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       # taz.de -- Halsbandsittiche erobern das Rheinland
       
       > Neobiota Der kleine grüne Vogel mit dem roten Halsband und dem roten
       > Schnabel ist entlang der Rhein-schiene in den letzten Jahrzehnten
       > heimisch geworden. Nicht überall wird der Halsbandsittich jedoch geliebt
       
   IMG Bild: Auf weit über 7.000 Exemplare ist die in Deutschland freilebende Population des Halsbandsittichs (Psittacula krameri) inzwischen angewachsen
       
       von Lutz Debus
       
       Den Kölnern ist ja wenig heilig. Ihr Dom ist ihnen heilig, natürlich der
       Karneval und – ihre spärlichen Parkplätze. Auf Letztere hat es eine ganz
       besondere Art von Migranten abgesehen. Es gibt Plätze und Straßen,
       besonders in der im alternativen Milieu beliebten Südstadt, da ist das
       Parken von Autos, das Flanieren oder auch nur das Sitzen auf Bänken
       unmöglich geworden. Hunderte von kleinen grünen Papageien finden sich in
       den Abendstunden in den Kronen der hohen Platanen ein, um gemeinsam die
       Nacht zu verbringen. Dabei machen die Halsbandsittiche ohrenbetäubenden
       Lärm und erleichtern sich. Unter den Bäumen bildet sich schnell eine Kruste
       von Vogelexkrementen.
       
       Als sich der zuständige grünalternative Bezirksbürgermeister ein Bild von
       dem öffentlichen Ärgernis machen wollte, wurde sein Fahrrad in kurzer Zeit
       so sehr verschmutzt, dass er sofort ein erklärter Gegner der aus Asien und
       Afrika stammenden Vögel wurde. Der Umweltausschuss beschloss umgehend, die
       zuständigen Behörden zu beauftragen, die Papageien zu vertreiben. Bis jetzt
       konnte man sich allerdings noch nicht auf eine praktikable Methode einigen,
       die auch Tierschützern annehmbar erscheint.
       
       ## Falken und Vogelscheuchen
       
       Sollen die Vögel mit Wasserschläuchen vertrieben werden? Soll man sie mit
       Scheinwerfern blenden oder mit Lärm beschallen? Soll man ihre Bäume mit
       Netzen verhängen oder die Bäume gar fällen? Auch der Einsatz von Falken und
       Vogelscheuchen wurde diskutiert. Passiert ist bislang nichts. Das ist
       vielleicht auch gut so. In der Nachbarstadt Düsseldorf hat man inzwischen
       erkannt, dass der Kampf gegen die inzwischen im ganzen Rheinland heimischen
       Papageien einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. In der Landeshauptstadt
       ließen sich die Vögel ausgerechnet an der edlen Königsallee nieder.
       Inzwischen hat man dort mit den zwitschernden und verdauenden Tieren
       Frieden geschlossen, nutzt sie gar als Touristenattraktion.
       
       Tatsächlich gibt es zumindest aus ökologischer Sicht bisher keinen Grund,
       gegen die Halsbandsittiche vorzugehen, weiß Sebastian Kolberg vom
       Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Vögel seien zwar eine
       gebietsfremde, aber keine invasive Art. Diesen Unterschied machen
       Naturschützer und Behörden, um das weitere Vorgehen festzulegen.
       Gebietsfremd seien alle Arten von Tieren und Pflanzen, die durch den
       Menschen, ob beabsichtigt oder nicht, ins heimische Ökosystem eingebracht
       wurden.
       
       Geschah dies nach dem Jahr 1492, gelten sie als sogenannte Neobiota. War es
       davor, so spricht die Fachwelt von Archäobiota. Die Festlegung auf das Jahr
       1492 wählte man aufgrund der Entdeckung Amerikas und damit der Neuen Welt.
       Gebietsfremd sind somit nicht nur der Halsbandsittich, sondern auch die
       Kartoffel.
       
       Eine invasive Art hingegen ist nicht nur ortsfremd. Sie gefährdet das
       bestehende Ökosystem, indem sie entweder heimische Arten auf ihrem
       Speiseplan hat und damit droht, sie auszurotten, oder sie verdrängt sie,
       weil sie deren Nahrung und Lebensraum beansprucht. Auch können gewisse
       Arten wie zum Beispiel bestimmte eingeführte Flusskrebse durch die
       Übertragung von Krankheiten heimische Bestände gefährden. Letztlich fallen
       auch die Lebewesen unter die invasiven Arten, die eine Gefährdung für den
       Menschen darstellen. Dies ist beim Riesenbärenklau der Fall. Die Pflanze
       aus dem Kaukasus verursacht gefährliche Quaddeln auf der Haut, wenn man mit
       ihr in Berührung kommt und Sonnenlicht auf die Kontaktfläche scheint. Hat
       sich der Bärenklau erst einmal angesiedelt, ist ihm nur noch mit
       mehrmaligem Pflügen beizukommen.
       
