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       # taz.de -- Nolde-Biografin über schwierige Aufarbeitung: „Das Berufsverbot war ein Schock“
       
       > Wie sehr Emil Nolde sich beim NS-Regime anbiederte, war lange kein Thema.
       > Das änderte sich durch Kirsten Jünglings Biografie.
       
   IMG Bild: Emil und Ada Nolde auf der dänischen Insel Alsen, wo das Paar von 1903 bis 1916 lebte.
       
       taz: Frau Jüngling, woher kamen Noldes Hitler-Begeisterung und sein
       Antisemitismus?
       
       Kirsten Jüngling: Sein problematisches Verhältnis Jüdinnen und Juden
       gegenüber ist schon früh dokumentiert. In seiner Autobiografie erinnert er
       sich an einen jüdischen Schuhverkäufer, der ihn in seiner Jugend durch
       drastische Sprüche irritiert haben soll. Und in den 1890er-Jahren war er
       mit dem jüdischen Juristen Max Wittner befreundet. Irgendwann ging die
       Beziehung auseinander. Der Anlass zum Bruch, schrieb Nolde, war „eine
       lächerliche kleine Sache, ich mag es nicht erzählen“. Und: „Die
       Rassenverschiedenheit mag zur Trennung etwas beigetragen haben.“
       
       Er zerstritt sich auch mit seiner jüdischen Mäzenin Rosa Schapire. 
       
       Ja, sie war mit ihm und seiner Frau befreundet. Aber 1910 schrieb Ada
       Nolde: „Schapire ist für uns erledigt.“ Auch das führte er auf das Fremde,
       Jüdische Schapires zurück. Monate später gab es den Eklat mit Max
       Liebermann, in dessen Folge man Nolde aus der Berliner „Secession“
       ausschloss. Liebermann verkörperte für Nolde alles, was ihm missfiel.
       
       Was genau? 
       
       Liebermann war, so empfand es Nolde, schon durch seine Herkunft
       privilegiert. Nolde dagegen hatte sich lange durchschlagen müssen, bevor er
       mit seinen Gebirgspostkarten so viel Geld verdiente, dass er sich als
       selbstständiger Künstler versuchen konnte. Liebermann als Jude – wie auch
       der Galerist Paul Cassirer – gehörten zum Berliner Kunst-Establishment, wo
       Nolde selbst hinwollte, um eine führende Rolle einzunehmen. Was ihm nie
       gelang.
       
       Er hätte die Aversion gegen Liebermann ja nicht antisemitisch begründen
       müssen. Hat Nolde früh rassistische Ideologien aufgesogen? 
       
       Ich denke, dass diese Haltung von Anfang an latent vorhanden war; Nolde war
       ja sehr „deutsch“ eingestellt, war gegen die Vermischung von Rassen. Aus
       dem Gedankengut seiner Zeit hat er sich herausgepickt, was für ihn vor
       diesem Hintergrund plausibel und auch förderlich war.
       
       War er kein überzeugter Antisemit? 
       
       Er war nicht eindeutig. Einmal schrieb er: „Juden haben viel Intelligenz
       und Geistigkeit, doch wenig Seele und wenig Schöpfergabe.“ Dann wieder:
       „Das Nächste war, dass ich als wütiger Antisemit verschrieen wurde – was
       ich nie gewesen bin.“ Auch sein Nationalismus war ambivalent. Zwar war er
       glühender Deutscher, dennoch wurde er – infolge der Versailler Verträge –
       1920 widerspruchslos Däne. Politisch kann man ihn genauso schwer fassen. Zu
       den Reichstagswahlen 1928, an denen er als Däne nicht teilnehmen durfte,
       schrieb er: „Ich hätte nicht gewusst, was ich wählen sollte, denn von den
       Nationalen bis zu den Kommunisten hat jede Partei meine Zustimmung – und
       zugleich Widerspruch.“
       
       Dabei war er schon 1934 in die Nationalsozialistische Arbeitsgemeinschaft
       Nordschleswigs eingetreten, die 1935 mit der NSDAP gleichgeschaltet wurde. 
       
