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       # taz.de -- Antisemitismus-Vorwurf gegen Arte: Offener Brief kritisiert Gaza-Doku
       
       > Ein offener Brief mit rund 70 Unterzeichnern kritisiert eine
       > Gaza-Dokumentation als antisemitisch. Deren Autorin ist
       > propalästinensische Aktivistin.
       
   IMG Bild: Kann man auch neutraler darstellen: Ein Junge in Palästina
       
       Mit antiisraelischer Berichterstattung befassen sich in der Regel
       vornehmlich proisraelische Blogs. Und kurze Reportagen im
       Nachmittagsprogramm von Arte sind nur selten Gegenstand der Medienkritik.
       Der kürzlich vom deutsch-französischen Sender ausgestrahlte 15-minütige
       Film „Gaza: Ist das ein Leben?“ und die Reaktionen des Senders auf die
       Kritik daran lösten aber sogar bei deutschen Regionalzeitungen Reaktionen
       aus. In der Westdeutschen Zeitung aus Düsseldorf beanstandete Chefredakteur
       Ulli Tückmantel, der Film verbreite „überprüfbar antisemitisch motivierte
       Falschinformationen“.
       
       Zuvor hatte das „Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus“
       anlässlich der Reportage einen offenen Brief an Arte verfasst,
       unterschrieben von rund 70 Organisationen und Einzelpersonen. Unter den
       Unterzeichnern: der taz-Kolumnist Micha Brumlik, Julius H. Schoeps, der
       Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in
       Potsdam, sowie der Zentralrat der Juden.
       
       Die Autorin des inkriminierten und von Arte Straßburg verantworteten Films
       ist die Französin Anne Paq. Eine zentrale und im Aufbau typische Passage
       des offenen Briefs lautet: „Gleich zu Beginn der Dokumentation wird auf
       2250 Menschen hingewiesen, ‚die beim Angriff Israels auf den Gaza-Streifen
       vor drei Jahren starben‘ [Minute 01:31]. Nicht erwähnt wird, dass sich
       unter diesen Palästinenserinnen und Palästinensern 850 Kombattanten
       befanden. Ebenso wenig findet die Tatsache Erwähnung, dass die Hamas
       Menschen als Schutzschilde missbrauchte und somit massiv zu den Opferzahlen
       beigetragen hat.“
       
       Die Form des offenen Briefs ist offenbar eine Anspielung auf einen
       sogenannten Faktencheck, den der WDR vor einigen Wochen zu dem
       proisraelischen Dokumentarfilm „Auserwählt und ausgegrenzt“ präsentiert
       hatte.
       
       ## Tendenziöser Off-Kommentar
       
       Dass Israel 2014 „auf intensiven Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen
       reagierte“ und die Militäraktionen gegen „die militärische Infrastruktur
       der Hamas“ gerichtet gewesen seien, verschweige die Reportage, kritisieren
       die Verfasser des offenen Briefs. Ihre Mängelliste umfasst auch die
       grotesken Passagen des Films: An einer Stelle bemerkt ein Interviewpartner,
       es gebe in Gaza „keine Parks, nirgendwo kann man tanzen!“. Das trifft
       weltweit freilich für recht viele Städte und Landstriche zu.
       
       Der Sender antwortete auf den offenen Brief, das Format „Arte Reportage“
       befasse sich „bewusst mit den Lebensumständen der Protagonisten aus deren
       Perspektive“. Diese Replik schummelt sich aber an der Argumentation der
       Kritiker vorbei, wie auch das Jüdische Forum in einer Kritik an dieser
       Stellungnahme bemängelt.
       
       Daran, dass Allah Balata, der Protagonist der Reportage, beschreibt, wie
       sich sein Alltag verändert hat, nachdem er im Krieg von 2014 seine Familie
       verloren hat, stört sich niemand. Das Problem ist, dass die Autorin Paq die
       Protagonisten für ihre Botschaft instrumentalisiert. „Keine der im Film
       gezeigten Personen redet über Politik oder klagt Israel an“, konstatiert
       der Blog Mena Watch. Tendenziös ist tatsächlich allein der Off-Kommentar
       der Filmemacherin.
       
       Die Kritiker der Reportage betonen, sie hielten Anne Paq als Autorin für
       eine öffentlich-rechtliche Reportage für ungeeignet, weil sie auch für die
       Website Electronic Intifada schreibt. Bereits der Name suggeriere „eine
       Unterstützung für die gezielte Tötung israelischer Zivilisten“, meint das
       Jüdische Forum.
       
       ## Keine Wald- und Wiesenaktivistin
       
       2008 schrieb Paq auf Electronic Intifada: „We internationals working in
       Palestine, what are we fighting for?“ Sollte dies ein
       „pseudopalästinensischer Staat“ sein, wie ihn sich die Palästinensische
       Autonomiebehörde vorstelle, sei das „kein würdiger Kampf“. Klingt nach
       Flugblatt.
       
       In einer Antwort auf eine taz-Anfrage, warum Arte eine Autorin engagiert
       hat, die für eine mit Terrorismus sympathisierende Website schreibt,
       verweist Sprecher Michel Kreß auf das Renommee Paqs: „Ihre Arbeiten wurden
       bereits bei der UNO in New York und in Genf ausgestellt und etwa von Paris
       Match oder der israelischen Tageszeitung Haaretz publiziert.“
       
       Gewiss, Paq ist keine Wald- und Wiesenaktivistin. 2016 etwa wurde sie von
       der Agence Française de Développement (AFD), der französischen
       Entwicklungshilfeagentur, für ihre Web-Reportage „Obliterated families –
       Ausgelöschte Familien“ ausgezeichnet. Diese diente als Vorlage für die
       Arte-Reportage.
       
       Wie sämtliche Beiträge für „Arte Reportage“ habe auch Paqs Film „den
       üblichen Abnahmeprozess mit einem französischsprachigen und einem
       deutschsprachigen Redakteur durchlaufen“, schreibt der Arte-Sprecher
       weiter. Das „Mehr-Augen-Prinzip“ sei „durchgängig sichergestellt“ gewesen.
       Im besten Fall bedeutet das: Die beiden zuständigen Redakteure, die Kreß,
       wenn auch nicht namentlich, erwähnt, haben antisemitische Denkmuster
       verinnerlicht, ohne es zu merken.
       
       14 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
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