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       # taz.de -- Fotografie in China zur Kulturrevolution: Ein einziges gigantisches Rockkonzert
       
       > Die Ausstellung „Arbeiten in Geschichte“ verklärt die Volksdiktatur zum
       > Idyll. Kritik daran und weibliche Positionen dazu bleiben außen vor.
       
   IMG Bild: Zhang Kechun: People Crossing the Yellow River with a Photo of Mao Zedong, Henan, 2012
       
       Inwieweit sind die Geschehnisse der Kulturrevolution und ihrer
       Fotopropaganda Thema der zeitgenössischen chinesischen Fotografie, fragt
       die aktuelle Ausstellung „Arbeiten in Geschichte“ des Fotomuseums in der
       Jebenstraße. Ein spannendes Unterfangen, würde man annehmen. Schließlich
       kann in China erst seit Anfang der 1980er Jahre, also dem Ende der
       Kulturrevolution, von einer eigenständigen, nicht völlig dem politischen
       Primat unterworfenen Fotografie die Rede sein.
       
       Doch dann fällt man aus allen Wolken. Zunächst bei der Pressekonferenz und
       später beim Rundgang durch die Ausstellung. Joachim Brand, Kommissarischer
       Direktor der Kunstbibliothek, findet es in seiner Einführung nämlich
       originell, die von Mao Zedong 1966 ausgerufene Kulturrevolution mit dem
       kalifornischen Summer of Love 1967 zu vergleichen, der seinen Höhepunkt im
       Monterey International Pop Festival hatte.
       
       Nonchalant setzt er den Enthusiasmus der jugendlichen Festivalbesucher mit
       der Begeisterung der Mao zujubelnden Massen gleich und vermeint dann die
       Schattenseiten des Summer of Love in der Revolte und gewalttätigen
       Aufständen zu sehen.
       
       ## Jubelnde Chinesen und feiernde Hippies
       
       Beim Rundgang durch die Ausstellung ist dann schnell klar, dass Brand
       schlicht Cao Kais Video „Summer of 1969“ (2002–2012) auf den Leim geht. Der
       1969 geborene Künstler schneidet darin alte Aufnahmen jubelnder Chinesen
       und feiernder Hippies gegeneinander, weil seiner Meinung nach die Welt
       damals ein einziges, gigantisches Rockkonzert war, mit Superstars wie Mao
       Zedong, John Lennon, Pol Pot, Bob Dylan oder Che Guevara.
       
       Vielleicht muss man ja in China zu derlei, sagen wir mal, extravaganten
       Ideen greifen, um überhaupt mit Bildern des zivilen Ungehorsams wie
       Sit-Ins, Happenings, den Protestmärschen der Antikriegsbewegung und der
       schwarzen Bürgerrechtsbewegung arbeiten zu können?
       
       Wer weiß das schon. Eines freilich ist sicher: Die Verantwortung für die
       Eskalation des meist friedlichen, sonst aber auch einfach wütenden Protests
       in gewaltsame Ausschreitungen ist den rassistischen Polizeikräften in den
       USA zuzuschreiben, die bis heute unverändert wehrlose Menschen erschießen
       oder ihnen falsche Beweise unterschieben und falsche Geständnisse
       erzwingen. Die Revolte gehört jedenfalls für die westlich-demokratische
       Gesellschaft nicht zu den Schattenseiten des Summer of Love, sie machte ihn
       überhaupt erst denkbar.
       
       Passt es dann nicht bestens ins Bild dieser Einführung, dass von Cao Kais
       gigantischem Rockkonzert die Frauen wieder einmal gar nichts mitbekommen
       haben? Wie Wang Huangsheng, einer der Kuratoren der Ausstellung, auf der
       Pressekonferenz sagte, handeln die Themen, die Frauen, also Fotografinnen
       und Künstlerinnen, interessieren, nicht von Politik, gar der vergangenen
       Kulturrevolution, sondern von Angelegenheiten des Herzens und des Gemüts.
       Um zu ergänzen, das sei ein Scherz. Nur warum? Immerhin konnte er aufgrund
       seines bemerkenswerten Humors keine einzige weibliche Position für die
       Ausstellung finden.
       
       ## Der reale, ins Bild montierte Wasserhahn
       
       Stattdessen fand er Cai Dongdongs Montage „Fountain“ (2016). Der 1972
       geborene ehemalige Porträtfotograf bei der Volksbefreiungsarmee stellt die
       Fotografie zweier Soldatinnen, die aus der Zeit der Kulturrevolution
       stammt, in die ebenso alte Aufnahme einer Meeresbucht, wobei das
       fotografierte Wasser dank eines realen, ebenfalls ins Bild montierten
       Wasserhahns abfließen können soll. Versteht sich, dass dieses Kunstwerk
       eine irre Herausforderung an den kritischen Verstand darstellt!
       
