URI: 
       # taz.de -- Debatte Afrika-Bild in Europa: Lasst uns endlich in Ruhe!
       
       > Versteckter Rassismus ist unter europäischen Politikern weit verbreitet.
       > Doch afrikanische Länder müssen sich nichts bieten lassen.
       
   IMG Bild: Reagiert selbstbewusst auf Rassismus: Ruandas Präsident Paul Kagame
       
       Der Gedanke ist so alt wie der weiße Rassismus selbst: dass die Welt besser
       wäre, wenn es nicht so viele Schwarze gäbe. Heute, wo offener Rassismus in
       Deutschland nicht mehr salonfähig ist, versteckt er sich gern hinter
       diffusen Warnungen vor der „demografischen Zeitbombe“ namens Afrika und der
       Mahnung vor der „Bevölkerungsexplosion“: Wenn es Mitte dieses Jahrhunderts
       nach aktuellen Wachstumstrends 2,5 Milliarden Afrikaner geben wird statt
       einer Milliarde wie heute, was werden die dann alle machen? Uns überrollen,
       schwingt hinter solchen Warnungen immer mit.
       
       In Ignoranz der Tatsache, dass Afrika nach Australien der dünnstbesiedelte
       Kontinent der Welt ist, werden düstere Zukunftsszenarien an die Wand
       gemalt. Bundesentwicklungsminister Müller (CSU) warnt vor 100 Millionen
       Flüchtlingen, die aus Afrika nach Europa strömen könnten. Und wenn
       Flüchtlingspolitik in Deutschland kein Wahlkampfthema ist, dann aus einem
       Grund: Alle sind sich sowieso einig. Eine Million Syrer vor zwei Jahren, na
       ja. Aber jetzt noch eine Million Afrikaner – nein, das ginge zu weit.
       
       Wie so oft wird in Frankreich, das als einziges europäisches Land neben
       Russland immer noch seinen Großmachtdünkel vor sich her trägt, ungenierter
       ausgesprochen, was man in Deutschland nur verschämt flüstert. „Afrikas
       Herausforderung heute ist viel tiefer, nämlich eine zivilisatorische“,
       sagte der französische Präsident Emmanuel Macron in Hamburg nach dem
       G20-Gipfel im Juli, als ein Journalist aus der Elfenbeinküste von ihm
       wissen wollte, inwiefern sich Frankreich an Deutschlands Marshallplänen für
       Afrika zu beteiligen gedenke. In seiner üblichen forschen Art blaffte
       Macron: „In einem Land, das immer noch sieben bis acht Kinder pro Frau
       zählt, können Sie Milliarden Euro ausgeben, Sie werden nichts
       stabilisieren.“
       
       Macron, die vermeintliche Lichtgestalt aller Progressiven, ist eben auch
       nur ein französischer Präsident. Vor zehn Jahren hatte sein Vorvorgänger
       Nicolas Sarkozy vor verblüfften Professoren in Senegal eine Grundsatzrede
       zu Afrika mit dem Hinweis gekrönt, dass „der afrikanische Mann noch nicht
       in die Geschichte eingetreten“ sei. Sarkozy sprach vom Mann, Macron von der
       Frau, aber auf Sarkozys Griff in die hegelianische Mottenkiste – Afrika als
       Kontinent ohne Kultur und Geschichte – folgt nun Macrons Griff zum
       rassistischen Klischee des oder der Schwarzen als ungezügeltes Biest,
       dessen Triebe man erst mal zivilisieren müsse, damit Stabilität einkehre.
       
       ## Macron sorgte für Empörung
       
       Wie dumpf das sogar innenpolitisch ist, zeigt ein Vergleich mit Macrons
       einstiger Kontrahentin, der Rechtsextremen Marine Le Pen, die im
       französischen Wahlkampf sagte: „Mit seinen Hunderten Millionen junger
       Menschen verfügt Afrika über ein erhebliches Potenzial an Macht und
       Wohlstand.“ Am bemerkenswerten ist aber der Vergleich der Reaktionen in
       Afrika auf Sarkozy 2007 und Macron 2017. Vor zehn Jahren war die Äußerung
       des Franzosen noch wie eine Bombe eingeschlagen. Das gesamte intellektuelle
       Afrika, zumindest im frankophonen Raum, war außer sich. Es wurden ganze
       Bücher darüber geschrieben.
       
       Macron hat ebenfalls in Afrika für Empörung gesorgt, aber nicht mehr im
       selben Ausmaß. Wozu die Aufregung, war der Tenor: Wir wissen doch, dass
       Europäer Unsinn reden, wenn es um Afrika geht, was ist daran also neu?
       Macrons Argument zurückzuweisen ist ja auch relativ einfach. Seine Zahlen
       sind falsch. Zivilisation und Fruchtbarkeitsraten sind zwei verschiedene
       Dinge. Und wenn man mehr Familienplanung will, muss man nicht Frauen
       beschimpfen, sondern Frauenrechte stärken, in Bildung investieren und vor
       allem den Einfluss der katholischen Kirche brechen, die einst von
       Frankreich nach Afrika geholt wurde.
       
