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       # taz.de -- Debatte Kampf gegen den IS-Terrorismus: Barcelona ist überall
       
       > Die Anschläge in Spanien zeigen: Sicherheitsbehörden ist es kaum noch
       > möglich, auf die dezentrale Strategie des IS zu reagieren.
       
   IMG Bild: Der Schmerz ist derselbe, ganz gleich, ob der IS seinen Terror in Barcelona, Paris oder Berlin verbreitet
       
       Vieles an den Hintergründen [1][des Terrorangriffs in Barcelona] ist noch
       unklar. Im Moment sieht es nicht so aus, als hätte die Zentralorganisation
       des „Islamischen Staats“ (IS) viel zu Vorbereitung und Durchführung des
       Anschlags beigetragen. So ist es bei den meisten Angriffen der
       Terrororganisation in Europa. Trotzdem handelt es sich nicht einfach um die
       isolierte Tat einer Gruppe fehlgeleiteter junger Männer, die der IS
       nachträglich für sich reklamiert, sondern um einen Anschlag des IS selbst.
       
       Dies liegt [2][in der Strategie begründet], für die sich die IS-Führung vor
       drei Jahren entschied. Damals ging es darum, auf die Luftangriffe der von
       den USA angeführten Militärkoalition in Syrien und im Irak zu antworten.
       Der IS greift dabei [3][auf die Gedanken] des Al-Qaida-Theoretikers Abu
       Musab al-Suri zurück, der unter dem Eindruck der gewaltigen Übermacht, die
       die USA in den Jahren nach dem 11. September gegen al-Qaida entfesselten,
       einen Plan entwarf, wie der Dschihad unter diesen Bedingungen fortgesetzt
       werden könnte.
       
       Klar war: Eine hierarchisch strukturierte Terrororganisation ist angesichts
       eines Gegners, der jedes Telefonat mithören und jeden Ort der Welt per
       Drohne erreichen kann, kaum überlebensfähig. Al-Suri suchte deshalb nach
       einer Methode, Anschläge zu verüben, die der Westen trotz seiner
       technologischen und militärischen Überlegenheit nicht verhindern kann.
       
       Seine Idee bestand darin, organisatorische Zusammenhänge weitestgehend
       aufzulösen und den Terrorismus zu dezentralisieren. Kleine, autonome Zellen
       ohne Kenntnis voneinander sollten sich aufgrund eigener Radikalisierung und
       des Wunschs, am Kampf gegen den Westen teilzunehmen, bilden – und
       selbstständig zur Tat schreiten.
       
       ## Al-Qaida-Strategie übernommen
       
       Wo der nächste Anschlag verübt wird und auf welche Weise, ist für die
       Sicherheitsbehörden deshalb nicht vorherzusehen. Die Front bewegt sich
       überall dorthin, wo sich die nächste Zelle bildet. Allerdings muss es noch
       eine ideologische und strategische Verbindung zwischen den verschiedenen
       Zellen und ihrem Handeln geben, sonst bliebe es bei unzusammenhängenden
       Attentaten ohne politische Botschaft. Suri sah deshalb eine zentrale
       Komponente, einen „inneren Kreis“ vor, der für Propaganda, ideologische
       Rechtfertigung und Anleitung zuständig ist, aber an den tatsächlichen
       Planungen und Anschlägen wenig Anteil hat.
       
       Der IS hat diese Strategie übernommen und an die technischen Möglichkeiten
       der Gegenwart angepasst. Seit September 2014, als der damalige Sprecher des
       IS, Abu Mohammad al-Adnani, einen Aufruf in die Welt schickte, den Kampf
       gegen die „Kreuzfahrer“ aufzunehmen – und sei es auch nur, indem man ihnen
       mit einem Stein den Schädel einschlägt oder sie mit dem Auto überfährt –,
       ruft die Organisation beständig dazu auf, Anschläge in westlichen Ländern
       zu begehen.
       