       Die im Rheinland brütenden Papageien erfüllen allerdings keine der
       Kriterien, um eine invasive Art zu sein. Sie ernähren sich streng
       vegetarisch von Blüten und Früchten von weitverbreiteten Pflanzen. Auch
       verdrängten sie keine heimischen Arten, so Till Töpfer, Ornithologe am
       Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) in Bonn. Sie
       übertragen keine Krankheiten und stellen keine Gefahr für den Menschen dar,
       sondern nur ein Ärgernis.
       
       Das erste Paar wurde in Deutschland 1967 in Köln gesichtet. Wahrscheinlich
       ist es dem Zoo oder einer Privatperson entflogen. In der im Winter milden
       Rheinschiene konnte sich die Art ausbreiten. Der Klimawandel hat in den
       letzten Jahren bei der rasanten Ausbreitung geholfen. So schätzt man den
       Bestand in Deutschland auf inzwischen 7.500 Tieren. Irgendwann werde sich
       die Zahl der Halsbandsittiche jedoch einpendeln, da die Kapazität in den
       Städten begrenzt sei, erklärte der Bonner Ornithologe in der Rheinischen
       Post.
       
       Gefahren für das heimische Ökosystem stellen andere Arten dar. Gerade hat
       die Europäische Union ihre Liste der invasiven Arten von 37 auf 49
       erweitert. Diese Liste allerdings, so erklärt der Nabu, decke lediglich
       einen Bruchteil der invasiven Arten ab. EU-weit rechne man mit bis zu 1.800
       Arten, die ökonomische Schäden von mindestens 12 Milliarden Euro
       verursachen.
       
       ## Invasive Grauhörnchen
       
       Ein klassisches Beispiel für die dramatischen Folgen der Ausbreitung
       invasiver Arten ist die Konkurrenz zwischen einheimischen Eichhörnchen und
       ausgesetzten Grauhörnchen, die aus Nordamerika stammen. Besonders in
       Großbritannien hat das stärkere Grauhörnchen das Eichhörnchen aus den
       meisten Wäldern verdrängt. Da sich das Grauhörnchen im Gegensatz zum
       rötlichen Eichhörnchen auch von der Rinde junger Bäume ernährt, gefährdet
       es nicht nur die Eichhörnchen, sondern auch den Baumbestand. Nun versucht
       man, durch die Ansiedlung von Mardern, die die langsameren Grauhörnchen
       besser fangen können, die Einwanderer aus Nordamerika wieder
       zurückzudrängen.
       
       Beim Waschbären, der hierzulande aktuell ein Problem darstellen kann, ist
       man bei der Wahl der Waffen noch unschlüssig. Waschbären, die sich rasant
       vermehren, können bedrohte Vogelarten, die versteckt oder am Boden brüten,
       gefährden. Der Deutsche Tierschutzbund (DTB) lehnt die Jagd auf den
       Waschbären ab. Der Deutsche Jagdverband (DJV) hingegen befürwortet diesen
       Weg als den einzig gangbaren. Sterilisation oder das Auslegen von Ködern
       mit empfängnisverhütenden Mitteln seien zu teuer und nicht praktikabel, so
       die Jäger.
       
       Sebastian Kolberg vom Nabu akzeptiert jagdliche Maßnahmen als Teil einer
       von Fachleuten erarbeiteten Gesamtstrategie, das allerdings nur als
       Brückenmaßnahme. „Letztlich hilft nur die Aufwertung und der nachhaltige
       Schutz der Lebensräume von bedrohten Arten.“ Diese sollten bei der
       Erarbeitung von Managementplänen stets mitgedacht werden. „Jagdliche
       Maßnahmen dürfen kein Dauerzustand sein“, so Kolberg. Wenn den bedrohten
       Vogelarten genug natürlicher Raum zur Verfügung gestellt werde, kann damit
       einer Gefährdung der entsprechenden Arten häufig entgegengewirkt werden.
       Der Mensch mit seinen Gebietsansprüchen durch Verkehr, Betonierung und
       industrieller Landwirtschaft sei der weitaus größere Feind der bedrohten
       Spezies.
       
       Der Homo sapiens ist auch ein entscheidender Faktor, wenn es um die
       Wiederansiedlung ausgestorbener Tierarten geht. Manche Fledermausarten
       finden wieder Lebensraum in Mitteleuropa. Viele Menschen beobachten diese
       Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Sie verbinden mit den nachtaktiven
       Tieren angstvolle Fantasien. Auch die eigenständige Rückkehr der Wölfe wird
       von vielen Menschen kritisch gesehen. Wölfe übernehmen durch die Jagd auf
       kranke und alte Wildtiere wieder die ökologische Funktion, die einst durch
       ihre Ausrottung verloren gegangen ist, so Sebastian Kolberg, Doch die
       Märchenfigur des bösen Wolfs wirkt noch heute. Dagegen, so Kolberg, helfe
       nur eine faktenbasierte Öffentlichkeitsarbeit.
       
       18 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lutz Debus
       
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