       Als einziger hochrangiger Politiker erlaubte sich Ruandas Präsident Paul
       Kagame einen Seitenhieb in einer Rede am 18. August zum Antritt seiner
       neuen Amtsperiode nach seiner Wiederwahl mit 99 Prozent der Stimmen.
       „Afrika hat kein zivilisatorisches Problem“, sagte er. „Nur Vorzüge.“ Auf
       Französisch, damit auch Franzosen merkten, an wen er sich richtete, fügte
       er hinzu: „sans aucun doute“ – ohne jeden Zweifel.
       
       Kagame spricht gern offener als seine Amtskollegen, aber Afrika strotzt
       2017 insgesamt vor einem Selbstbewusstsein, das 2007 noch selten war.
       Kritik aus dem Rest der Welt wird systematisch als ungehörig
       zurückgewiesen. „Africa First“ lautet die – in dieser Form noch
       unausgesprochene – Devise, mit der sich so ziemlich alle Präsidentenreden
       von Wahlsiegern in den letzten Jahren zusammenfassen lassen: Wir lösen
       unsere eigenen Probleme. Wir gehen unseren eigenen Weg. Wir dulden keine
       Einmischung. Wir brauchen euer Geld nicht. Lasst uns endlich in Ruhe!
       
       Und es sind nicht nur Politiker, die so reden. In sozialen Netzwerken und
       im einfachen Austausch ist es normal geworden, Kommentare von
       Nichtafrikanern zu Vorgängen in einem afrikanischen Land als unerbetene
       Einmischung zurückzuweisen: Was geht euch das eigentlich an, heißt es dann
       schnell. Wir sagen doch auch nichts zu dem, was bei euch so los ist.
       
       ## Mehr Fortschritte als in Europa
       
       Dieses neue afrikanische Selbstbewusstsein, das jedem Bewohner von China,
       Russland, der Türkei und anderen Autokratien sehr vertraut sein dürfte,
       wird natürlich auch als Machtinstrument eingesetzt, um unangenehme
       Wahrheiten unter den Teppich zu kehren. Aber es entspricht auch einem
       verbreiteten gesellschaftlichen Gefühl, dass die Zeit für Afrika und die
       Afrikaner gekommen ist, sich nichts mehr sagen zu lassen. Und es ist gut
       möglich, dass dieser Geist die Bedingung für positive Veränderungen gerade
       in politisch blockierten Ländern ist.
       
       Afrikas politische Kultur hat offensichtlich in den letzten zehn Jahren
       mehr Fortschritte gemacht als diejenige Europas. Im Jahr 2007 warf ein
       französischer Präsident Afrika vor, nicht in die Geschichte eingetreten zu
       sein. Heute antwortet Afrika seinem Nachfolger, er möge doch bitte in die
       Gegenwart eintreten.
       
       28 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Meinung und Analyse
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Afrika
   DIR Paul Kagame
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Entwicklungszusammenarbeit
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Angola
   DIR UN-Blauhelme
   DIR Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
   DIR Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rassismus in Frankreich: Nicht weiß genug für die Jeanne d’Arc
       
       Die 17-jährige Mathilde Edey Gamassou soll bei einer offiziellen Feier die
       französische Nationalheldin verkörpern. Rechte Kreise laufen Sturm.
       
   DIR Alexander Kluge im Museum Folkwang: Mitspinnen, so gelenkig es eben geht
       
       Chronist und Collagist Alexander Kluge hat seine erste Ausstellung und
       stellt dabei kühne Verbindungen zwischen historischen Ereignissen her.
       
   DIR Wirtschaftsexperte zur Afrika-Emigration: „Migrieren ist völlig normal“
       
       Der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft
       erklärt, warum wir uns auf mehr Migration aus Afrika einstellen sollten.
       
   DIR EuGH-Urteil zur Flüchtlingsquote: Slowakei akzeptiert, Ungarn schimpft
       
       Nach dem Urteil aus Luxemburg zur europäischen Flüchtlingspolitik sollen
       Ungarn und die Slowakei handeln. Es gibt keine schnelle Lösung.
       
   DIR Parlamentswahl in Angola: Hoffnung auf Wandel nach MPLA-Sieg
       
       Die Regierungspartei bleibt mit reduzierter Mehrheit im Amt. Der
       Präsidentenwechsel stößt auf großen Zuspruch.
       
   DIR Kommentar Sonderbeauftragte der UNO: Das Machtgefälle bleibt
       
       Die Kompetenzen der neuen UNO-Sonderbeauftragten gegen sexuelle Ausbeutung
       und Missbrauch sind unklar. Am Grundproblem wir sich nicht ändern.
       
   DIR Tote UN-Mitarbeiter im Kongo: Schuldfrage verschoben
       
       Die Vereinten Nationen haben die Ermordung zweier UN-Experten im Kongo
       untersucht. Doch im Bericht dazu bleibt vieles ungeklärt.
       
   DIR Rassismus im englischen Frauenfußball: Hinter verschlossenen Türen
       
       Die englische Stürmerin Eniola Aluko erhebt schwere Vorwürfe gegen
       Nationaltrainer Mark Sampson. Er soll schwarze Spielerinnen diskriminieren.