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       # taz.de -- Carsten Brosda über den Wert der Kultur: „Ich muss mich nicht profilieren“
       
       > Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda führt die Linie seiner Exchefin
       > Barbara Kisseler fort. Ob er das Prekariat freier Künstler beenden kann,
       > weiß er noch nicht
       
   IMG Bild: Will gar nicht so hoch hinaus: Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda
       
       taz: Herr Brosda, haben Sie unter Hamburgs Politikern wirklich mehr
       Kulturfreunde gefunden als Ihre Vorgängerin Barbara Kisseler? 
       
       Carsten Brosda: Ob mehr, weiß ich nicht. Auf jeden Fall habe ich dort viele
       Kulturfreunde vorgefunden. Es liegt vielleicht daran, dass ich etwas
       kulanter bin. Ich habe mich ja lange in der interkulturellen
       Verständigungsarbeit engagiert, und dort bezeichnet „Kultur“ die Gesamtheit
       aller Lebensformen einer Gruppe. Das ist der anthropologisch weiteste
       Kulturbegriff. Ich habe aber in vielen Gesprächen mit Barbara Kisseler eine
       hohe Übereinstimmung in dem gefunden, was wir für wichtig halten.
       
       Es geht also weiter wie bisher?
       
       Barbara Kisseler hat viele Linien gelegt, die man gut weiterverfolgen kann.
       Deshalb sehe ich keinen Grund, mich dadurch zu profilieren, dass ich alles
       anders mache. Wir haben ein gut bestelltes Feld, gute Akzente, und das wird
       weiter gut umgesetzt und weiter entwickelt.
       
       Wobei man das Thalia-Theater durchaus mal so hoch subventionieren könnte
       wie das Deutsche Schauspielhaus. 
       
       Da stehen zwei unterschiedliche Zahlen. Aber die kann man nicht wirklich
       vergleichen. Das Schauspielhaus finanziert zum Beispiel zusätzlich eine
       Kinder- und Jugendtheatersparte. Unser Maßstab muss doch sein: Hat eine
       Kultureinrichtung die Mittel zur Verfügung, die sie braucht, um ihre
       Programmatik umzusetzen? Darüber sprechen wir mit den Leitungen der Häuser,
       und da kommen wir allerorten gut voran.
       
       Eine Aufstockung für das Thalia ist nicht geplant? 
       
       Wir arbeiten daran, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Das hat nicht immer
       mit der Logik „mehr Geld“ zu tun.
       
       Erwägen Sie auch neue Förderstrukturen für freie Theater? Weg von
       Projektförderungen, hin zu mehrjähriger Förderung und Planungssicherheit? 
       
       Wir haben bereits im aktuellen Doppelhaushalt die Mittel für die freie
       Theater- und Performance-Szene erhöht, damit die vom Dachverband
       empfohlenen Honorar-Untergrenzen eingehalten werden können. Was von den
       Empfehlungen der 2011 im Auftrag unserer Behörde erstellten
       Potenzialanalyse der freien Theater- und Tanzszene noch aussteht, ist eine
       mehrjährige Repertoire- sowie eine Wiederaufnahmeförderung. Darum müssen
       wir uns in der Zukunft noch kümmern.
       
       Sie haben mal gesagt, Kultur solle kein Standortmarketing sein. Die
       Elbphilharmonie ist es aber doch. Viele Touristen kommen nur ihretwegen. 
       
       Kulturpolitik mit Standort-Positionierung zu begründen, war ein
       naheliegender Kurzschluss der letzten Jahre – weil es leicht ist, mit
       diesem Argument bei denen Geld zu akquirieren, denen Kultur sonst nicht so
       wichtig ist. Allerdings können diese Leute irgendwann sagen: Jetzt brauchen
       wir das nicht mehr. Aber ich brauche Kultur nicht, um irgendetwas zu tun,
       sondern ich brauche Kultur an sich. Die Elbphilharmonie zu bauen, um den
       Bilbao-Effekt zu erzielen, wäre also die falsche Begründung. Wenn sich
       angesichts eines kulturell attraktiven Konzerthauses aber Dritte überlegen,
       wie sie es bekannter machen können, habe ich nichts dagegen. Ich finde es
       großartig, wenn wir Hamburg mit einem Haus der Kultur international bekannt
       machen.
       
