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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ist Deutschland super?
       
       > Joschka Fischer sagt, Deutschland habe sich wunderbar entwickelt. Er sei
       > „Deutscher. Durch und durch“. Das ist eine sehr gute Nachricht.
       
   IMG Bild: Alles super in Deutschland?
       
       „Ich finde Deutschland super“, sagte ich zu Joschka Fischer. Wir saßen in
       seinem Büro am Berliner Gendarmenmarkt. Der langjährige Bundesaußenminister
       skizzierte für unser Politikmagazin taz.FUTURZWEI die Weltlage, kam dann
       auf Deutschland zu sprechen und wie sich dieses Land entwickelt habe seit
       seiner Nachkriegskindheit in der Nähe des zerbombten Stuttgart.
       Zusammengefasst: sehr positiv.
       
       Und da sagte ich, dass ich Deutschland super fände.
       
       Darf man das sagen? Ist das erlaubt, und ist es richtig? Muss man nicht
       vielmehr als klassenbewusster Politikkolumnist aus seinem Ferrari heraus
       gegen den Irrsinn der Autoindustrie und die soziale Ungerechtigkeit in
       diesem Land dröhnen?
       
       Zum einen habe ich keinen Ferrari – ich warte auf ein Elektromodell – zum
       anderen war es zu Hause das Erste, was ich beim Abhören des Bands gedacht
       hatte. Um Gottes Willen. Soll ich das rausstreichen?
       
       Journalisten klagen immer, was Politiker alles im Interview sagen und nicht
       autorisieren, doch keiner redet davon, was die Journalisten selbst so sagen
       und dann streichen. Also, bitte. Außerdem: Ich bin mir bewusst, dass die
       eigene ökonomische, soziale und kulturelle Lage die Weltsicht bestimmt.
       Dennoch denke ich, dass wir gebenedeite Generationen sind, die das Glück
       haben, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort der Welt geboren zu sein.
       Im meinem Fall sogar Baden-Württemberg, heute das sozialökologisch
       emanzipierteste Land weltweit.
       
       ## Moralischer Überschuss der 68er
       
       Fischer sagt, verkürzt, dass sich Deutschland in der Konfrontation mit
       seiner monströsen Geschichte zu einem der demokratischsten und modernsten
       Länder entwickelt habe. Die furchtbare jüngere Geschichte schützt diese
       Demokratie, weil sich die überwiegende Mehrheit auch dank des moralischen
       Überschusses der 68er und der totalitären DDR sehr bewusst ist, dass weder
       „Germany great again“, also Großdeutschland, noch das Bauen einer Mauer
       gute Ideen sind.
       
       Diese Bundesrepublik ist nicht nur, aber eben auch eine erstaunliche
       Erfolgsgeschichte, möglich geworden und viele Jahrzehnte geschützt durch
       die USA. Dies sage ich nicht, um mit einem Weiter-so zur Wiederwahl von
       Frau Merkel und ihrer SPD aufzurufen. Es geht nicht weiter so, wenn wir
       weiter so machen. Aber man muss erst mal wissen, wer man selbst ist und an
       welchem Punkt man steht. Man muss verstehen, warum der frühere
       Staatsskeptiker Fischer zum Staatsmann wurde und nun die europäische res
       publica verteidigt, wie Winfried Kretschmann oder Ralf Fücks.
       
       Weil das, was wir heute haben, es wert ist.
       
       Fischer sagt in dem Gespräch: „Ich bin Deutscher. Durch und durch.“ Das
       markiert genau die demokratische und emanzipatorische Entwicklung, die
       diese offene Gesellschaft in ihrer überwiegenden Mehrheit vollzogen hat.
       Nicht mehr die anderen sind die Deutschen, die alten oder neuen Nazis. Wir
       sind die Deutschen. Im Schlechten, aber eben auch im Guten. Und das Beste:
       „Deutschland“, schreibt Bernd Ulrich, sei „stolz darauf, nicht stolz zu
       sein“.
       
       Ist doch okay. So kann etwas Neues beginnen, nämlich neue gesellschaftliche
       Mehrheiten zu finden und eine politische Kultur, damit die Errungenschaften
       bewahrt und geteilt werden können. In dem Wissen, dass unser Konsum und
       unsere immateriellen, emanzipatorischen Individualismuserfolge ein
       Solidaritätsdefizit haben und auf fossilen Energien und Ausbeutung unserer
       Kolonien beruhen. Dass eine gute Zukunft nur als Europa geht, im Ausgleich
       globaler Gerechtigkeitsfragen und mit ökologischer Modernisierung der
       Wirtschaft.
       
       Um mit Harald Welzer zu sprechen: Die alte Zukunft ist aufgebraucht. Wir
       brauchen eine neue.
       
       Das ganze Gespräch mit Joschka Fischer können Sie [1][hier] nachlesen.
       
       26 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
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   DIR Peter Unfried
       
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