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       # taz.de -- Migration aus der Türkei: Keine Baklava ohne „Gastarbeiter“
       
       > Çağdaş Yüksel dreht einen Dokumentarfilm über Deutschlands erste
       > „Gastarbeiter“. Er soll, wenn das Crowdfunding erfolgreich ist, 2018 in
       > die Kinos kommen.
       
   IMG Bild: Opa und Oma des Regisseurs in Mönchengladbach
       
       Çağdaş Yüksel, 23-jähriger Filmemacher aus Mönchengladbach, finanzierte
       seinen ersten Kinofilm „Asyland“ (2015) über ein Crowdfunding. Nun arbeitet
       er an „[1][Gleis 11]“, einem Dokumentarfilm zur ersten türkeistämmigen
       Arbeitergeneration im Deutschland der sechziger Jahre. Der Film wird auf
       Deutsch und Türkisch gedreht und soll im Frühjahr 2018 in die Kinos kommen.
       1966 kam Yüksels Großvater aus Adana nach Mönchengladbach. Seinen Großvater
       hat er nie kennengelernt. In „Gleis 11“ will er sich nun auf die Suchen
       nach der Geschichte seines Großvaters und der vieler anderer „Gastarbeiter“
       begeben.
       
       [2][Für den Dokumentarfilm wird bis zum 30.07. noch per Crowdfunding
       gesammelt.] 
       
       ## taz.gazete: Obwohl Deutschland von 1961 bis 1973 über zwei Millionen
       Menschen als sogenannte Gastarbeiter ins Land holte, gibt es heute
       verhältnismäßig wenig Kinofilme und Dokumentationen zu dem Thema. Man kennt
       die Komödie „Almanya“ von den Şamdereli-Schwestern, sonst wenig. Woran
       liegt das?
       
       Gerade in der Kreativ-Branche dauert es einfach lange bis unsere Generation
       und die deutsch-türkische Kultur da ankommt. Es gibt proportional zur
       deutschen Mehrheit nicht so viele von uns. Klar, es gibt Fatih Akin. Man
       muss einfach den ersten Schritt machen, ohne ewig zu analysieren.
       
       ## Und das machen Sie jetzt mit „Gleis 11“. Wie kamen Sie zu dem Thema?
       
       Ich habe meinen Opa nie kennengelernt und sehr viele andere dieser
       Generation werden auch nicht mehr lange leben. Da wäre es schade, wenn die
       vielen Geschichten verloren gehen. Irgendjemand hatte immer irgendeine
       Geschichte und ich habe mir die gern angehört. Ich liebe die Nostalgie
       darin, dass alle schon anfangen zu lächeln, bevor die Geschichte losgeht.
       Ich hab meinen Opa nie kennengelernt und sehr viele andere dieser
       Generation werden auch nicht mehr lange leben. Da wäre es schade, wenn die
       vielen Geschichten mit den Menschen verloren gehen.
       
       ## Ist eine Geschichte besonders hängen geblieben?
       
       Es gibt eine Erzählung, in der den „Gastarbeitern“, die mit dem Zug
       ankamen, vom Auswärtigen Amt gesagt wurde, die Zug-Route führe genau am
       Eisernen Vorhang vorbei. Diese Menschen haben mehrere Stunden links und
       rechts aus dem Fenster geschaut, nach einem Vorhang gesucht und nichts
       gefunden. Das ist so süß. Die Recherche ist wie ein nostalgischer
       Kaffeeklatsch.
       
       ## Gab es auch negative Erinnerungen aus der Zeit?
       
       Klar es gibt viele Menschen, die sich noch sehr genau an Rassismus und
       Diskriminierung erinnern. Es gibt eine Umfrage aus dem Jahr 1965, in der
       haben 27 Prozent der Deutschen die „Gastarbeiter“ befürwortet – der Rest
       eben nicht. Das zeigt, dass es gesellschaftlich nicht sonderlich akzeptiert
       war und es erst einmal um den wirtschaftlichen Faktor ging.
       
       ## Wie kam es zum Titel des Films?
       
       Die ersten Züge aus Istanbul-Sirkeci kamen am Gleis 11 am Münchner
       Hauptbahnhof an. Das finde ich schön: Organisatorisch war alles perfekt
       durchgeplant und dann kamen sie auf dem Münchner Bahnhof an und keiner
       wusste, was nun mit diesen Menschen passiert.
       
