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       # taz.de -- Kolumne Globetrotter: Rückkehrzweifel statt Gastfreundschaft
       
       > Der kulturelle Austausch in Europa leidet unter der Angst der hiesigen
       > Bürokratie, die afrikanischen Gäste könnten bleiben.
       
   IMG Bild: LovaLova eröffnet die Schau der Kinshasa Collection im Haus der Kulturen der Welt
       
       Vom Bus aus bemerke ich Angela Merkel, wie sie mich von einem Wahlplakat,
       ganz unten an der Laterne bei der Haltestelle hängend, anlächelt. Auf der
       Höhe kann es nicht lange dauern, bis ihr jemand Quatsch ins Gesicht malt,
       denke ich. Vom Klassiker, ein mit Filzstift geschwärzter Zahn, dürfte sie
       jedenfalls verschont bleiben: die Kanzlerin lächelt mit zusammengekniffenen
       Lippen.
       
       Ich scanne die Straße ab, um zu untersuchen, ob Zahnlückenschmieren
       überhaupt noch im Trend liegt. Doch keines der anderen Plakate zeigt
       Porträts der eigentlichen KandidatInnen, sondern nur Sprüche und
       lizenzfreie Fotos. Auf einem steht: „Neue Deutsche? Machen wir selber“. Um
       den AfD-Slogan zu verstehen, braucht man das Bild dazu: Eine lachende Frau
       liegt gemütlich im grünen Gras, die Hand auf ihrem vom kommenden Nachwuchs
       gewölbten Bauch. Mir wird leicht übel. Ist das ein Aufruf zur Inzucht?
       
       Das flaue Gefühl im Bauch sitzt aber tiefer. Zurzeit übersetze ich ein
       Hörspiel über die deutsche Kolonialgeschichte. Den Begriff
       „Rassenselbstmord“, der einmal fällt, kann man auf zweierlei Weisen ins
       Französische übersetzen. Beide Möglichkeiten googelte ich, einfach um
       schnell nachzusehen, welche am gängigsten ist, und stieß dabei nicht nur
       auf Seiten, die sich historisch-wissenschaftlich mit dem Thema
       auseinandersetzen – sondern auch auf welche, deren Betreiber sich heute,
       2017, ernsthaft vom Mix der Herkünfte bedroht fühlen.
       
       Die Schwangere auf dem Plakat trägt auch noch eines dieser bretonischen,
       blau-weiß gestreiften T-Shirts, fällt mir auf, da fährt mein Bus endlich
       weiter Richtung Alexanderplatz. Ich komme gerade vom Haus der Kulturen der
       Welt, wo ich die gut gelaunte Modenschau „Kinshasa-Collection“ bestaunte.
       Die Show war Teil des gleichnamigen Dokumentarfilmprojekts, dessen drei
       erste Episoden im Internet zu sehen sind.
       
       ## Visum verweigert
       
       Die Models aus der Demokratischen Republik Kongo liefen und tanzten
       extravagant, während die Moderatorinnen das fröhlich klatschende Publikum
       über „Sapologie“ – oder die Kunst, sich die Kodes der westlichen
       Fashionwelt anzueignen und für sich neu zu erfinden – aufklärten.
       
       Es war ein Riesenspaß und ich war froh, dass die PerformerInnen nach
       Deutschland einreisen durften. Dem künstlerischen Austausch ist die
       Bürokratie leider nicht immer wohlgesinnt. Zuvor war ich noch bei einer
       morgendlichen Kundgebung des Berliner Kunstvereines „neue Gesellschaft für
       bildende Kunst“ (nGbK) gewesen, der nicht so viel Glück hatte: Die
       südsudanesische KünstlerInnengruppe Team of Love, die sich derzeit wegen
       des Bürgerkriegs in Ägypten aufhält, war von ihnen für ein Projekt
       eingeladen worden.
       
       Doch die deutsche Botschaft in Kairo verweigerte die Visaausgabe – wegen
       „Rückkehrzweifel“, wie ein Blatt informierte, das vom Verein beim Protest
       vor dem Auswärtigen Amt verteilt wurde. Dem Projekt ging eine mehrmonatige
       Planung voraus, die Kostenübernahme für den Aufenthalt war geklärt, man
       freute sich. Übrig bleibt nur die Empörung über eine beliebig erscheinende
       Entscheidung.
       
       Oder ist das der Plan? Kursiert in den verantwortlichen Ämtern so etwas wie
       ein ungeschriebenes Gesetz, das besagt: Macht es so schwierig, wie es nur
       geht – der künstlerische oder gemeinnützige Austausch soll entmutigt
       werden?
       
       Die Art, wie afrikanische Gäste behandelt werden, grenzt oft an Schikane.
       Im letzten April kam eine Bekannte von mir aus der Elfenbeinküste nach
       Paris, um bei einem Theaterprojekt als Tänzerin mitzuwirken. Als sie
       landete, hatte sie zwar ihren Pass mit Visum griffbereit, alle sonstigen
       Papiere wie Arbeitsvertrag, persönliche Einladung und Pipapo, die sie der
       französischen Botschaft vorlegen musste, waren aber in ihrem aufgegebenen
       Koffer.
       
       Das erklärte sie den Grenzbeamten, die die Papiere unbedingt sehen wollten.
       Ein kurzer Blick in ihren Koffer hätte gereicht, um die Sache zu schlichten
       – stattdessen wurde sie in eine Gewahrsamseinrichtung neben dem Flughafen
       gesperrt. Nur weil der Intendant des einladenden Theaters Kontakte auf
       Ministeriumsebene gehabt haben soll, konnte man sie noch am selben Abend
       rausholen, nach zwölf Stunden in Haft.
       
       Ist die Angst, dass Gäste vielleicht bleiben wollen, wirklich so groß?
       Meine Bekannte aus der Elfenbeinküste schert sich jedenfalls nicht um
       Europa. Das Leben hier sei ihr viel zu teuer, meinte sie zu mir. Lieber
       lebe sie in ihrem Haus bei ihrer Familie in Abidjan. Dort schmeckt ihr das
       Essen sowieso viel besser, fügte sie noch grinsend hinzu.
       
       15 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elise Graton
       
       ## TAGS
       
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