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       # taz.de -- Evangelische Kirche und die Ehe für alle: Modernes Pharisäer*innentum
       
       > Die Traditionalisten wollen keinen Frieden geben: In der evangelischen
       > Kirche wütet weiter der Kulturkampf um die Ehefähigkeit
       > Gleichgeschlechtlicher.
       
   IMG Bild: Gleichgeschlechtliche Trauung in einer Kirche
       
       Das Gesetz zur „Ehe für alle“ fand auch den überwiegenden Beifall von
       protestantisch gesinnten Christen, [1][aber nicht von allen]. Besonders
       prominent formulierten eine Art Widersprach zwei evangelische
       Superfunktionäre: Petra Bahr, Landessuperintendentin für den Sprengel
       Hannover, und Stephan Schaede, Leiter der Evangelischen Akademie Loccum
       (bei Hannover) in einem Beitrag für Christ und Welt, einst als
       Zeitungsmedium selbstständig, seit einiger Zeit der Wochenzeitung Die Zeit
       beiliegend.
       
       Vorige Woche schrieben beide, innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft
       ausgewiesene Stimmen traditionalistischen Verständnis für modernes
       Christentum nichtkatholischer Provenienz, [2][unter dem Titel „Der heilige
       Stand“ einen mahnend-kritisch gemeinten Text] zur evangelischen
       Begeisterung für die „Ehe der alle“, die sie kritisieren, zugleich aber ist
       es ein Dokumenten wohlgesinnten Giftmischertums, ein Zettelkasten voller
       Klischees und moralischer Anmaßungen: „Warum die Kirchenleitung zur
       Abwechslung mal wieder an ihre Mitglieder denken sollte“, heißt es in der
       Unterzeile ihres Appells, was bei Lichte besehen die Aussage in sich trägt,
       das Lob höchster Würdenträger*innen in der Evangelischen Kirche
       Deutschlands sei über die Gefühle der evangelischen Christenheit in
       Deutschland hinweg gegangen worden. Diese „Argumente“ entsprechen
       rhetorisch einer klassischen Redeweise von AfD-Politikern (und, von links,
       der Linkspartei): Von oben sei etwas gegen die sogenannte Basis bestimmt
       worden.
       
       Davon abgesehen, dass beide Autor*innen die theologische Grübelei zur
       Frage, was Ehe eigentlich bedeutet, durchweg bevölkerungspolitisch
       beantworten – mit dem Hinweis, dass die (heterosexuelle) Ehe die Zeugung
       von Kindern in den Mittelpunkt zu stellen habe –, kritisiert ihr Statement,
       dass der Gesetzgeber im Bundestag das Ehereformprojekt „Ehe für alle“ viel
       zu eilig beschlossen habe. Man habe nicht debattieren können:
       
       „Was viele Christinnen und Christen in den Gemeinden irritiert, ist nicht
       nur die Geschwindigkeit, in der die evangelischen Kirchen ihre Haltung zu
       Ehefragen in den letzten Jahren verändert haben. Es ist die Konfrontation
       mit dem Umstand, dass es so etwas wie die Normativität des Normalen nicht
       mehr zu geben hat. Wer vorsichtige Vorbehalte gegen eine grundlegende
       Neubestimmung des Begriffs der Ehe äußert, hat ein Problem.“
       
       ## Unter Christ*innen gab es ausufernde Erörterungen
       
       Das aber ist eine Verkennung der Diskursverhältnisse in den evangelischen
       Landeskirchen, ja, in gewisser Hinsicht eine Lüge antilutherischsten
       Kalibers: Keine Frage wurde unter reformatorischen Sonnen so intensiv in
       den vergangenen 25 Jahren diskutiert wie die der Würdigung
       gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und ihrer Ehefähigkeit.
       
       Kein Sprengel, der nicht homosexuelle Paarschaften heftig und in der Tat
       alle mitnehmend und abholend debattiert hätte – durchaus nicht immer zur
       Zufriedenheit von schwulen oder lesbischen Mitgliedern der Kirchen. Die
       sächsische Landeskirche akzeptiert bis dato nicht fraglos das Zusammenleben
       gleichgeschlechtlicher Theolog*innen in Pfarrhäusern.
       
