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       # taz.de -- EM der blinden Fußballer in Berlin: Hier geht es um mehr als um Titel
       
       > Am Freitag beginnt in Kreuzberg die Europameisterschaft im
       > Blindenfußball. Bundestrainer Ulrich Pfisterer hegt große Erwartungen.
       
   IMG Bild: Immer am Ball bleiben: Training der deutschen Blindenfußball-EM
       
       Wenn am Freitag um 19.30 Uhr der Anpfiff zum Eröffnungsspiel Deutschland
       gegen Italien ertönt, dann wird sich wahrscheinlich niemand so sehr darüber
       freuen wie Ulrich Pfisterer. Denn dass die
       Blindenfußball-Europameisterschaft in diesem Jahr ausgerechnet in Berlin,
       in Kreuzberg, stattfindet, hat sehr viel mit dem gebürtigen Berliner zu
       tun.
       
       Dass es heute in Deutschland Blindenfußball in seiner heutigen Form und auf
       dem derzeitigen Niveau gibt, ist in erster Linie Pfisterer zu verdanken. Er
       war 2004 aus Australien zurückkehrt. Dort hatte er Fußball gespielt und
       arbeitete annähernd drei Jahrzehnte als Lehrer in verschiedenen Schulen für
       sehbehinderte Menschen. Wieder in der alten Heimat angekommen, machte sich
       Ulrich Pfisterer fast umgehend daran, den Sport, der heute weltweit in rund
       40 Ländern ausgeübt wird, auch hierzulande bekannt zu machen.
       
       Pfisterer gründete 2006 in Stuttgart eine erste Trainingsgruppe, im Jahr
       darauf beim MTV Stuttgart eine Mannschaft, die heute mit fünf Titeln
       Rekordmeister der 2008 eingeführten Blindenfußball-Bundesliga ist. Beim
       Internationalen Blindensportverband (IBSA) ist Pfisterer Vorsitzender des
       Komitees für Fußball und ganz nebenbei auch noch seit zehn Jahren
       Bundestrainer.
       
       „Es wäre natürlich schön, den Titel hier zu gewinnen“, gibt Pfisterer im
       Gespräch mit der taz unumwunden zu. Immerhin ist die Austragung der EM ein
       wenig auch eine Belohnung für die zehn Jahre gute und kontinuierliche
       Arbeit, die in Deutschland im Bereich des Blindenfußballs geleistet wurde.
       
       Vor zehn Jahren nahm die deutsche Nationalmannschaft in Athen erstmals an
       einer Europameisterschaft teil. Das war, auch wenn sie Letzter wurde, schon
       ein echter Erfolg, wenn man bedenkt, dass der Sport hierzulande im Grunde
       noch in den Windeln lag. Und auch die Blindenfußball-Bundesliga, in der
       sich heute so namhafte Vereine wie Schalke 04, Borussia Dortmund oder der
       FC St. Pauli tummeln, spielt gerade erst ihre zehnte Saison.
       
       Pfisterer weiß jedoch selbst am besten, dass es realistisch betrachtet
       schwer werden wird mit dem Titelgewinn. Ins Halbfinale möchte er aber dann
       doch gern einziehen, nicht zuletzt, weil das die sichere Qualifikation für
       die Weltmeisterschaft nächstes Jahr in Spanien bedeuten würde. Die besten
       Chancen auf den Pokal dürften hingegen England, Spanien und nicht zuletzt
       Titelverteidiger Türkei haben. „Aber wer weiß, was so ein Heimvorteil alles
       bringen kann“, sagt Pfisterer und lässt dabei seine Worte bewusst im Raum
       stehen.
       
       Tatsächlich hat das Team, das am Freitag auf Italien trifft, nur wenig mit
       demjenigen gemein, das vor zwei Jahren in England Sechster wurde. Zwar ist
       die Mannschaft personell im Kern die gleiche geblieben, sonst aber ist fast
       alles anders.
       
       „Das Team war noch nie fitter als jetzt“, meint der Bundestrainer, was vor
       allem an der sehr viel besseren Vorbereitung liegt. Auch dank der
       Unterstützung des 2014 gegründeten Freundeskreises der Deutschen
       Blindenfußball-Nationalmannschaft war es diesmal möglich, nicht nur
       zahlreiche Vorbereitungsspiele im In- und Ausland zu bestreiten, sondern
       auch gleich drei gemeinsame Lehrgänge abzuhalten: Bei denen wurde vor allem
       an der Taktik gearbeitet – etwas, wofür früher wenig Zeit blieb.
       
       Für das Turnier hat Bundestrainer Pfisterer zwei Torhüter und acht
       Feldspieler berufen. Bei Blindenfußball-Spielen stehen vier nicht sehende
       Feldspieler und ein sehender Torwart auf dem Platz. Gespielt wird mit einem
       speziellen Fußball, der rasselt, damit die Spieler ihn hören können
       – zumindest solange er in Bewegung ist. Für alles andere müssen
       sie sich bei den Spielen auf sogenannte Guides verlassen, die ihnen
       Richtungsangaben zur Orientierung zurufen.
       
       Mit drei beziehungsweise zwei Spielern stellen der MTV Stuttgart und der FC
       St. Pauli den Kern des deutschen Teams. Auf Abruf mit dabei ist mit dem
       jungen Edis Veljkovic vom FC Viktoria aber auch ein Berliner. Durch die
       intensive Vorbereitung hatte die neu formierte Mannschaft reichlich
       Gelegenheit, zusammenzuwachsen – und Siege gegen die Türkei und zuletzt
       England lassen durchaus hoffen.
       
       Mindestens ebenso wichtig wie ein gutes Abschneiden bei der EM ist
       allerdings auch die Frage nach dem Danach. „Natürlich erhoffen wir uns von
       dem Turnier eine Art Sogwirkung“, sagt Pfisterer. Es sei wichtig, dass der
       Sport endlich mehr Aufmerksamkeit erhält – nicht zuletzt beim DFB – und
       damit unterm Strich auch mehr Geld. „Es geht ja nicht darum, dass das alles
       plötzlich Profis werden sollen“, so der Bundestrainer. Es geht vielmehr um
       so Grundsätzliches wie die Freistellung am Arbeitsplatz, die Erstattung von
       Fahrtkosten oder vielleicht auch darum, ein paar Stunden bei einem
       Fitnesstrainer direkt am Wohnort zu ermöglichen. „Das müsste in einem
       Fußballland wie Deutschland doch der Anspruch sein!“
       
       18 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Tölva
       
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