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       # taz.de -- Debatte EU-Agrarpolitik: Einstieg in den Ausstieg
       
       > Ein Drittel des EU-Haushalts geht an die Europäische Gemeinsame
       > Agrarpolitik (GAP). Dabei wird das Geld woanders dringender benötigt.
       
   IMG Bild: Ein Bett im Kornfeld: Ein Drittel des EU-Haushaltes fließt in die Agrarpolitik
       
       Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU schaut inzwischen auf eine
       55-jährige Geschichte zurück. Sie hat sich seitdem von einer stark
       planwirtschaftlich ausgerichteten Preis- und Produktionssteuerung
       weiterentwickelt. Butterberge und Milchseen gehören durch eine weitgehende
       Liberalisierung der Preisbestimmung der Vergangenheit an. Dennoch bleibt
       ein Kritikpunkt nach wie vor bestehen: Immer noch wird im EU-Haushalt
       erstaunlich viel für einen Sektor ausgegeben, dessen Anteil an
       Beschäftigung und Wertschöpfung nur noch eine marginale Bedeutung hat.
       
       So lässt sich Europa die GAP im aktuellen Finanzrahmen von 2014 bis 2020
       gut 400 Milliarden Euro kosten. Dieses Gewicht von deutlich über einem
       Drittel aller EU-Ausgaben steht heute in einem krassen Missverhältnis zu
       anderen, völlig unterdotierten Ausgabepositionen. Einige Relationen machen
       diese falschen Gewichte deutlich. Die Relation des GAP-Budgets zum Budget
       für Klima/Umwelt liegt bei 160 zu 1, die von GAP zur Asyl/Migration bei 130
       zu 1. Gerade einmal 20 Prozent des GAP-Budgets würden ausreichen, die mit
       dem Brexit verbundenen Finanzierungsprobleme zu lösen.
       
       30 Prozent des Agrarbudgets im aktuellen Finanzrahmen würden ausreichen,
       die griechische Staatsschuld auf ein tragbares Niveau zu reduzieren. Diese
       einfachen Kalkulationen zeigen: Die fiskalische Bedeutung der GAP ist
       inzwischen Lichtjahre entfernt von ihrem relativen europäischen Mehrwert.
       Viele andere Politiken könnten mit weit besseren Argumenten solche Budgets
       beanspruchen.
       
       ## Ungenaue Direktzahlungen
       
       Dass die GAP im Grunde inzwischen zum Anachronismus geworden ist, zeigt
       sich am stärksten an ihrer „ersten Säule“, den Direktzahlungen für
       Landwirte. Dies ist der mit Abstand größte Teil des Agrarhaushalts.
       Eingeführt wurden diese Zahlungen vor Jahrzehnten als Kompensation für
       Preisrückgänge im Rahmen der Marktliberalisierung. Auch wenn solche
       Kompensationen für Verluste fair und politisch sinnvoll sind, ist es nicht
       nachvollziehbar, diese für alle Ewigkeit zu zahlen. Denn die
       Direktzahlungen sind, gemessen an einer rationalen Sozialpolitik, äußerst
       ungenau.
       
       Immer wieder zeigen Analysen, wie stark hier große Agrarbetriebe und reiche
       Landwirte begünstigt werden, die gemessen an den Regeln der
       Existenzsicherung im nationalen Sozialstaat niemals einen Transferanspruch
       hätten. Außerdem führen die Direktzahlungen, die inzwischen ja eine fixe
       Hektarprämie für landwirtschaftliche Flächen sind, im Gleichgewicht zu
       höheren Landpreisen und Pachten. Der Junglandwirt, der angeblich gefördert
       werden soll, zahlt die Zeche, wenn er zusätzliche Flächen nutzen will. Der
       Gewinner der Prämie ist im Preisgleichgewicht der Eigentümer des Lands,
       nicht der Landwirt.
       
