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       # taz.de -- Streit um AKW-Abriss in Brunsbüttel: Keiner will den strahlenden Schrott
       
       > Das stillgelegte AKW Brunsbüttel soll zurückgebaut werden. Atomgegner
       > befürchtet Billigabriss zulasten von Mensch und Natur.
       
   IMG Bild: Wohin mit dem Restmüll? Das Atomkraftwerk Brunsbüttel (im Hintergrund) soll in die Tonne getreten werden
       
       Hamburg taz | Karsten Hinrichsen ist voller Argwohn. Das am Dienstag vom
       Energiekonzern Vattenfall vorgestellte Konzept zum Rückbau des
       stillgelegten Atomkraftwerks Brunsbüttel hält er für gefährlich. „Voller
       unnötiger Belastungen für Mitarbeiter, Anwohner und Umwelt“ sei die
       Planung, kommentiert der Diplommeteorologe aus Brokdorf, seit über 30
       Jahren Ikone der Anti-Atom-Bewegung an der Unterelbe. Dem Konzern gehe es
       vor allem darum, „möglichst viel Deponieraum zu sparen und dafür Menschen
       und Natur als Billigdeponie zu missbrauchen“, vermutet er.
       
       Schon 2031 könnte anstelle des Meilers dort wieder eine „grüne Wiese“ sein,
       glaubt Kraftwerkschef Markus Willicks. Die Abrissgenehmigung wurde 2012
       beantragt. „Wir gehen davon aus, dass wir die Genehmigung Anfang, Mitte
       2018 bekommen“, so Willicks gestern. Für den vollständigen Rückbau des 40
       Jahre alten Atommeilers müsse mit zehn bis 15 Jahren gerechnet werden. Dann
       würde von dem störanfälligen AKW, das als „Pannenreaktor“ in die Geschichte
       Schleswig-Holsteins eingegangen ist, nichts mehr übrig bleiben.
       
       Bis dahin aber ist es ein weiter Weg. Die Brennelemente aus dem
       Reaktordruckbehälter sind bereits bis Mitte Juni in Castorbehälter verpackt
       und im Zwischenlager auf dem Kraftwerksgelände verstaut worden. Dem
       allerdings hatte Anfang 2015 das Oberverwaltungsgericht Schleswig wegen
       Sicherheitsbedenken die Betriebsgenehmigung entzogen. Die Atomaufsicht im
       Energie- und Umweltministerium des grünen Robert Habeck indes duldet das
       Lager mangels Alternativen: Es gibt keinen anderen Ort für den strahlenden
       Schrott der Reaktoren, ein atomares Endlager in Deutschland liegt in noch
       sehr weiter Ferne – Übergangslösungen müssen also her.
       
       Auch für die 632 verrosteten Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem
       Abfall, die seit Anfang 2016 aus den Kavernen des Meilers geborgen werden
       und sicher entsorgt werden müssen. Sie könnten ins niedersächsische
       Endlager Schacht Konrad gebracht werden, wenn dieses betriebsbere-it wäre –
       frühestens 2022 wird das der Fall sein. Bis dahin werden sie in zwei
       Überfässer gesteckt und im Zwischenlager verwahrt.
       
       ## 30.000 Tonnen radioaktive Abfälle
       
       Und dann gibt es noch einen gewaltigen Berg an Problemschrott: Nach Angaben
       des Umweltministeriums hat der Meiler Brunsbüttel eine Masse von etwa
       300.000 Tonnen, rund 90 Prozent davon seien unbelasteter „Bauschutt“.
       Bleiben noch rund 30.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktive Abfälle, die
       dekontaminiert und gelagert werden müssen – zum Beispiel die Betonwände der
       Kavernen, in denen die Rostfässer jahrelang unbemerkt vor sich hin
       strahlten.
       
       Und genau hier setzt die Kritik von Karsten Hinrichsen an. Er bezweifelt
       Vattenfalls Methodik des sogenannten Freimessens des Materials. Mit
       „willkürlichen Grenzwerten“ könne die Menge des angeblich ungefährlichen
       Schrotts nach belieben gesteigert werden, vermutet er. Konkret moniert
       Hinrichsen, dass es kein radiologisches Gesamtkataster gebe, aus dem
       ersichtlich sei, welche radioaktiven Stoffe in welchem Maß im Meiler
       Brunsbüttel vorhanden sind: „Der Tenor von Vattenfall ist deutlich: Je mehr
       radioaktiven Abfall wir in die Umwelt entlassen können, umso weniger kostet
       uns die Entsorgung“, lautet Hinrichsens Interpretation. „Das Ziel ist ein
       sehr schlanker Abriss.“
       
       Dem widerspricht das Kieler Energieministerium. Alle Abfälle, die laut
       Definition des Strahlenschutzgesetzes als radioaktiv gelten, dürfen nicht
       recycelt werden. Der Grenzwert, ab dem Material als radioaktiv gilt, liegt
       bei zehn Microsievert, deutlich weniger als die maximal erlaubte effektive
       Jahresdosis für Menschen.
       
       Hinrichsen beruhigt das nicht. Er befürchtet, dass Bauschutt mit angeblich
       zu geringer Radioaktivität als ungefährlicher Restmüll „aus dem Atomgesetz
       entlassen“ werde. Der könne als Rigipsplatte ins Haus kommen oder „als Sand
       in der Sandkiste“ landen. „Dieser Abriss“, sagt er, „ist eine Farce.“
       
       23 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven-Michael Veit
       
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