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       # taz.de -- Erdogan-Ansprache in der Türkei: „Den Verrätern die Köpfe abreißen“
       
       > Der türkische Staatspräsident Erdogan hält ein Jahr nach dem
       > Putschversuch eine martialische Rede. Auch die Wiedereinführung der
       > Todesstrafe kommt darin vor.
       
   IMG Bild: Bei seiner Rede in Ankara: Erdogan
       
       Ankara dpa/afp | Ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei hat
       Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein unnachgiebiges Vorgehen gegen die
       Putschisten und deren Hintermänner angekündigt. „Sowohl die elenden
       Putschisten als auch jene, die sie auf uns gehetzt haben, werden von nun an
       keine Ruhe mehr finden“, sagte Erdogan bei einer Ansprache am Sonntagmorgen
       vor dem Parlament in Ankara. Er bekräftigte zugleich seine Bereitschaft zur
       Wiedereinführung der Todesstrafe, wofür eine Verfassungsänderung nötig
       wäre.
       
       Bei einer Gedenkfeier in Istanbul hatte Erdogan kurz zuvor gesagt, er
       wisse, wer hinter Terrororganisationen wie der Gülen-Bewegung, der
       kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
       stehe. „Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen.“ Es werde
       „kein Verräter ungestraft“ bleiben. Erdogan macht den in den USA lebenden
       Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Gülen weist
       das zurück.
       
       Parlamentspräsident Ismail Kahraman nannte Gülen einen „geisteskranken
       Schizophrenen“ und sagte: „Volk, Fahne, Koran, Glaube, Gebetsruf, Freiheit,
       Unabhängigkeit sind unsere Ehre, unsere Würde. Denjenigen, die unsere Werte
       angreifen, brechen wir die Hände, schneiden ihnen die Zunge ab und
       vernichten ihr Leben.“ Kahraman gehört der Regierungspartei AKP an, der
       Erdogan vorsteht.
       
       ## Scharfe Kritik an der EU
       
       Erdogan betonte in Ankara, einem Gesetz zur Wiedereinführung der
       Todesstrafe würde er sofort zustimmen. „Wenn es ins Parlament kommt – und
       ich glaube daran, dass es vom Parlament verabschiedet wird – und wenn es
       vom Parlament verabschiedet wird und zu mir kommt, werde ich das ohne
       Zögern bewilligen“, sagte er. „Und ich persönlich achte nicht darauf, was
       Hans und George dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan,
       Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen.“
       
       Mit „Hans und George“ spielt Erdogan auf EU-Staaten wie Deutschland und
       Großbritannien an. Die EU hat deutlich gemacht, dass eine Wiedereinführung
       der Todesstrafe das Ende des Beitrittsprozesses bedeuten würde. Erdogan
       übte in einer dritten Ansprache nach dem Morgengebet in Ankara scharfe
       Kritik an der EU, der er vorwarf, die Türkei seit 54 Jahren vor der Türe
       stehen zu lassen. „Immer noch machen sie sich über uns lustig“, sagte
       Erdogan. „Die Versprechen, die sie gegeben haben, halten sie nicht.“
       
       Erdogan kündigte an, dass Untersuchungshäftlinge, die der Beteiligung am
       Putschversuch beschuldigt werden, künftig Uniformen ähnlich derer der
       Insassen im US-Gefangenenlager in Guantanamo tragen sollten, wenn sie vor
       Gericht erscheinen. „Ich sage, ziehen wir denen nun, so wie in Guantanamo,
       eine spezielle Kleidung an und so sollen sie dann auch vor Gericht
       erscheinen. Herausgeputzt vor Gericht zu erscheinen, so etwas kann es nicht
       geben.“
       
       Im Zusammenhang mit dem Putschversuch sitzen derzeit mehr als 50 000
       Verdächtige in Untersuchungshaft. Rund 150 000 Staatsbedienstete wurden
       seit dem Putschversuch entlassen oder suspendiert. Erdogan forderte die
       Bürger dazu auf, mutmaßliche Gülen-Anhänger den Sicherheitskräften zu
       melden. „Jeder soll sagen, was er weiß“, sagte er. „Niemand soll sich davor
       scheuen, deren Namen zu nennen.“
       
       Am Samstag war das Parlament zu einer Sondersitzung zum Gedenken an die
       Niederschlagung des Putsches zusammengekommen. [1][Oppositionsführer Kemal
       Kilicdaroglu kritisierte die Regierung dabei scharf]. „Die Justiz wurde
       zerstört“, sagte der Chef der kemalistischen CHP. „Statt einer schnellen
       Normalisierung haben sie einen bleibenden Ausnahmezustand erschaffen.“
       
       ## Ausnahmezustand wieder verlängern
       
       Erdogan kündigte am Sonntagmorgen an, der Ausnahmezustand werde kommende
       Woche ein viertes Mal verlängert. Er erhob zugleich schwere Vorwürfe gegen
       Kilicdaroglu, dem er unter anderem vorwarf, gemeinsame sache mit
       Putschisten zu machen.
       
       An der nächtlichen Veranstaltung vor dem Parlament in Ankara nahmen die
       beiden größten Oppositionsparteien – die CHP und die pro-kurdische HDP –
       nicht teil. In der ganzen Türkei wird am Wochenende an die Niederschlagung
       des blutigen Putsches vor einem Jahr erinnert. Die Gedenkveranstaltungen
       sollen bis Mitternacht in der Nacht zu Montag andauern.
       
       ## Automatische Nachricht Erdogans auf dem Handy
       
       Wer in der Nacht zum Sonntag ein Handy in der Türkei angerufen hat, bekam
       eine aufgezeichnete Nachricht von Recep Tayyip Erdogan zum Jahrestag des
       Putschversuchs zu hören. „Als Ihr Präsident gratuliere ich Ihnen am 15.
       Juli zum Tag der Demokratie und der Nationalen Einheit. Möge Gott Erbarmen
       mit unseren Märtyrern haben. Ich wünsche unseren Veteranen Gesundheit und
       Wohlbefinden“, sagte die Stimme des Präsidenten vor dem Aufbau der
       Verbindung.
       
       Laut CNN Turk begannen die Nachrichten kurz nach Mitternacht (Ortszeit) und
       waren bei Gesprächen zwischen Mobiltelefonen zu hören. Ob auch
       Festnetzanrufe betroffen waren, war zunächst unklar.
       
       Der Chef der türkischen Telekommunikationsbehörde BTK, Omer Fatih Sayan,
       bestätigte die Echtheit der Regierungsaktion am späten Samstagabend im
       Kurznachrichtendienst Twitter. „Alle unsere Bürger hören bei Anrufen die
       Nachricht von Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Tag der Demokratie und der
       nationalen Einheit am 15. Juli“, sagte Sayan und hängte seiner Mitteilung
       den 16 Sekunden langen Audio-Clip an.
       
       In den sozialen Netzwerken löste das noch nie dagewesene Vorgehen des
       Präsidenten eine Welle von Reaktionen aus. Während die Anhänger des
       islamisch-konservativen Staatschefs, dem von seinen Kritikern ein
       autoritäres Vorgehen vorgeworfen wird, die Botschaft von Erdogan begrüßten,
       sprachen seine Gegner von einem Eingriff in die private Telekommunikation.
       „Es reicht. Jetzt schaltet er sich sogar in unsere Telefone ein. Das ist
       ein Alptraum“, schrieb der Abgeordnete der Oppositionspartei CHP, Aykut
       Erdogdu, im Onlinedienst Twitter.
       
       16 Jul 2017
       
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