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       # taz.de -- Sportfest im Olympiastadion: Muss gar nicht immer Fußball sein
       
       > Beim Istaf am Sonntag im Olympiastadion kommt eine neue Fanbühne zum
       > Einsatz, Die Leichtathletik zeigt damit, wie man die Fanbasis
       > wertschätzen kann.
       
   IMG Bild: Ein Tag lang höher, schneller, weiter: beim Istaf im Olympiastadion
       
       Eine Bühne. Es ist eine Bühne, die die vielleicht klügste Entdeckung für
       das Leichtathletikfest im Olympiastadion ist. Wichtiger als die
       Weltmeister, die über die Laufbahn hetzen und Speere in den Himmel
       schleudern und auch diesmal wie jedes Mal groß angepriesen werden.
       
       Aber die Bühne: 4 Meter hoch, 10 Meter breit, 25 Meter lang, 20 Tonnen
       schwer, das ist der Steckbrief. Im Juni haben die Macher des
       Internationalen Stadionfestes (Istaf) sie vorgestellt. Eine hochgelegte
       Plattform, die sich über der blauen Laufbahn im Stadion erstreckt und wie
       ein Tunnel funktioniert, unter dem die Sprinter dieser Welt dann ihre
       Bahnen ziehen.
       
       Etwa hundert Fans gleichzeitig können oben auf dieser Bühne stehen und das
       tun, was man als Leichtathletik-Zuschauer mutmaßlich gern tut, also Fotos
       machen, Sportler treffen, Autogramme holen, den Wettkampf aus nächster Nähe
       sehen. Das charmante Detail: Nicht wer am meisten zahlt, kommt dorthin,
       sondern jeder, der sich anmeldet. Regelmäßig wird getauscht. Gewissermaßen
       eine für alle zugängliche VIP-Area, eine Demokratisierung des Besuchs. Man
       kann das durchaus als einen Anstoß für andere Sportarten sehen.
       
       ## Ein Streit ums Stadion
       
       Vor einigen Wochen noch schien es, also würde das traditionsreiche Istaf
       eher ein PR-Streit ums Olympiastadion werden. „Wenn 50.000 Leute kommen“,
       sagte Istaf-Chef Martin Seeber, „wird man es sich dreimal überlegen, ob man
       die Bahn rausreißt.“ Eine nachdrückliche Anspielung auf die
       zwischenzeitlichen Pläne von Hertha BSC, das Olympiastadion in eine reine
       Fußballarena, also ohne Laufbahn um die Rasenfläche, zu verwandeln.
       
       Aber der Sturm hat sich etwas gelegt. Eine Woche vor dem Start des Istaf
       raunte der Tagesspiegel, dass ein Umbau des Stadions als Alternative aus
       dem Rennen sei, aus „finanziellen und sportpolitischen Gründen“. Nun weiß
       natürlich in der seit Monaten vor sich hin eiernden Stadion-Diskussion
       niemand, ob nicht in wenigen Tagen schon wieder alles anders aussieht, aber
       fürs Erste gehen die Leichtathleten mit niedrigerem Ruhepuls ins
       diesjährige Istaf. Die Organisatoren schauen stattdessen vor allem auf
       etwas anderes: auf die Zugänglichkeit.
       
       Acht aktuelle Weltmeister werden dieses Jahr beim Istaf antreten. In der
       Leichtathletik werden sie in den Vorankündigungen gern mit ihrer letzten
       Medaille, ihrer Disziplin und ihrem Herkunftsland genannt, weil sonst eben
       kein Mensch weiß, dass zum Beispiel dieser Andrius Gudzius Weltmeister im
       Diskus ist. Trotzdem hat es das Istaf über Jahre geschafft, relativ
       konstante Zuschauerzahlen anzuziehen. Die Schnitt der Besucher der
       eintägigen Veranstaltung pendelte immer irgendwo zwischen 40.000 und
       60.000.
       
       In einer Zeit, in der der große Fußball um verloren gegangene Nähe zur
       Basis ringt, Kriegserklärung seines Publikums erlebt und latente Wut über
       wuchernde Eintrittspreise, ist sich das Istaf mit einer gewissen aus dem
       Mangel geborenen Initiative seines Vorteils bewusst geworden: Diese Stars,
       die keine sind, vermitteln Nähe. Charme. Man könnte sie im Supermarkt
       treffen oder beim Bäcker. Man tut das auch. „Wir wollen in der
       Leichtathletik Stars und Vorbilder zum Anfassen“, sagte Istaf-Direktor
       Seeber, als er die Fanbühne vorstellte, diese sinnbildliche und faktische
       Brücke, den Ort der Begegnung. Und: „Wir wollen die Distanz zwischen
       Sportlern und Fans weiter abbauen.“ Im Fußball kommen die Trainings ohne
       Publikum, beim Istaf kann man jetzt bei der Siegerehrung daneben stehen.
       
       ## Die Diener der Zuschauer
       
       Natürlich geht es auch um Entertainment, um Selfies und Instagram. Der in
       Berlin trainierende Diskuswerfer Christoph Harting, der auch beim Istaf
       startet, gab kürzlich ein interessantes, weil gewohnt kantiges Interview.
       „Wir Athleten sind nur Diener der Zuschauer“, sagte er. „Man muss Athleten
       keinen angenehmen Wettkampf bieten. Ich finde es wichtiger, den Zuschauern
       die Emotionen greifbarer zu machen. Die müssen drei bis vier Stunden
       unterhalten werden.“ Die Bühne nannte er einen Schritt in die richtige
       Richtung. Sie ist eine Mischung aus Crowd Pleasement, Sport und
       oberflächlicher Unterhaltung, aber sie bedeutet vor allem Wertschätzung für
       das Publikum. Nach dem Motto: Nutzt sie, wie ihr mögt!
       
       Wenn oben auf der Fanbühne die Siegerehrungen stattfinden, werden die
       Besucher nicht jeden Namen kennen. Und es wäre naiv zu behaupten, dass das
       für die Vermarktung egal ist.
       
       Aber während die Leichtathletik im Rest der Welt sich um die Zukunft nach
       Usain Bolt sorgt – jenem Menschen also, der als Einziger in der Branche ein
       echter Star war, ein Star im Sinne von Cristiano Ronaldo, von Fußball und
       Nike und so –, muss das Istaf sich gar nicht so sehr bekümmern.
       
       Es muss nur darauf hoffen, dass die Wertschätzung der Fans nun auch von den
       Fans wertgeschätzt wird.
       
       26 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alina Schwermer
       
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