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       # taz.de -- Repressionen und Gewalt in Gambia: Der Wunsch nach Gerechtigkeit
       
       > Während der Herrschaft Yahya Jammehs wurden Tausende willkürlich
       > verhaftet und gefoltert. Dem Land steht eine schwierige Aufarbeitung
       > bevor.
       
   IMG Bild: 22 Jahre hat Ex-Präsident Yahya Jammeh Gambia regiert – jetzt lebt er im Exil
       
       Die Welt von Yusufa Mbaye ist nur wenige Quadratmeter groß und von Mauern
       umgeben. Egal, ob er im Haus seiner Eltern im Wohnzimmer oder auf der
       Terrasse sitzt: Der 34-jährige hagere Mann starrt auf hohe Wände und
       manchmal auch auf den Fernseher. Seit mehr als 17 Jahren sitzt Mbaye im
       Rollstuhl und kann das Eingangstor nur durchqueren, wenn seine Schwester
       oder die Mutter helfen. Schon im Haus machen ihm Bewegungen zu schaffen.
       Der Händedruck ist schlaff.
       
       Im April 2000 traf eine Kugel Yusufa Mbaye in den Rücken. Seitdem ist
       querschnittsgelähmt, ständig auf Hilfe angewiesen und ohne eigenes
       Einkommen. Weder konnte er sein Studium beenden noch einen Job finden. Bis
       heute quält ihn aber noch etwas anderes: „Ich will wissen, wer damals auf
       mich geschossen hat.“
       
       Die Schüsse auf die Studenten im April 2000 gehören zu Gambias nicht
       aufgearbeiteter Vergangenheit. Auslöser war der Tod eines Studenten im März
       gewesen. Nach einer Diskussion mit seinem Dozenten war er von
       Feuerwehrmännern aus dem Klassenzimmer geholt worden, die ihn anschließend
       zu Tode folterten.
       
       In dieser Zeit wurde auch eine 13-jährige Schülerin vergewaltigt. „Wir
       wollten wissen, was wirklich passiert ist. Und wir wollten, dass jemand
       Verantwortung übernimmt“, erinnert sich Yusufa Mbaye und schaut dabei auf
       seine Hände. Doch die Proteste, zu denen die gambische Studenten-Union
       aufrief, endeten am 10. und 11. April mit 14 ermordeten Studenten. Mbaye
       überlebte und wurde zur Behandlung nach Ägypten geflogen.
       
       Geschehen ist all das unter der 22-jährigen Herrschaft von Yahya Jammeh. Im
       Dezember 2016 verlor er überraschend die Wahl gegen den damals recht
       unbekannten Oppositionsführer Adama Barrow. Nach zähen Verhandlungen der
       Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und der Präsenz ihrer
       Streitkräfte Ecomog, die bis heute im Land sind, ging Jammeh Ende Januar
       ins Exil nach Äquatorialguinea. Hinterlassen hat er neben leeren Kassen
       viel Misstrauen, unaufgearbeitete Menschenrechtsverletzungen und Täter, die
       nie für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen wurden.
       
       „Wir wissen nicht, wie hoch die Zahl der Opfer ist“, gibt heute
       Justizminister Abubacarr Tambadou (44) zu, „Jammeh hat ja fast ein
       Vierteljahrhundert regiert.“ Unter den Opfern sind Menschen, die ganz
       offensichtlich von Sicherheitskräften verletzt wurden, aber auch jene, die
       heimlich in den Räumen von „Mile 2“, wie das bekannteste Gefängnis des
       Landes heißt, gefoltert wurden.
       
       Anfang August machte eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters
       Schlagzeilen, in der es heißt, dass bis zu 52 Migranten aus dem Senegal
       erschossen und kurz hinter der Grenze verscharrt wurden. Jammeh, der 1994
       durch einen Staatsstreich an die Macht kam, hatte offenbar große Angst vor
       einem Coup d’État. Oppositionelle berichten, dass zahlreiche Personen
       deshalb angeschuldigt und verhaftet wurden.
       
       Tambadous ehrgeiziges Ziel ist es, all das aufzuarbeiten. Bürgerinnen und
       Bürger, die Opfer von Gewalt geworden sind, können sich an sein
       Ministerium, aber auch das gambische Zentrum für Opfer von
       Menschenrechtsverletzungen wenden. Koordiniert wird das von der Wahrheits-,
       Versöhnungs- und Entschädigungskommission, die mit internationaler
       Unterstützung und knapp 1,2 Millionen Euro gegründet werden konnte. „Wir
       müssen die Wahrheit kennen. Nur so kann der Heilungs- und
       Versöhnungsprozess beginnen“, sagt der Justizminister.
       
       ## Die Schuldigen stehen noch nicht fest
       
       Auf den Straßen Banjuls, aber auch in südlicher gelegenen Ferienorten
       herrscht eine offene, entspannte Stimmung. Vor allem junge Menschen
       sprechen schnell und bereitwillig über die Jahre unter Jammeh und vor allem
       die Aufbruchstimmung. Unter der Hand heißt es jedoch, dass nun die Diola um
       Macht und Einfluss fürchten. Dieser ethnischen Gruppe gehört auch der
       Expräsident an. Um eine Spaltung zu verhindern, habe man bei der Besetzung
       der Kommission darauf geachtet, dass sich alle Regionen und ethnischen
       Gruppen vertreten fühlen, so Justizminister Tambadou.
       
       Ob das gelingt, ist jedoch noch völlig unklar. Bisher steht noch nicht
       einmal fest, wer für die Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft
       gezogen werden soll. Ist es die Riege um Jammeh, oder sind es auch Soldaten
       und Polizisten, die bei Gewalt nicht eingeschritten sind oder auch selbst
       gefoltert haben.
       
       Yusufa Mbaye hat eine klare Antwort: Er fordert die Aufklärung aller
       Verbrechen. „Natürlich will ich wissen, wer damals auf mich geschossen
       hat“, wiederholt er. Seine Stimme klingt lauter und entschlossener als noch
       vor wenigen Minuten.
       
       Gleichzeitig ernüchtern ihn die ganzen Diskussionen um die Kommission schon
       wieder. „Ich habe im Januar Präsident Barrow persönlich in Dakar
       getroffen“, erzählt er. Da sich Jammeh am 19. Januar noch weigerte, das
       Land zu verlassen, wurde sein Nachfolger kurzerhand im Senegal vereidigt.
       Seitdem hat der neue Staatschef aber nichts mehr von sich hören lassen,
       klagt Mbaye.
       
       Damit verbunden ist noch etwas anderes: Die Regierung will die Opfer
       entschädigen, etwa durch Invalidenrenten und Stipendien für Kinder, deren
       Eltern ermordet wurden. Der 34-jährige Mbaye zuckt mit den Schultern: „Ob
       ich irgendwann einmal eine Entschädigung bekomme oder ob ich keine bekomme,
       ich weiß es nicht.“ Helfen könnte sie dennoch, ihm einen zweiten Wunsch zu
       erfüllen: „Ich würde gern Jura studieren, Anwalt werden und für
       Gerechtigkeit sorgen.“
       
       24 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Gänsler
       
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