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       # taz.de -- Tansanische Taarab-Musik und House: Wahlverwandt mit dem Berghain
       
       > Zwei Norweger haben Acid-House und tansanische Taarab-Musik fusioniert.
       > Das Ergebnis ist ein teils urplötzlich pulsierendes Klanggebilde.
       
   IMG Bild: Das traditionelle zimbabwische Musikinstrument „Mbira“
       
       Beinahe zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit die zwei Norweger Jacob
       Mafuleni und Gary Gritness den seinerzeit noch recht abenteuerlichen
       Versuch wagten, tansanische Taarab-Musik und Acid-House zu fusionieren. Mit
       allerhand Fördermitteln der Stiftung für Entwicklungshilfe ausgestattet,
       reiste das Duo Ende der neunziger Jahre nach Daressalam, um dort lokale
       Taarab-Ensembles und -Musiker aufzunehmen und die Aufnahmen anschließend in
       ein raviges Gewand zu kleiden.
       
       Das Ergebnis dieses mühsamen Unterfangens, Acid Queens „Tranzania“, ließe
       sich sowohl unter dem Weltmusik-Label als auch unter House labeln, ohne
       dass man das Gefühl hatte, es würde weder dem einen noch dem anderen
       angehören. Die Musik war letztendlich eher Bricolage denn Fusion: ein
       fragmentiertes Mosaik, dessen Einzelteile einander gegenseitig ausstellten.
       Oder zumindest ausstellen sollten. Immerhin blitzte das gleichberechtigte
       Nebeneinander als angestrebtes Ideal auf.
       
       Faktisch waren es dann doch eher der Taarab mit seinen Gesängen auf Swahili
       oder Arabisch und die ungewöhnlichen Sounds afrikanischer
       Saiteninstrumente, die, eingebettet zwischen hämmernden
       4-to-the-floor-Beats und sägenden Basslinien, als exotische Einsprengsel
       den Unterschied machten.
       
       Gelungene Verschmelzung ist indes ein sehr viel fragilerer Balanceakt der
       Kommunikation. Unter von vornherein erschwerten Bedingungen, die ihr
       allerhand Grenzziehungen – ob kulturell, geografisch oder geopolitisch –
       auferlegen. Sie verhandelt auf der Ebene des Klangs Identitäten.
       
       ## Mafuleni verkörpert Zimbabwes Mbira-Tradition
       
       Im besten Fall tauchen in diesem Prozess gänzlich neue Formen auf, deren
       wesenhafte Ambivalenz sich nie restlos in Stereotypen auflösen lässt:
       schillernde, in Wachs gepresste Pop-Kreolen. Insbesondere die
       experimentelleren Stränge elektronischer Musik suchen mit diesem Vorsatz
       seit einigen Jahren wieder verstärkt den Dialog mit dem afrikanischen
       Kontinent.
       
       Mit zum Teil äußerst spannenden, weil irritierenden Resultaten – man denke
       an Moritz von Oswalds Kollaboration mit Afrobeat-Begründer Tony Allen auf
       „Sounding Lines“, Mark Ernestus’ Ndagga-Projekt mit senegalesischen
       Mbalax-Musikern sowie Stefan Schneider (To Rococo Rot) und Sven Kacireks
       „Shadows Documents“-Album. Eine Aufzählung, die nun – mit Nachdruck – um
       Jacob Mafuleni & Gary Gritness’ „Batanidzo“-Album erweitert werden muss.
       
       Mafuleni verkörpert in dieser Zweierkonstellation Zimbabwes
       Mbira-Tradition, während sich Gritness’ musikalischer Hintergrund irgendwo
       zwischen Acid House und motorischem Funk bewegt. Die Mbira, hierzulande in
       ihrer einfachsten Form als Kalimba bekannt, ist ein Instrument, das vor
       allem der Untermalung eines bestimmten Trance-Rituals der Shona, einer
       Volksgruppe im Osten Simbabwes, dient: Bira nennt es sich.
       
       ## Bira und die Transzendenz
       
       Die verschiedenen Abwandlungen des Instruments (zum Beispiel als Likembe in
       Zentralafrika und Lulimba in Tansania) und dessen Stimmungen und
       Spielweisen sind fest in kulturelle Kontexte eingebunden. Dem Bira geht es
       um Transzendenz, um Selbstüberschreitung und den Kontakt zur Geisterwelt,
       die im Glaube der Shona die Wirklichkeit bestimmt. Das Ritual geht über
       Stunden, manchmal nächtelang.
       
       Fast unweigerlich kommt einem das Berghain in den Sinn – auch der Exzess in
       der Clubnacht sucht dieses Jenseits des Ich. Wahlverwandtschaften also.
       Mafulenis Spiel ist weich, viel Gefühl in den Fingerspitzen. Die Töne der
       Mbira verlieren dabei beinahe unmittelbar ihre Konturen, werden randlos. In
       Zyklen tauchen sie immer wieder aus diesem seltsam wohligen Klang-Delirium
       auf.
       
       Dem entgegnen Gritness’ Beat- und Bass-Texturen mit einer zunächst
       widersinnig anmutenden Härte und Drastik. Und doch: Wie magisch bewegt
       beginnt dieses Gebilde urplötzlich zu pulsieren, und dann ist sie da, diese
       unwirklich schillernde Fusion.
       
       6 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Henschel
       
       ## TAGS
       
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