       Aber entzieht die Elbphilharmonie anderen Kulturinstitutionen nicht
       Aufmerksamkeit? 
       
       Ich vermute eher, dass mehr Kulturinteressierte in die Stadt kommen. Sie
       gehen am Abend ins Konzert und am nächsten Morgen ins Museum.
       
       Ist das mit Zahlen belegt? 
       
       Noch nicht. Aber viele Museumsleute berichten uns, dass jetzt mehr Leute
       kommen, die wegen der Elbphilharmonie hier sind. Dieses Potenzial müssen
       wir heben. Die Deichtorhallen haben es zum Beispiel vorgemacht: Die
       Eintrittskarte für die Schau „Elbphilharmonie revisited“ war zugleich Karte
       für die Elbphilharmonie-Plaza. Durch solche Kombitickets könnte man sich
       wechselseitig an die Besucherströme andocken.
       
       Der exzellente Elbphilharmonie-Saal und die internationalen Gastorchester
       haben auch gezeigt, dass die NDR-Elbphilharmoniker nicht erstklassig sind.
       Kein gutes Signal der „Musikstadt Hamburg“ an die Welt. 
       
       Ich halte sowohl das NDR-Elbphilharmonie-Orchester als auch das
       Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano für herausragend. Aber
       beide haben natürlich noch Arbeit vor sich, und diese Herausforderung
       nehmen sie gern an. Mit Alan Gilbert übernimmt 2019 der langjährige
       Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra das
       NDR-Elbphilharmonie-Orchester. Und der tut das ja nicht, weil er das Gefühl
       hat, er geht zu einem schlechten Orchester.
       
       Und wie wollen Sie die Förderung freier Künstler neu strukturieren? Als
       prekäres Projekt-Hopping oder Verstetigung für funktionierende
       Künstlerhäuser und Kollektive? 
       
       In der Tat gehen unsere Förderinstrumente teils auf die 1970er-Jahre
       zurück. Deshalb sprechen wir mit der Kunstkommission darüber, welche
       Strukturen wir brauchen. Die Ideen sortieren wir gerade und werden 2018
       einen Vorschlag machen.
       
       Wie könnte der aussehen? 
       
       Das besprechen und entwickeln wir mit den Künstlerinnen und Künstlern. Wenn
       Sie aus der Projektförderung rausgehen, fördern Sie stattdessen Strukturen
       und Institutionen. Das ist für diejenigen attraktiv, die schon da sind,
       erschwert es aber neu Hinzukommenden. Schon jetzt fließen über 80 Prozent
       des Kulturetats in institutionalisierte Förderung. Den frei zu vergebenden
       Anteil weiter zu verringern, erfordert eine gründliche Diskussion. Das Geld
       käme ja nicht obendrauf, sondern würde umgeschichtet.
       
       Die gerade zum zweiten Mal ausgeschriebene Stadtkuratorin ist so eine
       Institutionalisierung. Sollte man nicht besser den Projekttopf „Kunst im
       öffentlichen Raum“ aufstocken? 
       
       Die Kunstkommission hat sich klar dafür ausgesprochen, solch einen
       temporären Kristallisationspunkt für unsere Debatten zu schaffen, und ich
       finde das richtig. Früher gab es einen Automatismus „Kunst am Bau“, sodass
       jeder Bauherr ein Kunstwerk einplanen musste – von wechselnder Qualität. Da
       zu schauen: Wie sieht die Gestaltung des öffentlichen Raums mit
       künstlerischen Interventionen aus, ist schon wichtig. Ein gelungenes
       Beispiel ist derzeit die „Goldene Wand“ von Boran Burchhardt auf der
       Hamburger Veddel.
       
       Das war keine Initiative der Stadtkuratorin. 
       
       Nein, aber ein Produkt aus dem Fördertopf, aus dem auch die Stadtkuratorin
       finanziert wird. Wir reden hier ja über das Budget „Kunst im öffentlichen
       Raum“, und die vorige Stadtkuratorin verfolgte einen eher diskursiven
       Ansatz. Der oder die nächste StadtkuratorIn soll stärker in eine praktische
       Umsetzung gehen.
       
