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       # taz.de -- Die Wahrheit: Lob der Knolle, Fluch der Pumpe
       
       > Die große Wahrheit-Sommer-Debatte über Organe. Folge 4: Das Herz. Ein Pro
       > und Contra zu dem pochenden Ding.
       
       ## Warum das Ding im Brustraum geliebt werden muss
       
       Nichts scheint leichter als das Herz zu loben, aber so einfach ist die
       Sache nicht! Ohne Herz kein Leben und umgekehrt. Wobei die kleine Knolle
       ständig zum Schlag ausholt, doch haut es uns nicht um, sondern macht uns
       Beine. Und das andauernd. Keine Pause, nicht eine. Wir können zwar ruhig
       mal die Füße stillhalten oder die Augen zumachen, aber das Herz schlägt
       unentwegt. Das Herz tut, was es tun muss, obwohl es ihm oft genug nicht
       gedankt wird und der Mensch alles daransetzt, es ihm schwer zu machen:
       rauchen, saufen, Oberhausen, um nur drei Beispiele zu nennen.
       
       Herzen an sich sind ganz wunderbar und verschieden. Das des Blauwals
       schlägt zwei bis sechs Mal in der Minute, da wäre unsereiner schon hinüber,
       vor allem wegen des Gewichts von 600 bis 1.000 Kilo, also etwa so viel wie
       ein Auto vollgetankt! Wir bräuchten einen Hänger, um das mit uns
       herumzuschleppen.
       
       Die kleinsten Herzen unter den Säugetieren besitzen die
       Schweinsnasenfledermaus und die Etruskerspitzmaus. Solche Herzen schlagen
       bis zu 1.500 Mal pro Minute, was die gesamte Drum-’n’-Bass- Szene mit ihren
       lächerlichen 130 Beats per Minute vor Neid erblassen lässt.
       
       Die gesamte Literatur und vor allem die Liebeslyrik wäre nichts ohne das
       Herz, die Popmusik ist mehr auf das Herz angewiesen als auf Melodien, man
       denke nur an „Heart of Gold“ von Neil Young oder an „Mein Herz geht
       Bum-Budi-Bum“ von Peter Frankenfeld und Lonny Kellner.
       
       Im deutschen Schlager der Neuzeit stecken allerdings oft klare medizinische
       Fehler: „Gib mir mein Herz zurück!“ ist eine unsinnige Zeile von Herbert
       Grönemeyer und einfach Quatsch! Was weg ist, ist weg. Das hätte er wissen
       müssen, denn sein Bruder Dietrich hat ein medizinisches Standardwerk über
       das Herz geschrieben!
       
       „Dein ist mein ganzes Herz“ von Heinz Rudolph Kunze ist der gleiche
       Blödsinn in Rot, denn es ist ja nicht dein, sondern mein, denn wenn meins
       deins wäre, würde es bei mir nicht mehr schlagen. Nicht umsonst hat
       Steinmeier seiner Frau nur eine Niere und nicht sein Herz gespendet.
       
       Sogar wichtigste Romane der Neuzeit beginnen mit dem Herzen. In „Sterben“
       schreibt Karl Ove Knausgard als ersten Satz: „Für das Herz ist das Leben
       einfach: Es schlägt, solange es kann. Dann stoppt es.“ Damit hätte auch
       dieser Roman schon enden können, aber mit nur fünfzehn Worten verkauft man
       keine Bücher, und so hat der Autor weitere 569 Seiten angehängt.
       
       Die wenigen kritischen Auseinandersetzungen wie „Das Herz ist eine miese
       Gegend!“ von Thommie Bayer und „Das Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad
       haben dem Ruf und Ruhm dieses Zentralorgans allerdings nichts anhaben
       können.
       
       Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass das Herz eines der wenigen
       Körperteile ist, das lebenslang ohne Cremes auskommt, und anders als an den
       Füßen, die ja auch beständig laufen, kommt es beim Herzen zu keinerlei
       Hornhautverdickungen. Das Herz ist eben ein sehr praktisches Organ, selbst
       wenn es gebrochen ist, muss es nicht geschient werden.
       