       Aber zu behaupten, die höchsten Funktionsträger*innen der EKD hätten sich
       Ende Juni in theologisch opportunistischer Art dem Bundestagsbeschluss
       löblich angeschlossen, führt ins biblische Nirwana: Es wäre wünschenswert
       gewesen, hätten andere gesellschaftliche Institutionen sich ähnlich hitzig
       diesem Thema gewidmet – aber gerade unter Christ*innen hat es hierzu
       ausufernde Erörterungen gegeben. Sie führten nur nicht zu Resultaten, die
       Bahr und Schaede gefallen.
       
       ## Schwule würden die „Ehe für alle“ nicht wollen
       
       Im Nachhinein zu wehklagen, ist billig – aber gefährlich, ja homophob
       gesinnt wird ihr Text dadurch, dass er von der jahrhundertelangen Praxis
       christlich gesinnter Verfolgung Homosexueller absieht: Und darüber können
       beide sehr wohl wissen. Sie behaupten, Schwule würden die „Ehe für alle“
       gar nicht wollen, weil sie gar nicht dem Leben jener Heterosexueller
       entsprechen wollen. Ja, sie verweisen darauf, selbst Homosexuelle nicht zu
       diskriminieren, sie im Freundeskreis zu wissen:
       
       „Wer schärfer fragt, gilt als homophob oder, etwas unbestimmter formuliert,
       als rückwärtsgewandt, in jedem Falle als die eigentliche Randgruppe, die
       die gesellschaftliche Fortentwicklung behindert und die Kirche zu einer
       kleinkarierten Nische verkommen lässt. Viele, die jetzt fast schamvoll
       leise Fragen stellen, haben weder ein Problem mit Homosexuellen noch mit
       gleichgeschlechtlichen Paaren im Freundes-, Familien- oder Kirchenkreis.“
       
       Und zur Definition dessen, was Ehe zu sein hat:
       
       „Zu diesen Kriterien wird eine Deutung der Ehe als einer monogamen
       Partnerschaft zählen. Es gilt zu entfalten, worin die hohe Gabe der
       Konzentration auf ein partnerschaftliches Gegenüber liegt. Wieso ist diese
       Konzentration eine Gnade, ein Segen? Was bedeutet es denn, im Partner ein
       von Gott anvertrautes Gegenüber zu erkennen, zu dem ich gerade auch dann
       kommen kann, wenn ich in meinem Leben anderen, mir selbst oder auch dem
       Partner etwas schuldig geblieben bin?“
       
       ## Viele Freund*innen im rechtspopulistisch-klerikalen Milieu
       
       Im Folgenden entfalten Bahr wie Schaede ein Bild vom Homosexuellen, der zur
       Monogamie nicht fähig sei, der sein Leben auf Lust, nicht auf Last setze
       und recht eigentlich keine Verantwortung ehelicher Prägung zu übernehmen
       bereit sein (kann): Das ist, man muss es kühl diagnostizieren, eine
       durchweg homophobe Perspektive auf schwule und lesbische Lebensentwürfe,
       das ist ideologisch nah am Tatbestand pharisäerischen Hetzertums –
       gekleidet in eine theologische Klassikersprache voller Verständnis.
       
       Denn: Es könnte ja sein, dass schwule und lesbische Paare die Praxis des
       Seitensprungs sexuellen Inhalts kennen und auch leben – aber gilt das nicht
       erst recht für heterosexuelle Paare? Ist es nicht, biblisch gewendet,
       gerade die Qualität solcher theologisch gesinnter Formulierungen, den
       ersten Stein zu werfen und zu verkennen, in welchen Glashäusern man lebt?
       
       Bahr und Schaede haben für ihren Text viel Kritik einstecken müssen, die
       Kommentarspalte der Zeit legt darüber Zeugnis ab. Es wäre wünschenswert, so
       lässt sich das Sinnen vieler dieser Kommentierenden bündeln, würden Schaede
       und Bahr von ihrer frömmlerischen Sicht lassen und sich auf das zu
       besinnen, was das Jesuanische schlechthin ihnen aufträgt: Vom
       bevölkerungspolitischen Auftrag des „Seid fruchtbar und mehret euch“ zu
       lassen, und den Spruch vor allem als Liebesgebot aller zu definieren. Bahr
       und Schaede haben jetzt mehr Freund*innen denn je im
       rechtspopulistisch-klerikalen Milieu. Das könnte ihnen zu denken geben.
       
       3 Aug 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.evangelisch.de/inhalte/144624/28-06-2017/ratsmitglieder-griese-und-joussen-widersprechen-ekd-bei-ehe-fuer-alle
   DIR [2] http://www.zeit.de/2017/31/ehe-fuer-alle-evangelische-kirche-mitglieder-irritation
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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