       In welcher Form? 
       
       Das Thema soll sein: Wie kann man den öffentlichen Raum mit Kunst gestalten
       und die Bevölkerung an diesem Diskurs beteiligen? Burchhardts „Goldene
       Wand“ etwa bildet einen Kristallisationspunkt für Auseinandersetzungen.
       
       Was soll ein Stadtkurator da noch tun? 
       
       Den Diskurs unterstützen und vernetzen. Ob wir dieses Amt irgendwann
       verstetigen, ist aber noch offen.
       
       Impulse soll auch das geplante Deutsche Hafenmuseum bringen. Wie soll es
       sich vom Altonaer Museum, dem Museum für Hamburgische Geschichte und dem
       Maritimen Museum Peter Tamms abgrenzen? 
       
       Bis auf das privat geführte Maritime Museum sind alle Genannten in die
       Entwicklung unmittelbar einbezogen, weil die Stiftung Historische Museen
       Hamburg das Konzept erarbeitet. Da wird es auch darum gehen, die
       hafenbezogenen Bestände der anderen Museen als Grundlage für das Deutsche
       Hafenmuseum zu nehmen.
       
       Das wird in diesen Häusern empfindliche Lücken reißen. 
       
       Im Gegenteil: Diese Museen bekommen mehr Raum, um Hamburgs Geschichte
       jenseits des Hafens zu erzählen. Und die Museumsdirektoren signalisieren,
       dass sie sich über diese Entwicklungsoptionen freuen.
       
       Und das Museum Tamm? 
       
       Tamm erzählt die Geschichte der Seefahrt von der Seeseite aus, während das
       Hafenmuseum von der Landseite aus die städtischen Strukturen, die
       logistischen und ökonomischen Rahmenbedingungen einer Hafenstadt darstellen
       soll. Denn es soll ja nicht nur romantisieren, sondern auch von Freihandel
       und Globalisierung erzählen.
       
       Und wohin steuert das Völkerkundemuseum, das seit kurzem Barbara
       Plankensteiner leitet? Gehört diese kolonialistische Institution nicht
       abgeschafft? 
       
       In der Tat stutzt man bei dem anachronistischen Begriff „Völkerkunde“. Und
       die Sammlung dieses Hauses ist fast vollständig aus kolonialen Bezügen
       entstanden. Trotzdem glaube ich, dass wir den Blick auf andere Kulturen
       weiter brauchen, um die moderne transkulturelle Vernetzung zu verstehen.
       Andererseits wird das ethnografische Museum der Zukunft ergänzt um die
       künstlerische Dimension, denn viele Exponate bedeuten künstlerische
       Weltaneignung. So ein Haus kann und muss mehr sein als ein wichtiger
       Begegnungsort für die Communitys, aus deren Kulturen es seine Sammlung
       schöpft.
       
       Exdirektor Wulf Köpke hat diesen Begegnungsort forciert und das als
       Integrationsbeitrag verstanden. 
       
       Migration und Integration sollten nicht in ein Völkerkundemuseum
       abgeschoben werden. Sie beschäftigen uns überall. Interessant fand ich das
       Projekt „Open Access“, für das Hamburgs Kunsthalle Geflüchtete einlud,
       ihren Blick auf die Sammlung zu präsentieren. Das ist eine sehr produktive
       Aneignung kultureller Kontexte.
       
       Zum Schluss: Was wäre Hamburgs kulturelles Alleinstellungsmerkmal gegenüber
       Berlin? 
       
       Ich kenne keine Stadt in Deutschland mit so lebendigen kreativen Kontrasten
       und gegensätzlichen Milieus. Hamburg in seiner Widerborstigkeit bietet da
       gerade für KünstlerInnen und Kreative eine ganz andere Projektions- und
       Widerstandsfläche als eine Stadt, die ein relaxtes „Komm her, sei doch
       dabei“ ausstrahlt. Die Wattewand ist nicht immer der beste
       Sparringspartner.
       
       4 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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