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       # taz.de -- US-Garagepunk Ty Segall: Her mit den neuen Knochen!
       
       > Enormer Output, rockt wie Sau: Der junge kalifornische Haudrauf Ty Segall
       > kommt mit neuem Album und sehr motivierter Krachmacher-Band nach Berlin.
       
   IMG Bild: Garagenpunk Ty Segall hat gut Lachen
       
       Jemanden wie Ty Segall zum Freund zu haben, ist eine gute Sache. Denn er
       sagt einem die Meinung, auch wenn sie unbequem ist. Im Song „Talkin'“ etwa,
       wenn er schlussfolgert, dass man mit dem ganzen Gemecker über andere Leute
       in Wahrheit sich selbst meint.
       
       Seine Liebste will er nicht mit Kosenamen betören, sondern einfach nur die
       Wärme ihrer Haut spüren („Orange Colour Queen“), irgendwelchen Chefs macht
       er klare Ansagen und konstatiert, keine Angst davor zu haben. Wer kann das
       heutzutage noch von sich behaupten? („Warm Hands“).
       
       Segall verhehlt aber keineswegs, dass das Spuren bei ihm hinterlässt: „I
       need replacements for my bones“. Humor ist sowieso seine Sache: In „Take
       Care (To Comb Your Hair)“ verweist er auf die Wichtigkeit hingebungsvoller
       Haarpflege zum Erhalt der Lockenpracht.
       
       ## Speedige Pausbacke
       
       Die 30-jährige Pausbacke aus Laguna Beach hat die kalifornische Sonne aber
       nicht nur im Herzen, sondern reflektiert sie auch in seiner speedigen
       Musik. Auf seinem ungefähr (bei dem enormen Output in allen vorstellbaren
       Formaten ist es schwer, die Übersicht zu behalten) neunten Studioalbum, das
       er zum zweiten Mal nach seinem Debütalbum 2008 schlicht „Ty Segall“
       betitelt hat, rockt er jedenfalls wie Sau.
       
       Der Multiinstrumentalist und Gniedelnerd Segall bedient sich gekonnt am
       Giftschrank der Popgeschichte, neue Zutaten fügt er nur in kleinen Dosen
       hinzu – der Teufel steckt wie immer im liebevollen Detail. „Break A Guitar“
       ist aufgeputschter Garagenpunk, die Gitarren sind verzerrt, Segalls lichte
       Stimme dringt aus einer vermoosten Felsspalte ins offene Feld,
       Sonnenstrahlen fräsen sich durch eine dichte Verstärkernebelwand.
       
       Das wütende Bollerschlagzeug von „Freedom“ korrespondiert mit dem zackigen
       Gesang, im psychedelisch angehauchten Bluesschunkler „Talkin‘“ vertauscht
       er die Angry-Young-Man-Attitüde mit ironischer Unnachgiebigkeit. Der
       Garagenrock von „The Only One“ kommt aus dem Auspuff einer Planierwalze,
       mit der Segall unnachgiebig den widerspenstigen Erdboden plattwalzt, immer
       angefeuert von Alice Cooper auf dem Beifahrersitz.
       
       John Lennon macht in „Warm Hands“ eine Stippvisite, die furchteinflößenden
       Glamrock-Breaks und Gniedelgitarren sind metalgeschult, werden von
       größenwahnsinnigen chromatischen Tonfolgen flankiert, und mit einem
       geradezu kontemplativen Postrock-Zwischenteil demonstriert die Band –
       bestehend aus Emmett Kelly an der Rhythmusgitarre, dem Bassisten Mikal
       Cronin, Drummer Charles Moothart und Ben Boye an diversen
       Tasteninstrumenten – nicht nur enorme Spielfreude, sondern auch
       beeindruckende Tightness.
       
       ## Wie einst Sigue Sigue Sputnick
       
       Marc Bolan wünscht dagegen bei „Thank you Mr. K“ einen guten Tag und das
       Gitarrenriff dieses Speed-Glamrock-Stücks hätten die Haarsprayverschwender
       von Sigue Sigue Sputnik auch nicht bumpernder hinbekommen, völlig
       durchgeknallte Piano-Akkorde stiften angenehme Verwirrung.
       
       Die versöhnliche Glamrock-Seite kehrt Segall bei „Orange Colour Queen“,
       „Papers“ und „Take Care“ heraus, wenn er melodisch und verspielt in
       geradezu poppiger Manier David Bowie seine Aufwartung macht. Nach dem
       Hörgenuss der letzten drei Songs ist der Puls zwar wieder einigermaßen
       normal, was bleibt, ist das Bedürfnis, sich mit einem Freund wie Ty Segall
       auszutauschen. Das sollte ja aber kein Problem sein, kündigt er in „Break A
       Guitar“ doch an: „I’ll be at the bar.“
       
       24 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sylvia Prahl
       
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