       Allerdings. Und er ist nie ausgetreten, im Gegenteil: Als er nach der
       Beschlagnahmung vieler seiner Bilder den Reichspropagandaleiter Joseph
       Goebbels um Herausgabe regelrecht anflehte, berief er sich in seinen
       Briefen auf seine langjährige Parteizugehörigkeit.
       
       Verkehrte Nolde in Hitler-nahen Kreisen? 
       
       Er hatte in München Kontakt zu Kreisen, die den Spitzen der
       Nationalsozialisten nahestanden. Zum zehnten Jahrestag der
       nationalsozialistischen „Bewegung“ 1933 wurde er vom SS-Reichsführer
       Heinrich Himmler persönlich eingeladen. Dort traf er auch Hitler, der ihn
       sehr beeindruckte. Außerdem war Nolde gut bekannt mit dem regimetreuen
       Berliner Staatsrechtler Carl Schmitt. All diese Leute haben Nolde in der
       Idee bestärkt, dass seine Bilder, die er „deutsch, stark, herb und innig“
       nannte, gut zur NS-Ideologie passen würden.
       
       Auch Goebbels wollte Nolde zum „Staatskünstler“ machen. 
       
       Jedenfalls konnte er Noldes Bildern viel abgewinnen und war lange hin- und
       hergerissen, ob man Nolde zum Maler der Bewegung machen könne. Sein
       Gegenspieler Alfred Rosenberg, Chef des „Kampfbundes für deutsche Kultur“,
       lehnte Noldes Beitrittsgesuch allerdings ab. Das letzte Wort hat dann
       Hitler gesprochen. Er wollte weder die Expressionisten noch Nolde.
       
       Arm wurde Nolde trotzdem nicht. 
       
       Nein. Er hatte schon während der Weimarer Republik gut verdient, und so war
       es auch während des Dritten Reichs. Er hatte feste Sammler und Galeristen
       und vermarktete seine Bilder sehr geschickt: Um deren Wert zu steigern,
       verknappte er das Angebot und tat so, als müsse er sich jedes einzelne aus
       dem Herzen reißen. Andererseits lieferte er seinen Sammlern einen Bonus:
       den persönlichen Kontakt zu Emil und Ada Nolde.
       
       Aber hatte er nicht ab 1941 Berufs- und Malverbot? 
       
       Er hatte Berufsverbot und durfte nicht verkaufen – was er aber unterlief.
       Malen dagegen konnte er. Allerdings waren Farben und Papier während des
       Krieges rationiert, sodass ihm Freunde Farben besorgten und er seine
       Formate klein hielt.
       
       Hat Nolde je verstanden, warum ihn die Nazis ablehnten? 
       
       Nein. Es war für ihn ein Schock, dass so viele seiner Bilder beschlagnahmt
       und 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ mehr von ihm gezeigt wurden
       als von jedem anderen Künstler. Er glaubte, dass das Ganze ein
       Riesen-Irrtum war.
       
       Wenn er ein so überzeugter NS-Sympathisant war: Warum bereinigte er nach
       1945 seine Autobiografie? 
       
       Er nahm vor allem intime Passagen und Beschreibungen seiner Mitschüler
       heraus. Antijüdische Abschnitte blieben zunächst. Sie wurden dann durch die
       Nolde-Stiftung entfernt, die 1956 das Erbe Emil und Ada Noldes antrat.
       
       Welche Rolle spielte die Nolde-Stiftung beim Verschweigen von Noldes
       Hitler-Sympathie? 
       
       Eine entscheidende. Ich habe im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv
       Hannover einen Brief des damals sehr einflussreichen Kunsthistorikers
       Werner Haftmann von 1963 gefunden. Darin steht, dass er in seinem Bildband
       von 1958 auf Drängen der Nolde-Stiftung dessen NS-Vergangenheit verschwieg.
       
