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       # taz.de -- Kolumne Nachbarn: Woher komme ich?
       
       > Sind Sie aus Spanien? Sprechen Sie Deutsch? Seltsame Fragen müssen sicher
       > auch noch meine Kinder beantworten.
       
   IMG Bild: Bei der Frage „Wo kommen Sie her?“ geht es nicht um den Pass, sondern um Vorurteile
       
       Sind Sie aus Spanien?“ Mit dieser Frage überraschte mich die Verkäuferin in
       einem Laden für gebrauchte Waren. „Ich bin aus Syrien“, antwortete ich mit
       einem Lächeln. [1][Verlegen fragte sie weiter, ob ich Flüchtling sei?] Als
       ich ihr keine klare Antwort gab, versuchte sie ihre Fehleinschätzung meiner
       Herkunft zu kaschieren: „Sie haben sehr schöne Haare. Sie sehen nicht wie
       ein Flüchtling aus“.
       
       Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Sie hakte nach, ob ich in
       der benachbarten Flüchtlingsunterkunft lebte. Ich sagte: „Nein“. Sie bohrte
       nach: „Wo wohnen Sie denn?“ Ich zeigte auf das Haus nebenan und fügte
       hinzu, dass wir Nachbarinnen seien.
       
       Sie konnte ihre Überraschung kaum unterdrücken: „Deshalb sehe ich Sie oft
       hier vorbeigehen“, sagte sie. Ich nickte zustimmend. Sie redete weiter:
       „Die Mieten sind ziemlich hoch hier.“ Ich stimmte zu.
       
       ## „Sprechen Sie Deutsch?“
       
       In der Hoffnung auf einen Themenwechsel erkundigte ich mich nach den
       Preisen ihrer „Exponate“. Sie beantwortete meine Fragen, schob dabei aber
       nach, ob das Jobcenter meine Miete bezahlen würde.“ Ihre Frage schien mir
       seltsam. Denn meine deutschen Freunde fragen nie nach solchen privaten
       Angelegenheiten. Dennoch beantwortete ich ihre Frage: „Ich habe eine gute
       Arbeit und komme selbst für meine Miete auf.“
       
       Während ihr Blick durch den Raum wanderte, fragte sie: „Sprechen Sie
       Deutsch?“ Ich sagte: „Ein wenig.“ Sie sprach weiter: „Gut, dass Sie Deutsch
       sprechen. Deshalb haben Sie Arbeit gefunden.“ Ich sagte lächelnd, dass ich
       leider nur ein paar Wörter auf Deutsch könne und bei der Arbeit mit
       Englisch und Arabisch gut auskäme.
       
       Zwar zögerte sie nicht, nach meiner Arbeit zu fragen; doch ich ließ ihre
       Frage unbeantwortet, zahlte den Preis für meine Käufe, verabschiedete mich
       und verließ den Laden.
       
       ## „Flüchtling“ als Bestandteil meiner Identität
       
       Gewiss wollte die Frau im Laden nicht unsensibel sein. Schließlich
       begleitete sie mich sogar zur Tür und bat mich höflich, sie wieder zu
       besuchen. Der Nachhall ihrer Bemerkung, ich sähe nicht aus wie ein
       Flüchtling, stimmte mich jedoch den ganzen Tag nachdenklich. Ich sagte mir,
       weder die Zeit noch die Arbeit oder die „Integration“ würden die negativen
       Vorurteile über Flüchtlinge in den Köpfen meiner freundlichen Nachbarin und
       vieler anderer ändern. Die Bezeichnung „Flüchtling“ ist nun mal – ob ich es
       will oder nicht – Bestandteil meiner Identität geworden.
       
       Sollte ich hierbleiben, stelle ich mir vor, dass meine hier geborenen
       Kinder, die sicherlich etwas von meinem Aussehen abbekommen werden, gefragt
       werden, ob sie aus Spanien kämen. Sie werden bestimmt nein sagen und
       erklären, sie hätten ihr Aussehen von ihrer syrischen Mutter. Womöglich
       wird man sie noch fragen, ob ihre Mutter als Kriegsflüchtling nach
       Deutschland gekommen war. Sicherlich werden meine Kinder nicht ihre
       deutschen Ausweise hervorholen, sondern sagen: „Ja, unsere Mutter ist in
       der Zeit der Niedertracht der Menschheit [2][als Kriegsflüchtling nach
       Deutschland] gekommen“.
       
       Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman.
       
       14 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
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