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       # taz.de -- Nationalfeiertag der Vietnamesen: Zweifel werden lauter
       
       > In diesem Jahr verzichtet die Botschaft auf einen Empfang zum
       > Nationalfeiertag am 2. September. Die Entführung von Trinh Xuan Thanh
       > sorgt für Misstrauen.
       
   IMG Bild: Zeichen der Macht: Wappen an der vietnamesischen Botschaft
       
       Duc D. steht in seinem Imbiss in Lichtenberg und wartet auf Kundschaft.
       „Ich freue mich, dass die Polizei einen Spion festgenommen hat, der an der
       Entführung von Trinh Xuan Thanh beteiligt gewesen sein soll“, sagt er der
       taz und füllt Bambussprossen in den Wok. „Der vietnamesische Geheimdienst
       hat in Deutschland nichts zu suchen. Die müssen alle weg. Sie schaden uns
       einfachen Vietnamesen nur hier in Berlin.“ Der Imbissbetreiber ist Mitte 50
       und eigentlich kein Mann für harte politische Statements. Die Arbeit am Wok
       lastet ihn aus. Seine wenige Freizeit verbringt er vor dem Fernseher, mit
       der Familie und in einem vietnamesischen Verein. Doch die Entführung des
       Hanoier Expolitikers Trinh Xuan Thanh in Berlin hat seinen Horizont aus dem
       Gleichgewicht gebracht. Genauer gesagt: eher die Diskussionen danach.
       
       Noch vor drei Wochen war der Mann, der 1988 als Vertragsarbeiter in die DDR
       kam, sich gar nicht sicher, ob der vietnamesische Geheimdienst nicht
       vielleicht doch ein recht hätte, einen Mann aus Deutschland zu entführen,
       der sich in Vietnam strafbar gemacht haben soll. Dem Entführten war
       immerhin ein Wirtschaftsdelikt im dreistelligen Millionenbereich
       vorgeworfen worden. Duc D. hatte Anfang August der taz gesagt: „Vietnam
       muss gegen Korruption vorgehen. Was soll Vietnam tun, wenn Deutschland den
       Mann nicht ausliefert?“
       
       Doch es hat sich einiges geändert seitdem. Ein Tatverdächtiger sitzt in
       Haft: Ein vietnamesischer Migrant, der in Tschechien lebte und für den
       Geheimdienst die Drecksarbeit gemacht hat. Anders als die Schlapphüte aus
       Hanoi hat er weder diplomatische Immunität, noch konnte er sich nach
       Vietnam absetzen. Er unterliegt der deutschen Gerichtsbarkeit. Und ein
       Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der in sozialen
       Netzwerken eifrig Propaganda für Vietnam gemacht und
       Menschenrechtsverletzungen dort gerechtfertigt hatte, wurde von seinem
       Arbeitgeber gekündigt.
       
       Und: Die vietnamesische Botschaft zieht sich aus der Migrantencommunity
       zurück. Am heutigen Samstag, dem 2. September, ist in Vietnam
       Nationalfeiertag. Neben Bundesprominenz werden sonst dazu verdienstvolle
       Migranten zur Feier in die Botschaft eingeladen. In diesem Jahr wird nicht
       gefeiert. Hat die Botschaft zu viel mit sich zu tun?
       
       ## Unangenehme Bilder
       
       Seit mehr als zehn Jahren spinnt die vietnamesische Botschaft ein feines
       Netzwerk, um die Migranten an sich zu binden und sie geheimdienstlich
       abzuschöpfen. Zuvor waren es eher unangenehme Bilder, die aus den
       Migrantengruppen nach Hanoi gesendet wurden: Bootsflüchtlinge
       demonstrierten in Berlin gegen die Politik in Vietnam. Das sollte sich
       ändern. Größten Anteil an diesem Netzwerk haben landsmannschaftliche
       Vereine, bei deren Gründung die Botschaft Geburtshilfe geleistet hat. Es
       gibt etwa die Vereinigung der Vietnamesen aus der Provinz Haiphong, die
       Vereinigung der Vietnamesen aus der Provinz Ha Tinh und so fort.
       
       Diese Landsmannschaften pflegen ein reges Vereinsleben mit Kontakten in
       ihre Heimatprovinz. Kommt ein Politiker oder Wirtschaftsvertreter nach
       Berlin, gibt es ein Treffen mit seiner Landsmannschaft in einem Restaurant
       im Dong-Xuan-Center in Lichtenberg, Berlins größtem Asiamarkt. Man isst
       gemeinsam. Es werden Reden gehalten über den Zusammenhalt zwischen „Heimat“
       und „Viet Kieu Yeu Nuoc“ – ein offizieller Titel für regimetreue
       Auslandsvietnamesen (wörtlich übersetzt: Auslandsvietnamesen, die die
       Heimat lieben). Und natürlich werden Spenden für Vietnam eingetrieben,
       Migranten zu Investitionen in Vietnam gedrängt. Viet Kieu Yeu Nuoc
       erhalten auch gern Importgenehmigungen.
       
       Seit drei Wochen aber gab es keine solche Treffen mehr, erzählt ein
       vietnamesischer Dolmetscher der taz. „Es ist ungewohnt ruhig.“
       
       ## Unterwegs im sozialen Netzwerk
       
       Natürlich müssen sich diese Viet Kieu Yeu Nuoc erkenntlich zeigen. So hat
       der Dolmetscher Dung (Name geändert) in den letzten Jahren eine erhebliche
       Aktivität von Viet Kieu Yeu Nuoc in sozialen Netzwerken beobachtet.
       „Darunter sind alleinerziehende Nageldesignerinnen aus Lichtenberg. Ich
       würde denken, so eine Frau sollte eigentlich keine Zeit haben, den ganzen
       Tag am Netz zu sitzen. Aber vielleicht wird sie ja dafür bezahlt, genau wie
       Blogger in China“, mutmaßt er.
       
       Mehrere dieser Frauen, hat Dung beobachtet, würden scharf gegen jede noch
       so kleine regierungskritische Äußerung im Netz schießen. „Eine der Frauen
       hat sogar etwas von einer angeblichen Demonstration patriotischer
       Vietnamesen vergangenen Montag in Berlin gepostet. Sie illustrierte die
       Meldung mit Bildern, die mehr als zwei Jahre alt sind.“ Ein Polizeisprecher
       bestätigt der taz den Verdacht von Dung: Diese Demonstration hat nicht
       stattgefunden.
       
       Doch, so Dung, seit drei Wochen hätten diese Propagandistinnen nicht mehr
       so leichtes Spiel. „Ich wundere mich, wie laut und fantasievoll Menschen
       jetzt die Hanoier Regierung kritisieren, die sich früher eher unpolitisch
       gegeben haben.“ Leute wie der Imbissbetreiber Duc D. aus Lichtenberg. Und
       Dung fragt sich: „Erleben wir da gerade die Befreiung der Berliner
       Vietnamesen aus den fein gesponnenen Netzwerken Hanois?“
       
       2 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marina Mai
       
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