       Warum drängte die Nolde-Stiftung darauf? 
       
       Das Geschäftsmodell Nolde hatte sich nach dem Krieg erstaunlich gut
       angelassen. Anscheinend sehnten sich die Deutschen danach, jemanden zu
       finden, der unter dem NS-Regime gelitten hatte und den sie verehren
       konnten. Das hätte sofort aufgehört, wenn klar gewesen wäre, dass er
       mindestens Sympathisant war. Denn die von Nolde in die Welt gesetzten
       Schlagworte: „verschnürte Hände“, „ungemalte Bilder“ – das war alles
       Legende. Die „ungemalten Bilder“ waren schlicht kleine Formate, wie er sie
       schon vor Hitlers Machtantritt gemalt hat.
       
       Hat Nolde nach 1945 je bereut oder sich zum Holocaust geäußert? 
       
       Nicht, dass ich wüsste. In Fragebögen listete er nach dem Krieg vielmehr
       auf, was seine beschlagnahmten Bilder wert gewesen seien. Jahrelang
       versuchte er, als Opfer des Nationalsozialismus entschädigt zu werden. Das
       wurde abgelehnt mit der Begründung: Wer so früh in die Partei eintritt und
       nie austritt, ist kein Opfer.
       
       Und seit wann bekennt sich die Stiftung zu Noldes NS-Sympathien? 
       
       Der im September 2013 bestellte Stiftungsdirektor Christian Ring geht mit
       dem Thema längst sehr offen um. Unter seinem Vorgänger Manfred Reuther
       durfte ich für die Recherchen zu meiner Nolde-Biografie nicht einmal ins
       Archiv der Stiftung.
       
       Warum nicht? 
       
       Die Begründung war, Reuther schreibe selbst an einer Nolde-Biografie. Die
       bisher nicht erschien. 2013 kam mein Buch heraus. Mir war aber von Anfang
       an klar, dass ich es auch ohne das Stiftungsarchiv würde schreiben können.
       Denn Hunderte Nolde-Briefe liegen etwa in Berlin, Hamburg, Hannover. Das
       Konvolut mit der Entnazifizierungsakte und den Anträgen auf Entschädigung
       als NS-Opfer liegt in Kiel.
       
       War Ihr Buch die erste „vollständige“ Nolde-Biografie? 
       
       Ja. Die Geschichte seines Lebens mit seinen Schattenseiten hatte man so
       noch nicht gelesen, weil es keine andere Nolde-Biografie gab, als die von
       der Stiftung kompilierten Ausgaben auf Grundlage der autobiografischen
       Schriften Noldes.
       
       Wie reagierte die Stiftung auf Ihr Buch? 
       
       Auf Anfrage meines Verlages nach dem Verkauf des Buches in Seebüll im
       Museumsladen hieß es erst einmal: „Dieses Buch kommt uns nicht ins Haus.“
       Und jetzt bin ich am 7. Juli zum 150. Geburtstag Noldes dort eingeladen. Da
       hat sich viel getan.
       
       Wie wirkt sich die neue Offenheit auf Noldes Marktwert aus? 
       
       Direkt nach Erscheinen meines Buches habe ich mich auf der Art Cologne
       umgehört und Galeristen gefragt, ob sich die jüngsten Veröffentlichungen zu
       Noldes politischer Vergangenheit auf die Kauflust auswirkten. Da wurde man
       ungehalten. Dazu muss man wissen: Für expressionistische Bilder werden
       enorme Summen gezahlt, nicht zuletzt sollen sie stabile Geldanlagen sein.
       Da konnte man schon unruhig werden, wenn die Firma Nolde schwächelte.
       
       Lesen Sie mehr über unseren Schwerpunkt Emil Nolde in der gedruckten taz.am
       wochenende oder [1][hier] im E-Paper.
       
       4 Aug 2017
       
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   DIR Petra Schellen
       
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