       Eigentlich hat jeder eins, Sportler und Mildtätige haben besonders große
       Herzen, Unternehmer haben keines, trotzdem fallen sie nicht um. Und so
       pumpt das Zentralorgan seit Jahrhunderten Lebenssaft in den uralten Streit,
       was denn nun wichtiger sei für den Menschen: Herz oder Hirn? Die
       Wissenschaft sagt Hirn, ich sage Herz. Denn mit dem Herzen kann man denken,
       das Hirn aber kann nicht schlagen. Es ist wie bei der Henne und dem Ei. Was
       war zuerst? Zuletzt ist nur eins sicher: Wenn das Herz irgendwann stehen
       bleibt, hat es sich das fraglos verdient! Bernd Gieseking***
       
       ## Warum das Ding im Brustraum gehasst werden muss
       
       Riefe man in einem Strafverfahren gegen das Herz als Kronzeugen einen
       gewissen Herrn Amor, von Beruf „Liebesgott“, auf, er würde den Richtern des
       Hohen Gerichts angesichts seiner langjährigen Erfahrungen einiges zum
       Charakter des Angeklagten sagen können. Schließlich schießt er seit ewigen
       Zeiten auf eben diesen verdammte Delinquenten. Er würde davon berichten,
       warum sie, die beide früher ein Herz und eine Seele waren, mittlerweile
       geschiedene Leute sind, ja warum ihm ein gewisser Professor van Helsing
       geraten hat, Pflöcke hinein zu schlagen.
       
       Aber fangen wir von vorne an: Das Herz ist ein mieser Verräter. Es
       behauptet dauernd, es schlage links – aber wenn man dann genau hinschaut,
       sitzt es plötzlich auf dem rechten Fleck. Man kann das nur als
       Verschlagenheit bezeichnen. Apropos: Das Herz ist ja ein gewohnheitsmäßiger
       Schläger – und ein gefährlicher Choleriker noch dazu, der einem mit seinen
       unkontrollierbaren Anfällen echt Angst machen kann.
       
       Das Herz ist ein armseliger Musiker – wie zwei Wildecker Buben mit ihrem
       „Herzilein“ hinreichend beweisen. Obwohl es nicht pfeifen oder rasseln
       muss, sondern immer nur bumm, bumm, bumm macht, gerät es manchmal aus dem
       Takt. Oft ist es sogar generell zu dumm zum Laufen und braucht einen
       Schrittmacher. Das muss man sich mal überlegen – ein Schritt-Macher für
       andere! Was ist denn das für ein Idiotenberuf?
       
       Das Herz ist ein fieser Chef und schikaniert seine Mitarbeiter bis aufs
       Blut: Es schickt die Erythrozyten ständig zum Sauerstoffholen los und lässt
       sie dabei sinnlos im Kreis laufen. Und in seiner Machtgier hat es natürlich
       auch den Vorsitz der Innereien-Innung an sich gerissen.
       
       Das Herz ist ein hoffnungsloser Angeber. Es pumpt sich ständig auf und tut
       sich dicke. Aber am Ende ist es doch immer schwächer als Kreuz und Pik.
       
       Und dann: Wir sollen „Doppelherz“ kaufen, obwohl wir nur eins davon haben.
       Das ist das eigentliche Problem dieses psychisch verkrüppelten Hohlkörpers:
       Der sogenannte „Zwillingsneid“ auf Nieren, Hoden, Eierstöcke und
       Lungenflügel. Anstatt sich ein Beispiel an Magen, Leber und Milz zu nehmen,
       die stolz sind auf ihre Einzigartigkeit, jammert es nach seinem fehlenden
       Zwilling. „Doppelherz“! Tse!
       
       Übrigens sieht das Herz keineswegs aus, wie die Lübecker Süßigkeiten-Mafia
       mit seinem Herzipan-Kitsch uns glauben machen will, sondern eher wie ein
       zerknautschter Schließmuskel. Ohne Glanzpapier. Beim Kauen ist es furchtbar
       hart und hat blöde Sprüche aus Zuckerguss drauf.
       
       Das Herz hat leider einfach kein Hirn: Es versteht den Befehl
       „Stehenbleiben oder ich schieße!“ nicht, sondern bleibt erst stehen, wenn
       geschossen wurde. Und seine Deckungsarbeit ist so was von miserabel: Es
       treibt sich immer genau dort herum, wohin geschossen wird. Und überhaupt:
       Nur niederfrequente Idioten heißen mit Vornamen Heinrich und studieren
       Physik, wobei sie elektromagnetischen Wellen ausgesetzt sind und sich so
       ein t zu viel einfangen.
       
       Apropos Hertz – das Herz ist ein Heuchler: Erst sollen wir bei ihm Autos
       mieten, und dann jammert es über den Verkehrsinfarkt. Und zur Blenderei
       kommt dann noch der Geiz. Unter der Parole „Ein Herz für Kinder“ stellt es
       sich als Nachwuchsfreund dar – dabei bekommen unsere Racker gar kein neues,
       sie müssen das alte ihr Leben lang auftragen.
       
       Würde das Herz vor Gericht stehen, müsste es deshalb lebenslänglich
       bekommen! Auch wenn es einem im Herzen weh tut um eine frühere Liebe. Keine
       Gnade für die olle Pumpe! Oliver Domzalski
       
       4 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Gieseking
   DIR Oliver Domzalski
       
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