       ## Erkennen Sie Fehler im Umgang Deutschlands mit den „Gastarbeitern“
       damals, die bis heute nachwirken?
       
       Menschen wurden damals in Massenunterkünfte gesteckt. Genau diesen Fehler
       machen wir ja heute bei den Flüchtlingen auch: 500 Leute leben auf engstem
       Raum. Da muss man kein Soziologe sein, um zu erkennen, dass Integration so
       einfach nicht funktionieren wird. Für die Türkei war die Entsendung ein
       wirtschaftlicher Push-Faktor: es wurden viele Gelder aus Deutschland in die
       Türkei überwiesen. Der türkische Wohlstand kommt auch noch aus der
       „Gastarbeiter“-Zeit. Insofern denke ich: Alle Beteiligten wussten damals
       nicht so recht, was sie da machen und worauf es hinausläuft.
       
       ## Das Gefühl der Fremde spielt in „Asyland“ und auch bei „Gleis 11“ eine
       große Rolle. Auch viele Jugendliche fühlen sich in der heutigen
       Gesellschaft, in der sie geboren wurden, fremd. Wo ist der Unterschied zum
       Fremd-Gefühl der 1. Generation?
       
       Ich glaube, es gibt einen Zusammenhang zwischen Rassismus und
       Diskriminierungserfahrungen hier und dem Wunsch zur Nähe zur Türkei. Ich
       denke, sehr viele Leute, die in Deutschland leben und geboren sind und noch
       nie in der Türkei gelebt haben, wissen eigentlich wenig über die Türkei.
       Aber sie fühlen sich umso stärker hingezogen, weil sie sich hier vielleicht
       ausgegrenzt fühlen. Das muss man schon ernst nehmen. Man darf solche Leute,
       wie AfD-Wähler, nicht einfach in eine Ecke stellen. Aber das sind
       grundsätzlich andere Erfahrungen, als die der ersten Generation.
       
       ## Wie weit sind Sie mit dem Film?[3][[Link auf
       https://www.facebook.com/pg/gleiself/videos/?ref=page_internal]]
       
       Mit der Produktion haben wir noch nicht angefangen, ich lege Wert darauf,
       lange zu recherchieren. So ein Thema ist gerade in der heutigen Zeit
       heikel: Ich werde oft gefragt, wer denn dahinter stecke, ob es einen
       politischen Einfluss gibt. Um die aktuelle politische Ebene rauszunehmen,
       nahm und nehme ich mir sehr viel Zeit zu recherchieren, mir Geschichten
       anzuhören und Protagonisten zu finden.
       
       ## Es gibt also viele Menschen, die vermuten, dass mit dem Film in eine
       politische Richtung argumentiert werden soll?
       
       Ja absolut. Du wirst momentan als Deutschtürke überall, von jedem Deutschen
       und Türken auf deine politische Meinung angesprochen. Für Erdogan, gegen
       Erdogan. Die Gastarbeiter-Bewegung hat auch nichts mit der aktuellen
       Politik oder EU-Beziehungen zu tun. In erster Linie geht es um die
       Erfahrungen und Emotionen der ersten Generation.
       
       ## Wie schwer ist es für Sie unter diesen Voraussetzungen zu arbeiten?
       
       Man will einen schönen, nostalgischen Film machen und die Leute schreiben
       auf Facebook: Welche Organisation steckt genau hinter dem Projekt, mit wem
       kooperierst du? Und ich denke mir: Beruhige dich mal. Ich mache ja bewusst
       Crowdfunding, um den Film eben nicht mit Sendern, Unternehmen oder
       politischen Meinungen zu finanzieren.
       
       ## Was ist Ihnen sonst klar geworden bei der Recherche?
       
       Dass es auch so viele positive Geschichten gab, nicht alles nur negativ
       war. Die deutsch-türkische Freundschaft ist so viel wert, es lohnt sich
       einfach nicht, sie durch politische Akteure kaputt zu machen.
       
       12 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.facebook.com/gleiself/
   DIR [2] https://www.startnext.com/gleis11
   DIR [3] https://www.facebook.com/pg/gleiself/videos/?ref=page_internal
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yasmin Polat
       
       ## TAGS
       
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