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       # taz.de -- Zukunft der deutschen Autoindustrie: Das E-Auto kommt nicht von allein
       
       > Wie bringt man die deutschen Autobauer dazu, nicht länger an überkommenen
       > Technologien zu kleben ? Etwa mit einer Mindestquote für E-Autos?
       
   IMG Bild: Rückwärts- oder vorwärtsgewandt? Die Deutsche Autoindustrie muss sich entscheiden
       
       Berlin taz | Das Vertrauen in [1][die deutsche Autoindustrie] ist
       aufgebraucht, selbst bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Branche,
       die zu den Pfeilern des ökonomischen Wohlstands in Deutschland gehört, hat
       sich selbst in Misskredit gebracht: Sie hat Dieselmotoren manipuliert, um
       den massenhaften Ausstoß gesundheits- und umweltschädlicher Stickoxide zu
       verschleiern; sie steht unter einem [2][gravierenden Kartellverdacht] – und
       sie hat den Trend zur Elektromobilität verschlafen.
       
       Allerdings fassen Politiker die in den Abgasskandal verwickelten
       Automanager mit Samthandschuhen an, um deren Image zu schonen und die
       Wiedergutmachungskosten in Grenzen zu halten. „Wir arbeiten daran, dass es
       keine Fahrverbote gibt“, sagte Merkel erst am Montag wieder. Zudem müsse
       man die Jobs in der Autoindustrie berücksichtigen.
       
       Beim Thema Elektromobilität hingegen scheint sich nun ein Kurswechsel
       anzubahnen: Statt nur darauf zu setzen, dass die Konzerne versprechen, mehr
       für die E-Motoren zu tun, könnte [3][eine Quote für E-Autos] eingeführt
       werden.
       
       Abwegig ist das nicht: Was die chinesische Regierung kann, müsste doch auch
       für deutsche und europäische Staatslenker machbar sein. Schon vom nächsten
       Jahr an sollen die Autokonzerne in China eine Mindestquote von 8 Prozent
       für den Absatz von Elektroautos erfüllen, andernfalls drohen
       Strafzahlungen.
       
       ## Eine Lehre aus der Vergangenheit: Druck ist nötig
       
       In Deutschland könnte eine Quote den Wandlungsprozess in den Unternehmen
       stützen und den Kapazitätsausbau auf dem Heimatmarkt Deutschland
       beschleunigen, argumentiert das Bundesumweltministerium in einem am Montag
       verschickten Positionspapier.
       
       Hinter der Quotenforderung steckt letztlich die Erkenntnis, dass alle
       ökologischen Fortschritte im Autoverkehr stets gegen die Branche
       durchgesetzt werden mussten, die mit ihren
       Größer-schneller-stärker-Modellen riesige Gewinne einfuhr und einfährt.
       Dazu gehörten die Dieselrußfilter ebenso wie sparsamere Motoren und die
       Abgasreinigung.
       
       Deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass die Industrie ohne Quote in der
       Lage ist, künftig Wagen mit Verbrennungsmotoren in nennenswertem Umfang
       durch E-Autos zu ersetzen – Autos, die auf der Straße emissionsfrei fahren
       und ihren Strom ökologisch tanken können.
       
       Warum? Weil die Konzerne die Investitionen und Risiken scheuen – und weil
       sie nicht wissen, wie sie den Kunden die neuen Fahrzeuge schmackhaft machen
       sollen. Denn die müssten sich daran gewöhnen, ihre Autos etwas anders zu
       nutzen: zum Beispiel längere Tankzeiten einzuplanen. Mit reinen E-Autos
       kann man nicht spontan an die Tankstelle fahren, in drei Minuten auftanken
       – wie derzeit mit Benzin, Diesel oder Gas – und dann 600 Kilometer am Stück
       losbrettern. So etwas ist höchstens mit Hybriden möglich.
       
       ## Es gibt sie sportlich, vielseitig und ziemlich praktisch
       
       Zwar dürfte eine solche Spontanfahrt im Alltag höchst selten vorkommen.
       Aber viele Kunden und Kundinnen sind daran gewöhnt, dass sie möglich wäre,
       wenn sie es wollten. Denn ein Auto – so suggeriert die Werbung seit
       Jahrzehnten – bedeutet für viele Fahrer Freiheit und Unabhängigkeit. Das
       stimmt zwar schon wegen der vielen Staus nur bedingt, aber der Gedanke hat
       sich festgesetzt.
       
       Dabei können E-Autos heute schon verschiedene Images bedienen. Dazu zählen
       sportlich-luxuriöse wie die Modelle des US-Herstellers Tesla ebenso wie
       vielseitig-alltagstaugliche Typen europäischer und japanischer Hersteller
       oder pragmatische wie etwa das Lieferfahrzeug der Deutschen Post.
       
       Das E-Postauto ist quasi der Prototyp für Flottenanwendungen: Tagsüber ist
       es auf relativ kurzen Strecken mit vielen Stopps unterwegs; nachts kommt es
       an die Steckdose. Weil nachts genug Ladezeit und Strom vorhanden ist, kann
       man sich in diesem Fall sogar Hochleistungsschnellladesäulen sparen.
       
       So vielversprechend dies aussieht, so wenig ist davon schon der Durchbruch
       der recht teuren E-Autos zu erwarten. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz
       fordert daher eine europäische Quote, und Umweltstaatssekretär Jochen
       Flasbarth sprang ihm jüngst bei. „Wir wären nicht gut beraten, in dieser
       Frage allein auf den Markt zu vertrauen“, sagt er.
       
