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       # taz.de -- Generationsfrage Alkoholkonsum: Auf dem Weg zum Olymp
       
       > Nicht die Jugend, nein, die Generation der Babyboomer ist es, die sich
       > einer „Guardian“-Recherche zufolge zunehmend hemmungslos die Kante gibt.
       
   IMG Bild: Nicht nur beim Wein, sondern auch beim Weintrinker kommt es offenbar auf das Alter an
       
       Der alte Herr ließ schon mittags Wein kredenzen, seine Haushaltsbücher
       sprechen von zwei Litern, die er als täglichen persönlichen Grundbedarf
       kalkulierte. Andächtig sich nähernde Besucher kamen nicht umhin, eine
       bedenkliche Vernachlässigung der Leibwäsche des sonst durchaus
       eindrucksvollen Mannes zu konstatieren. Manche sahen den weltberühmten
       Dichter sogar, wenn nicht verwahrlost, so doch stark vereinsamt in seinem
       stattlichen Anwesen dahinvegetieren. Andererseits: Mit wem hätte der greise
       Goethe sich schon auf Augenhöhe unterhalten sollen, wenn nicht mit einer
       Flasche Rheinwein?
       
       Wer noch glaubte, der Missbrauch von Alkohol sei ein Problem der jungen
       Generation, sieht sich nun durch eine [1][Guardian]-Recherche widerlegt.
       Die Suchtsituation bei den sogenannten Babyboomern sei allgemein sehr
       ernst, zitiert die Zeitung diverse Experten. Die Menschen in der zweiten
       Lebenshälfte kämen schlecht zurecht mit dem Ruhestand, litten unter
       Traurigkeit und seien vor allem einsam.
       
       Dass unter solchen Umständen Rotwein für alte Knaben nicht zu den besten
       Gaben gehört, sieht man in London auch wissenschaftlich belegt. Bis 2020
       werde sich die Zahl der über 50-Jährigen, die wegen der durch ihren
       Drogenkonsum bedingten Gesundheitsprobleme medizinischer Behandlung
       bedürften in Europa verdoppeln und in den USA sogar verdreifachen.
       
       Bereits im Zeitraum 2015/2016 sei mehr als eine halbe Million Erwachsener
       zwischen 55 und 74 Jahren in englischen Krankenhäusern wegen Verletzungen
       und Krankheiten in Zusammenhang mit ihrem Alkoholkonsum behandelt worden –
       mehr als aus jeder anderen Altersgruppe. Und in Australien würden die
       Ü50-People viel öfter zu Cannabis greifen als ihre jüngeren Landsleute, die
       sogenannten Millennials.
       
       Dass der Drogenmissbrauch im Alter verantwortlich sei für die Zunahme von
       Herz- und Krebserkrankungen sowie von Demenz rundet das Bouquet der
       Guardian-Berichterstattung fein ab; wobei man doch mit einer gewissen
       Überraschung liest, dass die Babyboomer mehr tränken als ihre Eltern –
       seien sie doch die erste Generation von „Zu-Hause-Trinkern“, die eher
       billigen Supermarktstoff konsumierten als regelmäßig aus der kleinen Kneipe
       am Ende der Straße nach Hause zu wanken, um Frau und Kinder zu verprügeln.
       
       Diesen polemischen Schwenk als trotzige Abwehrreaktion eines Ertappten zu
       interpretieren, werden psychologisch geschulte LeserInnen nun kein Problem
       haben – soweit sie ihr Gehirn nicht ebenfalls schon in Alkohol eingelegt
       haben: Der Guardian beschreibt schließlich recht genau die werte Klientel
       der Print-taz und der taz-Genossenschaft, mit einem Altersdurchschnitt
       jenseits der 50 (die langweiligen Millennials lesen die taz im Internet,
       wodurch sie eigentlich mehr Geld für Drogen übrig hätten, aber wir wollen
       nicht ablenken).
       
       Der Autor selbst, der im Jahr 2020 mit 52 Jahren die Reihen der
       Alterssuffkis aufstocken wird, erinnert sich noch gut an seinen letzten
       Hausarztbesuch, bei dem ihm, schon in der Tür stehend, noch angenehm
       moralfrei nachgerufen wurde: „Sie trinken gern mal einen – das sieht man an
       ihrem Blutbild.“ Darauf fiel mir nichts ein als ein bedröppeltes „Ja“, was
       wohl schon auf beginnende Demenz hinweist.
       
       Wenn einen die nassen Tatsachen verstummen lassen, tut man gut daran, zu
       einem zurückzukehren, dem ein Gott – möglicherweise der des Weines – zu
       sagen gab, wie er litt. Als der Olympier einmal vergeblich auf
       Geburtstagsgratulanten wartete und sich dabei zunehmend ärgerlich mit
       Rotwein bezwitscherte, konnte erst sein herbeigerufener Diener samt
       Kalender die Datumsverwechslung auflösen: Der vermeintliche 28. August
       entpuppte sich als erst der 27. August. Daraufhin Goethe: „Donnerwetter, da
       habe ich mich ja umsonst besoffen!“
       
       23 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.theguardian.com/society/2017/aug/23/baby-boomers-drink-and-drug-misuse-needs-urgent-action-warn-experts
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ambros Waibel
       
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