       Besonders gilt das für meinen armen weiblichen Verstand, dem die
       Duchamp-Referenz unendlich bieder erscheint und der sich stattdessen sehr
       gut an die bösen, verzweifelten Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Liu Xia
       erinnert, die unter dem Titel „Ugly Babies“ vor zwei Jahren in Berlin zu
       sehen waren.
       
       Die Fotografin, Malerin, Lyrikerin und Romanautorin stand damals unter
       Hausarrest und konnte für die Kamera nur mit in der Wohnung befindlichen
       Puppen sehr hässliche und sehr erwachsene Folterspiele spielen. Sie haben
       natürlich keinerlei Bezug zu den Gewaltexzessen der Kulturrevolution. Sie
       sprechen von der gegenwärtigen Art, unbotmäßige Künstler kaltzustellen.
       Erst kürzlich ist Lius Mann, der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo,
       gestorben, am Hausarrest für Liu Xia hat sich nichts geändert.
       
       Aber zurück zu den singenden Milizionären von 1966. Zusammen mit Bildern
       pompöser Jahrestagsfeiern samt gigantischen Aufmärschen und allem voran dem
       Bild des großen Steuermanns Mao rufen sie die fotografische Inszenierung
       der Kulturrevolution in Erinnerung, die ganz ohne Schattenseiten auskommt –
       und trotzdem ein nachhaltiges Trauma der chinesischen Zeitgeschichte ist.
       
       ## Gut, strahlend und hell
       
       Die Mao-Bilder kennt man zur Genüge, auch und gerade im Westen, jedenfalls
       ab einem gewissen Alter. Wäre es deshalb nicht naheliegender gewesen, mit
       einem kritischen Blick auf die Begeisterung gewisser linker Kreise
       hierzulande für Mao und die Kulturrevolution in die Schau einzuführen?
       
       Weil sein Bild jeden Raum im Reich der Mitte ziert, gleichgültig ob
       Fotostudio oder wissenschaftliches Labor, ist Mao dann auch bei jedem
       privaten Porträt gegenwärtig oder schaut den Chemikern bei ihrer Arbeit
       über die Schulter. Sein Bild wie überhaupt die Fotos aus der Zeit der
       Kulturrevolution fallen unter die Rubrik der „roten Bilder“. Ihr heiterer,
       positiver und reichlich formelhafter Stil ist an die Bildsymbolik der
       chinesischen Volkskunst angelehnt. Schon früher entwickelt, forderte die
       Kulturrevolution diesen Stil unter dem Motto „gut, strahlend und hell“
       verschärft ein.
       
       Dem setzt Wang Ningde in seiner Serie „Einige Tage“ (2005) schwarz-weiße
       Melancholie entgegen. Mit seinen entrückten, in Mao-Anzüge steckenden
       Protagonisten, die der 1972 geborene Künstler Fahrrad fahrend oder am
       Wasser sinnierend zeigt, stilisiert er die Kulturrevolution allerdings zum
       Idyll. Auch Zhang Kechuns (*1980) Neuinterpretation des schwimmenden Mao
       ist letztlich ein eher fader Einfall, wenn auch mit seinen Hunderten
       Schwimmern und Schwimmerinnen opulent in Szene gesetzt.
       
       ## Am Ende überzeugen die dokumentarischen Ansätze
       
       Etwa besser gelingt es dem 1958 in Tibet geborenen Mo Yi, der 1989 auf dem
       Tiananmen-Platz protestierte, auf ästhetisch-formale Weise der
       Kulturrevolution Herr zu werden, wenn er eine simple, im Hinterhof
       aufgehängte, weiß umrandete knallrote Steppdecke zur Ikone macht.
       
       Am Ende überzeugen die dokumentarischen Ansätze. Shao Yinong und Mu Chen
       mit Stills von verlassenen Versammlungshallen in der Provinz, Qu Yan mit
       Fotos provinzieller Parteibüros und Zhuang Hui mit meterlangen Aufnahmen
       von Belegschaften, Schulklassen oder militärischen Einheiten, schließlich
       Zhang Dali mit seinen Gegenüberstellungen gleicher Aufnahmen, wie sie ganz
       verschieden publiziert und eben auch zensiert wurden.
       
       Freilich kennt man viele der Arbeiten schon. Zhang Dali, Mo Yi, Feng
       Mengbo, Zhung Hui wie Shao Yinong und Mu Chen waren alle schon in Berliner
       Ausstellungen vertreten.
       
       Dass die ersten Versuche einer Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution
       und ihren Bildern behutsam und vorsichtig geschahen, ist verständlich.
       Weniger dagegen, wie rar offenbar aktuelle Versuche sind, die den
       vorangegangenen auch nichts Substanzielles hinzufügen.
       
       1 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
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