       ## Was dabei allerdings noch zu bedenken wäre
       
       Eine verbindliche Quote für den Anteil von E-Autos an den Neuzulassungen
       könnte sich nach Vorstellungen des Bundesumweltministeriums anfangs im
       einstelligen Prozentbereich bewegen und bis Mitte des nächsten Jahrzehnts
       bei 25 Prozent liegen. Die deutsche Autoindustrie habe für das Jahr 2025
       selbst angekündigt, 25 Prozent Elektrofahrzeuge zu verkaufen. „Wenn das,
       was sie selbst prognostizieren, als Quote festgelegt wird, kann eigentlich
       niemand dagegen sein.“ Den Vorwurf, dass die Politik mit einer Quote eine
       bestimmte Technologie vorschreibe, weist Flasbarth zurück. Die Quote sei
       technologieoffen, sie beziehe sich auf emissionsfreie Autos. Diese könnten
       auch durch Brennstoffzellen oder synthetische Kraftstoffe angetrieben
       werden.
       
       Allerdings sei der Energiebedarf von E-Autos weitaus niedriger, auch sei
       die Batterie auf den wichtigsten Automärkten auf dem Vormarsch. Daher gebe
       es industriepolitische Argumente, in diese Richtung zu gehen.
       
       Besonders weitgehend sind die Pläne in China, dem für die deutsche
       Autoindustrie wichtigsten Ländermarkt. Die strengen Quotenregelungen, die
       ab 2018 gelten, sollen nicht nur für bessere Luft sorgen. Die ist in vielen
       Städten der Volksrepublik insbesondere im Winter extrem verschmutzt (im
       Übrigen deutlich schlimmer als in dem vom Dieselskandal besonders
       betroffenen Stuttgart). Es geht der chinesischen Regierung auch um die
       Förderung der heimischen Autoindustrie, die auf E-Autos fokussiert ist.
       
       Sollten sich E-Autos global durchsetzen, wären dann, so die Hoffnung, auch
       die chinesischen Hersteller auf den Weltmärkten präsent. Diese werden
       derzeit noch von namhaften europäischen, japanischen und US-amerikanischen
       Marken dominiert.
       
       ## Wasser in den Wein der E-Auto-Zukunft
       
       Der Clou an der geplanten Quote in China ist: E-Auto ist nicht gleich
       E-Auto. Elektroautos mit einer hohen Reichweite sollen in einem
       Punktesystem höher bewertet werden als Fahrzeuge, die viel früher an die
       Ladesäule müssen. Außerdem können sich die Autokonzerne untereinander
       Quotenpunkte abkaufen, falls sie die Quote in einem Jahr nicht schaffen,
       andere aber darüber liegen. China schafft auf diese Weise eine
       interessante Verbindung aus staatlichen Planvorgaben und
       marktwirtschaftlichen Instrumenten.
       
       Dass Deutschland hohen Nachholbedarf hat, zeigt ein Blick auf die
       Statistik. Anfang Januar gab es in Deutschland nach Angaben des
       Kraftfahrtbundesamts gerade mal 34.000 reine Elektroautos und 165.000
       Hybridfahrzeuge. Dies bedeutete zwar eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr
       um 33 beziehungsweise 27 Prozent, aber angesichts von knapp 46 Millionen
       Pkws ist ihr Anteil verschwindend gering.
       
       Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) findet eine E-Auto-Quote
       nicht prinzipiell falsch, geht aber mit seinen Forderungen weiter. „Wir
       brauchen einen ambitionierten Grenzwert für den Kohlendioxidausstoß“, sagt
       VCD-Autoexperte Gerd Lottsiepen der taz. Daraus ergebe sich indirekt auch
       eine E-Auto-Quote. Die schlechtere Lösung sei, wenn es einen laschen
       CO2-Grenzwert, kombiniert mit einer E-Auto-Quote, geben würde. „Das würde
       die Klimaprobleme des Verkehrs nicht lösen helfen.“
       
       Ein wenig Wasser in den Wein der goldenen E-Auto-Zukunft muss aber sein:
       Denn Elektroautos, selbst wenn sie nur von Ökostrom angetrieben werden,
       verursachen in umwelt- und menschenrechtspolitischer Hinsicht neue
       Probleme, vor allem durch ihren immensen Bedarf an Rohstoffen für die
       Batterien, darunter Lithium, Kobalt, Mangan, Nickel, Grafit. Gegen die
       Förderung von Lithium gibt es in Südamerika starke Proteste der
       Bevölkerung, weil sie viel Grundwasser verbraucht und weite Landstriche
       verwüstet.
       
       ## China hätte demnächst doppelten Hebel
       
       Besonders schlimm aber ist der Abbau von Kobalt im zentralafrikanischen
       Kongo, wo 60 Prozent aller weltweit vorhandenen Vorräte lagern. Hier wird
       in Handarbeit, teils von Kindern, Erde bewegt, um an den begehrten Rohstoff
       zu kommen. Schon seit Längerem engagiert sich China im Kongo, um die
       Vorräte zu kontrollieren.
       
       So hätte China demnächst einen doppelten Hebel gegen ausländische
       Autokonzerne in der Hand: auf dem Heimmarkt die Quote und auf den
       internationalen Rohstoffmärkten die begehrten Ressourcen, die umso teurer
       werden, je größer die – politisch gewollte – Nachfrage ist.
       
       22 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Richard Rother
       
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