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       # taz.de -- Kolumne Helden der Bewegung: Ein löslicher Fisch
       
       > Das Spiel von Steven Skrzybski von Union Berlin ist moderne Romantik. Er
       > ist kein Spieler, der einer Situation seinen Stempel aufdrückt. Er geht
       > in ihr auf.
       
   IMG Bild: Steven Skrzybski (Mitte) bei seiner Lieblingsbeschäftigung
       
       Ein Gewaltschuss. Es war ein Gewaltschuss, der einem größeren Teil der
       deutschen Fußballöffentlichkeit die Frage näher brachte, wie man diesen
       Namen wohl auszusprechen hat: Steven Skrzybski. Es war gegen Dortmund, 2.
       Runde DFB-Pokal, Oktober 2016, 81. Minute: Eckball Union, Kopfballabwehr
       Weigl, und dann drischt Steven Skrzybski den Ball aus 25 Metern oder was
       volley mit dem Außenrist ins lange Eck. Es war seine erste Ballberührung im
       Spiel.
       
       Das war das eine. Und dann war da das andere, ein paar Minuten später.
       Erste Hälfte der Verlängerung, Redondo löffelt den Ball nach vorne,
       Weidenfeller sprintet in seiner magisch-unbeholfenen Art aus dem Strafraum,
       aber Steven Skrzybski ist schneller und gewiefter; er hält die Fußspitze
       dazwischen und dann – hat er Zeit.
       
       Einen Ozean aus Zeit. Und Platz. Und ein leeres Tor vor sich, zwei
       Verteidiger auf der Linie. Und einen Mitspieler neben sich. Es sind viele
       Entscheidungen zu treffen in dieser Situation, und mit so was kommt Steven
       Skrzybski nicht gut zurecht. Als er den Ball querlegt, ist es zu spät, zu
       lasch, zu unentschlossen; Zejnullahu steht schon zwei Schritte weiter
       vorne. Vertändelt, verbaselt, verhuscht. Es hätte der Siegtreffer sein
       müssen.
       
       Steven Skrzybski ist schon lange bei Union, er ist in Berlin geboren und
       kam 2000 an die Alte Försterei. Er stammt aus Kaulsdorf, wo Berlin so
       aussieht, als hätte es nichts Eigenartiges. Da haben seine Eltern eine
       Bäckerei, ein Familienbetrieb. Er hat sich lange Zeit nicht durchsetzen
       können in der ersten Mannschaft, ist oft hin und her gependelt zwischen U23
       und den Profis; erst letztes Jahr hat er sich endgültig festgebissen.
       
       ## Wie bei normalen Leuten
       
       Es ist dies so eine Art Geschichte, die man gerne hört als Fan; das sind
       Biografien mit Identifikationspotenzial. In seinem Wohnzimmer hängt ein
       Fernseher, mehr nicht. Ganz wie bei normalen Leuten.
       
       Steven Skrzybski oszilliert zwischen Brillanz und Alltag. Er hat nicht
       viele Tore gemacht, 15 Stück bis vor Beginn dieser Saison, acht davon
       letztes Jahr. Viele seiner Tore sind von außerordentlicher Schönheit, und
       sie ähneln sich nicht sonderlich. Es gibt keinen signature move, es ist
       eher so, als würde Steven Skrzybski im Moment mitschwimmen; als hätte er
       ein Verständnis dafür, was der Ball in diesem konkreten Moment verlangt,
       und die Möglichkeit, es ihm zu geben. Steven Skrzybski ist kein Spieler,
       der – wie man so sagt – einer Situation seinen Stempel aufdrückt; er geht
       in ihr auf.
       
       Die Saison begann gut für Union, und für Steven Skrzybski auch. Zwei Tore
       hat er gemacht in diesem bekloppten Pogospiel gegen Holstein Kiel, beide
       zauberschön, das letzte der Siegtreffer. Wenn Steven Skrzybski etwas
       gelingt am Ball, bekommt es eine Selbstverständlichkeit, als wäre es anders
       gar nicht denkbar gewesen, als hätte es gar keine Alternative gegeben.
       
       Es ist oft Koketterie, wenn Fußballprofis von ihrer Kindheit auf dem
       Bolzplatz erzählen. Steven Skrzybski sagte einmal, er vermisse diese Zeit,
       weil damals niemand darüber nachgedacht habe, vor wie viel Zuschauern er
       spiele und wie viel Geld er verdienen könne. Es sei einfach nur Spaß
       gewesen; nichts, worüber man sich einen Kopf zu machen brauche.
       
       Es liegt eine Unschuld in dieser Aussage, die gut mit Steven Skrzybskis Art
       zu spielen korrespondiert; er performt nicht, er versinkt darin. Sein Spiel
       ist ein löslicher Fisch, der von keiner äußeren Betrachtung, keiner
       Infragestellung und keiner wertenden Instanz unterbrochen werden darf, weil
       es dann seine Selbstverständlichkeit verliert; eine Art von football
       automatique; tatsächlich vielleicht eine moderne Form der Romantik.
       
       27 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frederic Valin
       
       ## TAGS
       
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