ein guter Opener.
       
       Überwältigung und Überforderung mit Sound – ist das die Verbindung zu dem,
       was Sie nun mit Dot Product machen? 
       
       Unser Ziel war damals, einen Sound zu haben, den sonst keiner hat. Für
       unser Album „Wolf City“ sind wir damals in ein Studio gegangen, das
       spezielle Sound-Stücke hatte, und haben Vogelgezwitscher oder den Klang
       einer Säge eingebaut. Und zu elektronischer Musik hatte ich schon immer
       eine Affinität, wir haben ja auch analoge Synthesizer benutzt. Aber bei dem
       aktuellen Projekt ist noch Luft nach oben, wir sind gerade erst am Anfang.
       Bislang haben wir viel improvisiert, es war so ein Antasten. Aber das, was
       wir angetastet haben, funktioniert gut.
       
       29 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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