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       # taz.de -- Schulz' Rede zur Integrationspolitik: Wie damals in Würselen
       
       > Der Kumpel als Vorreiter einer egalitären Gesellschaft? So sieht es der
       > SPD-Kanzlerkandidat. Dem Innenminister will er die Integrationspolitik
       > entziehen.
       
   IMG Bild: Hat seine integrationspolitischen Pläne dargelegt: Schulz am Dienstagabend in Berlin
       
       BERLIN taz | Mit einem kleinen Ausflug in die Vergangenheit wärmte Martin
       Schulz die Herzen seiner Zuhörer. In seiner Zeit in Würselen, so erzählte
       er, sei es egal gewesen, wo man herkam, welchem Glauben man angehörte und
       welche Sprache man gesprochen habe. In der Bergarbeiterstadt bei Aachen
       hätten andere Werte gezählt: Unter Tage hätten sich die Kumpels aufeinander
       verlassen müssen, und in der Nachbarschaft habe man sich gegenseitig
       geholfen. „Vor der Kohle sind alle schwarz“, zitierte er ein Sprichwort,
       das dieses sozialdemokratische Gleichheitsideal illustrieren sollte.
       
       In diese Erzählung bettete der SPD-Kanzlerkandidat am Dienstag seine Rede,
       in der er seine integrationspolitischen Vorstellungen konkretisierte. So
       versprach er seinen Zuhörerinnen und Zuhörern, den Kampf gegen
       Benachteiligungen jeder Art auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie im
       Bildungssystem zu verstärken. Es dürfe nicht sein, dass Menschen mit
       arabisch oder türkisch klingenden Namen oder Frauen mit Kopftüchern
       schlechtere Chancen hätten, kritisierte er. Das Versprechen auf Ausftieg
       durch Bildung müsse für Kinder mit Einwanderungsgeschichte genau so gelten
       „wie für alle anderen auch“.
       
       Schulz sprach am Dienstagabend auf Einladung des Deutschen Instituts für
       Wirtschaftsforschung (DIW) und des Berliner Instituts für empirische
       Integrations- und Migrationsforschung (BIM) im Auditorium Friedrichstraße
       in Berlin. In seiner Rede forderte er, man müsse stärker zwischen
       „Integration“ und „Teilhabe“ unterscheiden. Mit Blick auf Menschen, die
       erst kurze Zeit im Land seien, könne man über Integration reden. Bei
       Einwanderern, die schon länger in Deutschland lebten, und bei deren Kindern
       müsse man aber vielmehr über bessere Chancen und einen Abbau vielfältiger
       Diskriminierungen sprechen.
       
       ## Spott über die „Intelligenz-Maut“
       
       Schulz warb für eine „Bildungsoffensive“ und sprach sich für
       Gebührenfreiheit „von der Kita bis zur Uni“ aus. Dies käme auch Kindern aus
       Einwandererfamilien zugute. Studiengebühren für Ausländer, wie sie in
       Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eingeführt wurden, führte er als
       warnendes Beispiel an: So etwas werde es mit der SPD nicht geben. „Ich
       nenne das eine Intelligenzmaut“, spottete er. Auch über das Vorhaben der
       schwarz-gelben Landesregierung in Düsseldorf, die Änderung ausländisch
       klingender Namen zu erleichtern, machte er sich lustig. „Welch ein Hohn“,
       sagte er. Diskriminierung bekämpfe man so nicht.
       
       Schulz mühte sich in seiner Rede, sich deutlich von der Union abzusetzen.
       Statt das Geld in Bildung zu stecken, wolle diese den Rüstungsetat
       aufstocken, kritisierte er. Und anders als CDU und CSU mache er auch keine
       Unterschiede zwischen „uns“ und „denen“ oder zwischen Staatsbürgern und
       Menschen ohne deutschen Pass, sagte er. Stattdessen wolle er „die
       Gesellschaft als Ganzes“ im Blick haben. Auch die Diskriminierung von
       Migranten wolle er deshalb bekämpfen. Dazu wolle seine Partei „das
       Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) weiterentwickeln und die
       Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken“, kündigte er an.
       „Diskriminierung gehört nicht zu Deutschland!“, sagte er.
       
       ## Keine Lust auf „Leitkultur“
       
       Den „Leitkultur“-Forderungen aus der Union setzte Schulz entgegen,
       Deutschland sei ein „buntes, tolerantes Haus mit einer klaren Hausordnung“,
       und diese sei das Grundgesetz. Die AfD bezeichnete er als „Schande für
       unsere Nation“, wofür es ebenfalls Applaus gab. Nicht zuletzt an deren
       Adresse gerichtet sagte er: „Natürlich müssen wir unsere Gesellschaft
       schützen. Aber wir müssen sie nicht vor Menschen mit Migrationshintergrund
       schützen, sondern vor Feinden aller Art, die unsere offene Gesellschaft
       angreifen.“
       
       Am Ende kam Schulz sogar noch auf Ressortdetails zu sprechen. Denn die
       Zuständigkeit für Migration und Integration will Schulz aus dem Kanzleramt
       ausgliedern und „an ein starkes Fachministerium andocken“, wie er es
       ausdrückte. Nicht das Bundesinnenministerium, sondern das
       Familienministerium oder das Ministerium für Arbeit und Soziales schweben
       ihm dabei vor – beide Ressorts sind derzeit unter SPD-Ägide.
       Gesellschaftspolitische Fragen der Integration mit sicherheitspolitischen
       Erwägungen „zu vermischen“ habe sich nicht bewährt, erlaubte er sich einen
       Seitenhieb auf Innenminister Thomas de Maizière (CDU), dem er vorwarf, die
       Integrationsdebatte „ideologisch aufzuladen“.
       
       Daraus kann man den Anspruch der SPD ablesen, die Federführung in der
       Integrationspolitik zu übernehmen, die derzeit noch zu weiten Teilen bei
       Angela Merkel und de Maizière liegt. Man kann darin aber auch ein
       heimliches Eingeständnis sehen, dass Schulz selbst nicht mehr ernsthaft
       daran glaubt, noch Kanzler zu werden. Denn wenn er das Thema als Chefsache
       betrachtet, könnte er ja auch erst einmal den Wahlausgang abwarten.
       
       16 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
   DIR Leitkultur
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