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       # taz.de -- Berlin und die Wildschweine: Eine Riesensauerei
       
       > Vandalismus in Parks und Gärten, ein Sicherheitsrisiko für Anwohner und
       > Pkw-Fahrer: Berlin habe ein Wildschwein-Problem, meint ein
       > CDU-Abgeordneter.
       
   IMG Bild: Eigentlich sind die Schwarzkittel doch ganz nett…
       
       Berlin hat bekanntlich viele Probleme: zu wenig günstige Wohnungen, zu
       viele schlecht bezahlte Jobs, zu volle Straßen, zu viel Lärm und so weiter
       und so fort. Nun legt die CDU den Finger in eine weitere Wunde: „Der Senat
       muss endlich das Wildschwein-Problem angehen“, forderte kürzlich der
       bezirkspolitische Sprecher der Fraktion im Abgeordnetenhaus, Stephan
       Schmidt. Der Bestand an Wildschweinen im Berliner Stadtgebiet sei in den
       letzten zwanzig Jahren „rasant angestiegen“. Dennoch fehle es bis heute „an
       einer nachhaltigen Strategie“ zum Umgang mit den daraus resultierenden
       Problemen.
       
       Die Vorwürfe, die Schmidt dem sogenannten Schwarzwild anhängt, haben es in
       sich: Es gebe durch die Tiere „teilweise erhebliche Sachschäden in Parks
       und privaten Gärten“ sowie „erhebliche Gefahren für den Straßenverkehr“.
       Zudem gehe von Bachen mit Frischlingen eine „unmittelbare Gefahr für
       Menschen, insbesondere für Kinder“ aus.
       
       Da kann der Wildtierexperte des Senats, Derk Ehlert, nur staunen. Zunächst
       einmal gebe es gar keine rasante Zunahme von Wildschweinen in Berlin. „Das
       sieht man an den Jagdstrecken“, erklärt er – also der Anzahl der Tiere, die
       jährlich von den rund 200 Berliner Jägern erlegt werden. Die liegt seit
       Jahren um die 1.500 pro Jahr, in der Saison 2010/11 waren es mal 2.500,
       2008/09 sogar mal 3.500. Die Jagdstrecke ist laut Ehlert die einzige Zahl,
       an der man den Bestand messen kann – Wildtiere lassen sich bekanntlich
       nicht gut zählen.
       
       Dass die Spezies zu bestimmten Jahreszeiten für uns Menschen sichtbarer
       wird, etwa im Sommer, wenn die Frischlinge größer sind und mehr Futter
       brauchen, sei nichts Neues, so Ehlert. Darum hätten inzwischen auch so
       ziemlich alle Eigentümer mit Grundstücken in Waldnähe ihre Gärten
       „hermetisch abgeriegelt“, etwa mit schweren Metall- oder dichten
       Holzzäunen.
       
       Auch die von CDU-Schmidt heraufbeschworene „unmittelbare Gefahr“ für
       Menschen durch Bachen sieht der Wildtierexperte nicht – sofern man einige
       Verhaltensregeln einhält. So solle man ihnen „mit Respekt begegnen“, bei
       einer Begegnung erst mal stehen bleiben und durch Rufen auf sich aufmerksam
       machen. „Man muss sicher sein, dass einen die ganze Rotte gesehen hat,
       nicht dass ein Tier erschrickt und deswegen aggressiv wird.“
       
       Auf der Webseite der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz,
       wo ausführliche Tipps zu Wildtieren in der Stadt zu finden sind, steht
       überdies der Hinweis, dass man Ruhe bewahren und dem oder den Tieren eine
       Rückzugsmöglichkeit lassen soll. „Langsame Bewegungen und ausreichend
       Abstand sind wichtige Grundregeln.“ Von sich aus würden die Tiere „kaum“
       Menschen angreifen.
       
       Zu Schmidts Kritik, Wildschweine bedeuteten Gefahren für den
       Straßenverkehr, sagt Ehlert: Wichtig sei nach einer Kollision von Auto und
       Wildschwein immer, die Polizei zu rufen. Verletzte Tiere würden, sofern sie
       noch können, wegrennen. „Und die sind in der Tat aggressiv“, erklärt er.
       Die Polizei würde am nächsten Morgen einen Förster zur Unfallstelle rufen,
       und der würde mit seinem Hund das verletzte Wildschwein ausfindig machen –
       und gegebenenfalls töten.
       
       Wenig anfangen kann der Senatsexperte auch mit den Forderungen, die Schmidt
       an die Adresse der Regierung formuliert. Es sei eine „breite Aufklärung der
       Bevölkerung vonnöten“ bezüglich des richtigen Verhaltens – etwa dass man
       keine Speisereste im Park liegen lassen soll, weil dies ganze Rotten
       anzieht. Außerdem solle man, so Schmidt, zur effektiven Kontrolle der
       Population „Mittel verfüttern, welche die Fruchtbarkeit einschränken“.
       Sollte auch das nichts nützen, müsste man eben „eine intensivere Bejagung
       des Schwarzwilds“ vornehmen.
       
       Dazu Ehlert: Die Aufklärung der Bevölkerung werde seit 15 Jahren intensiv
       betrieben. „Berlin ist bundesweit Vorreiter, was die Öffentlichkeitsarbeit
       zu Wildtieren betrifft“, erklärt er. Was die Geburtenkontrolle angeht, so
       sei in ganz Deutschland schon viel ausprobiert worden, etwa Antibabypillen
       für Bachen in Gehegen. Aber bislang gebe es noch keine erprobten und
       effektiven Mittel für wilde Schweine. „Man müsste die Bachen ja erst im
       Freiland alle markieren und an Fütterungsplätze gewöhnen“, wo man ihnen das
       Mittel verabreichen könne.
       
       Auch eine intensivere Bejagung werde nicht helfen, fürchtet Ehlert. Schon
       jetzt gebe es keine Schonzeit mehr für Wildschweine, anders als andere
       Tiere dürfen sie das ganze Jahr geschossen werden, erklärt er. Zudem habe
       Berlin „sehr gute Jäger“, die täten, was sie könnten (schon allein, weil
       sie für die Jagdlizenz bezahlen müssen). Aber da der Berliner Wald ein
       Erholungswald sei, „wo Sie und ich überall herumlaufen können“, könnten die
       Jäger nur an ausgewählten Plätzen überhaupt schießen. Das erlegte Wild
       müssen sie übrigens bei den Förstern abgeben, die wiederum verkaufen es an
       die Wildhändler.
       
       Ehlerts Fazit: „Alle Bundesländer würden etwas darum geben, wenn sie den
       Wildschweinbestand reduzieren könnten.“
       
       Vor 50 Jahren seien in einem Jahr bundesweit 50.000 Tiere erlegt worden –
       heute seien es zehnmal so viele. Die Gründe sieht er in dem „gigantischen
       Futterangebot“ durch die industrielle Landwirtschaft. Zudem gebe es keine
       Schweinepest mehr, „die früher die Bestände immer wieder erheblich
       reduziert hat“. Aber auch in den Berliner Forsten gebe es für die
       Allesfresser ein breites Angebot an Eicheln, Bucheckern, Insekten,
       Kleinnagern, Jungwild, Aas. Von dort ziehen die Tiere laut Ehlert dann im
       Sommer zur Nahrungssuche gern in die städtischen Parks weiter.
       
       „Letztlich gibt es überhaupt keine Problemtiere“, findet Ehlert. „Die
       Gesellschaft ist das Problem. Die Tiere kommen dorthin, wo gute
       Lebensbedingungen für sie herrschen.“
       
       31 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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