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       # taz.de -- Filmreihe im Kino Arsenal: Cineastischer Grenzgänger
       
       > Der mauretanische Regisseur Med Hondo gehört zur ersten Generation
       > afrikanischer Filmemacher, die ein eigenes Kino nach der Unabhängigkeit
       > geschaffen haben.
       
   IMG Bild: Als Immigrant im Frankreich der 60er Jahre: Szene aus Med Hondos „Soleil Ô“ (1969)
       
       Zwei Filmeinstiege: Eine Gruppe junger schwarzer Männer blickt mit
       verschränkten Armen in die Kamera, während der Kommentar die Zerstörungen
       an afrikanischer Kultur durch den europäischen Kolonialismus aufzählt. Ein
       Schnitt bringt uns in eine Kirche: hinter dem Altar bequem im Lehnstuhl ein
       weißer Priester, vor dem Altar kommen die jungen Männer die Treppen herauf.
       Die Taufe auf europäische Namen als Beginn der Kolonisation der Identität.
       Nach der Taufe beginnen die jungen Männer noch in der Kirche zu
       marschieren.
       
       Zweiter Anfang: wieder ein Lehnstuhl. Auf dem Lehnstuhl das Wappen der
       Republik Frankreich mit Liktorenbündel. Eine Kamerafahrt gibt den Blick auf
       den Raum vor dem thronartigen Stuhl frei, dahinter hängt eine Karte der
       Karibik. Einige Stufen tiefer stehen vier weitere Stühle, sie sind deutlich
       weniger prunkvoll als ersterer.
       
       Beide Anfänge stammen aus Filmen des mauretanischen Regisseurs Med Hondo,
       der zusammen mit Ousmane Sembene und Sara Maldoror zur ersten Generation
       afrikanischer Regisseure gehört, die ein Kino der Unabhängigkeit geschaffen
       haben.
       
       ## „Die alte Welt ist hinter Dir her“
       
       Für das Berliner Kino Arsenal haben nun Enoka Ayemba, Marie-Hélène
       Gutberlet und Brigitta Kuster unter dem Titel „Cours, cours, camarade, le
       vieux monde est derrière toi“ eine Filmreihe rund um das Werk Med Hondos
       kuratiert. Der Titel greift einen Slogan der französischen 1968er-Bewegung
       auf: „Lauf Genosse, die alte Welt ist hinter Dir her“. Ayemba, Gutberlet
       und Kuster sind eine Art Allstar-Kuratorenteam, gehören die drei doch zu
       den wenigen, die sich in Deutschland mit afrikanischem Kino wirklich
       auskennen.
       
       Zurück zu den Anfängen: Der erste gehört zu Med Hondos Regiedebüt „Soleil
       Ô“ von 1969. Nachdem der Einstieg die Geschichte der europäischen
       Kolonisation in Erinnerung gerufen hat, sehen wir einen der schwarzen
       jungen Männer in Frankreich ankommen – auf der Suche nach Arbeit und
       gelockt von den Versprechungen der französischen Kolonialerziehung, dass
       man gemeinsam auf die Gallier als Vorfahren zurückblicke. Die Arbeitssuche
       wird ein Spießrutenlauf des Alltagsrassismus. Wieder und wieder kommt es
       noch nicht einmal zu einem wirklichen Bewerbungsgespräch.
       
       „Soleil Ô“ ist eine ernüchternde Bestandsaufnahme des Frankreichs der
       1960er Jahre. Der Film zeigt Szenen afrikanischen Lebens in Paris. Aber
       anders als Paulin Soumanou Vieyra in seiner Kurzdoku „Afrique-sur-Seine“,
       der schwarze Männer auf den Straßen von Paris filmte, stehen in Med Hondos
       Film die Konflikte im Vordergrund.
       
       ## Autobiografische Züge
       
       Bei einer Zusammenkunft verschiedener Gruppen von Afrikanern in Paris etwa
       in der Mitte des Films werden die Probleme erneut in die Perspektive des
       Kolonialismus gesetzt. Teile der Handlung tragen autobiografische Züge:
       Zehn Jahre vor seinem Protagonisten emigrierte Hondo 1959 selbst nach
       Frankreich, um dort nach einer Ausbildung in Marokko als Koch zu arbeiten.
       Stattdessen schlug er sich mit einer Reihe von Hilfsarbeiten durch.
       
       Der zweite Einstieg stammt aus einem Film, den Med Hondo zwölf Jahre später
       drehte: „West Indies“, eine kritische Geschichte der Kolonisation der
       westindischen Inseln. Ein Sklavenschiff dient Hondo als symbolische Kulisse
       für die Handlung, die in wechselnden Tableaus die Geschichte der
       Kolonisation erzählt. „West Indies“ speist sich aus Hondos Erfahrungen als
       Theatermacher.
       
       Nachdem er sich neben seinen diversen Jobs als Schauspieler ausgebildet
       hat, gründete er drei Jahre vor seinem Filmdebüt mit dem Schauspieler
       Robert Liensol aus Guadeloupe eine Schauspielgruppe. „West Indies“ ist halb
       Lehrstück, halb Musical und wirft bei den Zuschauern noch heute alles über
       den Haufen, was sie über afrikanisches politisches Kino zu wissen glaubten.
       
       Die Vorführungen der Filmreihe „Cours, cours, camarade, le vieux monde est
       derrière toi“ werden begleitet durch eine Vielzahl von Einführungen unter
       anderem durch die Regisseure Jean-Pierre Bekolo, Akin Omotoso und Philip
       Scheffner, den Schriftsteller Max Annas, den Direktor der algerischen
       Kinemathek Lyès Semiane, die Filmaktivistin Madeleine Bernstorff und viele
       andere mehr. Die Filmreihe aktualisiert und kontextualisiert das Werk Med
       Hondos durch Filme weiterer Regisseure. Ein idealer Einstieg in Geschichte
       und Gegenwart des afrikanischen Kinos.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       16 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
       ## TAGS
       
   DIR Retrospektive
   DIR Kolonialismus
   DIR Kolonialismus
       
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