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       # taz.de -- Flüchtlingsrettung auf dem Mittelmeer: NGOs lehnen Italiens Kodex ab
       
       > Rom will mehrere Seenotretter mit einem Regelkatalog ausbremsen. Die
       > Organisationen weigern sich – der Kodex könnte die Zahl der Toten
       > erhöhen.
       
   IMG Bild: Fünf der acht aktiven NGOs verweigerten der italienischen Regierung die Unterschrift
       
       Berlin taz | Der Streit über die Seenotrettung im Mittelmeer geht weiter:
       Fünf der acht aktiven NGOs verweigerten der italienischen Regierung am
       Dienstag die Unterschrift unter einen Verhaltenskodex.
       
       Es war das dritte Treffen innerhalb weniger Tage, zu dem Mario Morcone,
       Präfekt im italienischen Innenministerium, die Seenotretter in seinen
       Amtssitz geladen hatte. Doch die Fronten waren verhärtet. Die meisten der
       NGOs kritisieren den Kodex als einen Versuch, ihre Arbeit auszubremsen. Sie
       stören sich vor allem an zwei der insgesamt elf Punkte: Der Verpflichtung,
       bewaffnete Polizisten an Bord zu lassen und gerettete Flüchtlinge selbst
       nach Italien bringen zu müssen, statt sie auf andere Schiffe umsteigen zu
       lassen. Der Regelkatalog werde zu mehr Todesfällen im Mittelmeer führen,
       fürchten sie.
       
       Die Seenotrettungsinitiativen SOS Méditerranée, Sea Watch, Ärzte ohne
       Grenzen, Jugend rettet und Sea Eye unterschrieben deshalb nicht. Die NGOs
       MOAS, Save the Children und Proactive Open Arms stimmten dem Kodex hingegen
       zu.
       
       Die italienische Regierung hatte den widerspenstigen NGOs angedroht, ihnen
       den Zugang zu italienischen Häfen zu verweigern. Am Dienstag sagte ein
       Regierungssprecher, sie würden aus dem „Organisationssystem der Rettung auf
       Hoher See ausgeschlossen“. Was das genau bedeutet, blieb unklar.
       
       ## Keine gesetzliche Grundlage
       
       „Wir erkennen die Situation Italiens an, isoliert und ohne angemessene und
       ausreichende Unterstützung von den europäischen Mitgliedsstaaten zu sein“,
       schrieb Sophie Beau, die Vizepräsidentin von SOS Méditerranée, an Italiens
       Innenminister Marco Minniti. Doch der Kodex in seiner jetzigen Form
       behindere ihre Arbeit.
       
       Auch Ärzte ohne Grenzen erklärte das im Kodex enthaltene Verbot, Gerettete
       auf andere Schiffe, etwa der Küstenwache, zu transferieren, für
       inakzeptabel, da es Einsätze für schiffbrüchige Flüchtlinge erschwere.
       Zugleich bekräftigte die Organisation, die von Italien geforderte
       finanzielle Transparenz sei längst der Fall.
       
       Wie Italien nun weiter vorgeht, ist offen. Am Mittwoch veröffentlichte der
       Wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten zu dem Kodex. Dieser
       habe „völkerrechtlich keine rechtsverbindliche Wirkung“, schreiben die
       Juristen. Italien müsste erst ein Gesetz erlassen, um die NGOs zur
       Zustimmung zwingen zu können. Der Kodex sei „eine politische Kampfansage,
       juristisch ist er aber bedeutungslos“, sagt der Linken-Abgeordnete Andrej
       Hunko, der das Gutachten angefordert hatte. Italien dürfe den NGOs die
       Einfahrt in seine Häfen nicht verweigern.
       
       In den letzten Tagen ging die Zahl der Ankünfte im Mittelmeer leicht
       zurück: Seit dem 1. Januar erreichten insgesamt 94.800 Menschen Italien –
       nur noch ein Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. In den vergangenen
       Wochen hatten die Werte deutlich über jenen des Vorjahres gelegen. 2.221
       Flüchtlinge und Migranten ertranken im zentralen Mittelmeer.
       
       1 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
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