# taz.de -- Kinokrimi „The Limehouse Golem“: Serienmord im Kleinkunstkosmos
> Im Theatermilieu des viktorianischen London geht ein Mörder um. „The
> Limehouse Golem“ ist camp und blutig. Karl Marx schaut auch vorbei.
IMG Bild: Hat ein reales Vorbild: Travestiekomödiant Dan Leno (Douglas Booth) performt auf Londons Bühnen
Ein Mann, der auf der Bühne in Frauenkleidern das Publikum begeistert. Eine
Frau, die ebendort ihren Durchbruch in einem zu kurzen Matrosenkostüm hat.
Ein Kommissar, der mit einem scheinbar unlösbaren Fall betraut wird, weil
er undercover schwul ist und sein Vorgesetzter ihn auf diesem Wege
kaltzustellen hofft. Das alles im viktorianischen London des ausgehenden
19. Jahrhunderts.
Man bewegt sich im Theatermilieu der englischen Hauptstadt. Nicht auf den
großen Bühnen, sondern den kleinen, etwas schmuddeligen. Die Music Halls im
Limehouse-Bezirk waren eine Mischung aus Varieté und Zirkus, man sang,
verbog sich akrobatisch; das Publikum durfte speisen und ausgiebig
trinken.
In diesen Kleinkunstkosmos platzt ein Mord nach dem Geschmack von Jack the
Ripper. Der Täter verstümmelt seine Opfer auf furchtbare Weise, hinterlässt
Botschaften, die auf ein gebildetes Ungeheuer schließen lassen. Der
zwangsweise ermittelnde Kommissar John Kildare (würdevoll frustriert: Bill
Nighy) stößt bei seinen Nachforschungen bald auf die Besucher des Lesesaals
einer Bibliothek, darunter den aufstrebenden Dramatiker John Cree (hitzig:
Sam Reid), der jedoch vor Kurzem selbst ermordet wurde – und keinen
Geringeren als den deutschen Journalisten Karl Marx (kauzig: Henry
Goodman).
## Liebevoll plüschige Patina-Ästhetik
Der US-amerikanische Regisseur Juan Carlos Medina hat sich für „The
Limehouse Golem“ den Roman „Dan Leno and the Limehouse Golem“ des
britischen Schriftstellers Peter Ackroyd zur Vorlage genommen. Dessen
Geschichte um den realen Travestiekomödianten Dan Leno (expressiv androgyn:
Douglas Booth) nutzt Medina für eine liebevoll plüschige Patina-Ästhetik,
in der alle camp wirken. Er will dabei nicht mit Unerwartetem schockieren,
sondern lässt besonders den Kulissen viel Raum, sich zu entfalten. Das
Geschehen ordnet sich dem artig unter.
Wie Medina Kildares Detektivarbeit aufbaut, wie er die Rückblenden einbaut,
das hat fast etwas Behagliches. Man soll die Bilder wohl auskosten wie
einen gut gelagerten Wein; selbst die zum Teil sehr expliziten blutigen
Details erscheinen eher nur wie eine pikante Gewürznote im Gesamtbouquet,
das von selbstbewusst-pathetischer Orchestermusik ironisch grundiert wird.
Mit Lizzie (patent-heroisch: Olivia Cooke), der Witwe des verstorbenen
mordverdächtigen John Cree, ist eine schicksalhafte Frauenfigur im Spiel,
die der Erzählung sozialkritische Töne gibt: Lizzie wuchs in ärmlichen
Verhältnissen auf, wurde als Kind von Geschäftspartnern ihrer Mutter
missbraucht, von dieser zum Dank dafür hart bestraft – und hat seither
wenig Interesse an zärtlichem Austausch mit dem anderen Geschlecht.
## Rührende Dramatik
Sie spielt im selben Theater wie Dan Leno, trägt gern Männerkleidung, als
Spiegelung seiner Kostüme. Ihrem Mann war sie mehr strategisch denn
leidenschaftlich verbunden. Da sie dringend verdächtig ist, ihn vergiftet
zu haben, droht ihr der Tod durch den Strang.
Wie Kildare seine Ermittlungen auf sie konzentriert (weil er überzeugt ist,
dass sie unschuldig ist, aber den Schlüssel zur Auflösung seines Falls
bereithält) hat dank des Zusammenspiels der beiden etwas rührend
Dramatisches. Die Schlusswendung kommt dann allerdings nicht als der
Paukenschlag, der sie hätte sein können.
Überhaupt gibt es ein paar Details zu viel, denen sich Medina verpflichtet
fühlt, ohne sie recht nutzen zu können. Die Genderauflösungen, mit denen
sein Setting spielt, geraten bei ihm zu einem Element der Ausstattung. Auch
Marx bleibt bloße Randfigur. Man fragt sich am Ende: Wozu das alles?
Reizvoll ist die überdrehte Nummer gleichwohl.
31 Aug 2017
## AUTOREN
DIR Tim Caspar Boehme
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