       Per Video und Onlinemagazin wird zugleich Woche für Woche die Sicht des IS
       auf die Welt und den Konflikt mit den westlichen Staaten dargestellt, die
       Notwendigkeit extremer Gewalt begründet, und erfolgreiche Anschläge werden
       gefeiert. Für alles Weitere vertraut der IS auf das selbstständige Handeln
       seiner Anhänger.
       
       Anschläge wie in Paris und Brüssel, für die der IS monatelang seine Truppen
       in Stellung gebracht hatte, sind die Ausnahme. Der Regelfall eines
       IS-Anschlags besteht schlicht darin, dass jemand den Ruf hört und in die
       Tat umsetzt: Gestern Manchester, heute Barcelona.
       
       ## Kein Zweifel an der Urheberschaft
       
       An Vorbereitung und Zielauswahl ist die Gruppe meist kaum beteiligt.
       Deshalb aber die Urheberschaft des IS in Zweifel zu ziehen verkennt die
       tieferen Überlegungen der Gruppe. Der dezentrale Dschihad erlaubt es dem
       IS, ohne eigenen organisatorischen Aufwand und ohne die
       Sicherheitsprobleme, die mit einer längeren und komplexeren
       Vorbereitungsphase verbunden sind, eine Terrorkampagne gegen westliche
       Länder zu führen. Wegen der primitiven Mittel, zu denen die Attentäter
       meist greifen, ergibt sich im Vorfeld kaum ein Hinweis auf
       Anschlagsplanungen.
       
       Eine Weiterentwicklung von Suris Theorie ist das Begleiten von Attentätern
       im Vorfeld per Messenger-App. Die Zellen bilden sich autonom, versuchen
       dann aber per Internet Verbindung zur IS-Zentrale herzustellen. Gelingt
       dies, erfolgt der weitere Kontakt über einen verschlüsselten
       Messengerdienst.
       
       Sofern es den Sicherheitsbehörden nicht bereits gelungen ist, sich Zugang
       zum Computer oder Smartphone eines Gefährders zu verschaffen, ist diese
       Kommunikation nicht mitzulesen. Die Botschaften, die der IS dabei
       versendet, reichen von einfachen Aufforderungen, möglichst bald irgendeinen
       Anschlag zu begehen, bis zu genaueren Instruktionen. Letzteres war
       offenbar bei dem kürzlich missglückten Versuch, in Sydney, eine Bombe in
       eine Passagiermaschine zu schmuggeln, der Fall.
       
       Wir wissen noch nicht, ob und welche Kommunikation zwischen den Attentätern
       von Barcelona und IS-Planern stattgefunden hat. Es ist jedoch sehr
       wahrscheinlich, dass zumindest der mutmaßliche Anführer der Zelle, der Imam
       Abdelbaki E., Kontakt zur zentralen Organisation hatte. Spanien ist als
       Mitglied der Anti-IS-Koalition automatisch im Zielspektrum des IS.
       
       ## Mehr Geld für Prävention
       
       Al-Suri suchte nach einer Methode, die der Gegner nicht verhindern kann –
       und er hat sie gefunden. Solange es Menschen gibt, die die Propaganda des
       IS annehmen, wird es weiter Anschläge geben. Alles, was die
       Terrororganisation hierfür braucht, sind Freiwillige auf der einen Seite
       und einen Rechner mit Internetzugang auf der anderen, um den Aufruf zum
       Dschihad in die Welt zu senden.
       
       An beidem wird es dem IS auch in den nächsten Jahren nicht fehlen, ganz
       unabhängig davon, was mit dem Kalifat passiert. Für die westlichen
       Demokratien bedeutet das: Wir müssen den Kampf gegen den IS vor allem mit
       dem Fokus auf Personen, auf potenzielle Attentäter führen – bei aller
       Notwendigkeit militärischer, nachrichtendienstlicher und polizeilicher
       Maßnahmen. Mehr Geld für Präventionsprogramme, eine regelmäßige unabhängige
       Evaluierung von deren Wirksamkeit und eine wirksame Koordination der
       verschiedenen Maßnahmen wären ein wichtiger Anfang.
       
       23 Aug 2017
       
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