       ## Geschickte Abwehrstrategie
       
       All diese Argumente sind seit Langem bekannt, auch den Verteidigern der
       EU-Agrarbudgets. Und diese haben eine geschickte Abwehrstrategie
       entwickelt: Wenn schon das traditionelle GAP-Ziel der Einkommensstützung
       für Landwirte nicht mehr überzeugt, dann werden eben neue Alibis
       entwickelt. Und diese Alibis sind heute zahlreich und reichen von Tier- und
       Umweltschutz bis hin zur Pflege von Landschaft und kulturellem Erbe.
       
       So viel Sympathie und Unterstützung wir Europäer diesen Zielen geben
       sollten, so ungeeignet ist die GAP aber als Instrument zur Zielerreichung.
       Ziele wie die Erhaltung von Kulturlandschaften sind legitim, haben aber
       eindeutig einen regionalen oder allenfalls nationalen Charakter. Die
       Finanzierung solcher Ziele gehört nicht in den europäischen Haushalt.
       
       Ziele wie der Umwelt- und Tierschutz sollten ohne Branchendiskriminierung
       durch umfassend wirksame europäische Instrumente verfolgt werden. Für den
       Klimaschutz etwa macht es Sinn, den Agrarsektor wie andere Branchen auch in
       den Emissionshandel für CO2-Zertifikate einzubeziehen. Und zum Umwelt- und
       Tierschutz sind europaweite Standards der richtige Weg. Der Agrarsektor
       verfügt hier über ein erstaunliches Privileg, dessen sich seine Lobbyisten
       kaum mehr bewusst sind: Sie erwarten wie selbstverständlich Subventionen
       dafür, dass dieser Sektor umwelt- und tierwohlgerecht produziert.
       
       Man stelle sich einmal eine analoge Erwartungshaltung in anderen Branchen
       vor. Wer käme auf die Idee, der Gastronomie, dem Reinigungsgewerbe oder der
       Chemieindustrie Subventionen dafür zu zahlen, dass diese Branchen
       Umweltstandards einhalten? Hinzu kommt eine ausufernde Bürokratie, die mit
       dem „Greenwashing“ der Agrarsubventionen unausweichlich verbunden ist und
       über die gerade die Kleinbetriebe immer wieder klagen: Landwirtschaftliche
       Tätigkeit bedeutet heute zu einem guten Zeitanteil die intensive Befassung
       mit EU-Formularen, um die Einhaltung einer Vielzahl an Bedingungen zu
       belegen.
       
       ## Ein guter Test
       
       Man kann es drehen und wenden, wie man möchte: Es ist längst überfällig,
       dass die EU in ihrer nächsten Finanzperiode ab dem Jahr 2021 den Ausstieg
       aus den Direktzahlungen beginnt. Dafür ist der Einstieg in die nationale
       Kofinanzierung, wie ihn die Europäische Kommission gerade wieder ins Spiel
       gebracht hat, ein erster kluger Schritt. Die Kofinanzierung ist – aus sehr
       guten Gründen – für EU-Zahlungen für unterentwickelte Regionen seit Langem
       völlig selbstverständlich. Erhält eine arme Region Geld aus dem Brüsseler
       Budget für eine Infrastrukturmaßnahme, muss sie eigenes Geld dazugeben. Das
       ist ein gut geeigneter Test, um zu überprüfen, ob das jeweilige Projekt
       auch aus nationaler Sicht Sinn macht.
       
       Bei den GAP-Zahlungen ist das bislang anders, die Einkommensbeihilfen
       werden zu 100 Prozent aus dem EU-Haushalt erstattet. Da wundert es nicht,
       dass diese Subventionen in der nationalen Haushaltsdebatte fast niemals
       thematisiert werden. Wenn die Transfers an Landwirte durch eine nationale
       Kofinanzierung in Zukunft im Bundeshaushalt auftauchen, dann setzt dies die
       richtigen Anreize. Die Konkurrenz zu anderen Sozialleistungen und
       Verwendungen wird dafür sorgen, dass sie nach einer Übergangszeit völlig
       auslaufen. Das wäre fair, effizient und ein Beitrag für Europas Zukunft.
       
       13 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friedrich Heinemann
       
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