URI: 
       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Ein Auto ist kein Atomkraftwerk
       
       > Es geht um schlechte Luft, um „Umwelt“, das sind grüne Kernthemen. Aber
       > warum profitieren die Grünen nicht vom Dieselskandal?
       
   IMG Bild: Hat man selten bei sich zu Hause rumstehen: ein AKW
       
       Was ist der Unterschied zwischen einem Auto und einem Atomkraftwerk? Ein,
       zwei Autos hat fast jede Familie zuhause rumstehen. Ein Atomkraftwerk aber
       nicht mal Christian Lindner. Das ist die einfachste Antwort, auf die Frage,
       warum die Grünen „nicht vom Diesel-Skandal profitieren“, wo es doch auch um
       „Umwelt“ gehe.
       
       Wer beim Kauf vom Konzern betrogen wurde, der muss entschädigt werden, das
       versteht sich. Aber das fordert auch FDP-Chef Lindner.
       
       Die Grünen aber wollen nicht nur den Betrogenen helfen, sondern auch den
       Unternehmen bei der Modernisierung und den Leuten ihre Arbeit, den
       Wohlstand und damit letztlich auch die emanzipatorischen Errungenschaften
       dieser Gesellschaft retten.
       
       Das sei einfach zu viel, sagte mir dieser Tage eine Wahlkämpferin,
       versonnen ihren Salat sortierend.
       
       Tja. Kleiner hat es die Gegenwart nicht. Differenzierung ist der heiße
       Scheiß. Kann aber in einem Wahlkampf nicht als heiß gefühlt werden.
       Zumindest gelingt das den Grünen derzeit nicht.
       
       Die kurze und heftige Empörung der Mediengesellschaft über das von vier
       Fernsehsendern veranstaltete regierungsinterne „Duell“ zwischen Kanzlerin
       und Vizekanzlerkandidat ist deshalb so interessant, weil sie zwar das
       politische Vakuum fühlt, aber nicht beschreiben kann.
       
       Danach wurde gemault, die journalistischen TV-Kollegen seien für die AfD
       unterwegs gewesen, und Merkel und Schulz seien in der Geflüchtetenpolitik
       auch „rechts“. Aber das ist zu kurz gedacht. Einwanderung, Integration und
       die kommende Völkerwanderung der Opfer von fossilem Wohlstand dürfen
       genauso wenig verdrängt werden wie der Klimawandel, die digitale Bedrohung,
       die Automatisierung.
       
       Es geht darum, Einwanderung und Integration europäisch zu diskutieren und
       so sachlich-differenziert, realistisch und humanistisch, wie Boris Palmer
       das in seinem Bestseller tut. Stattdessen würden die Grünen am liebsten so
       tun, als existiere Palmers Buch nicht oder sei gar das Problem.
       
       ## Die guten, alten Konflikte
       
       Hier markiert sich die entscheidende Veränderung der gesellschaftlichen und
       politischen Lage. Der „unpolitische Geist“ dieses Sommers, den
       Schleswig-Holsteins Vizeministerpräsident Robert Habeck spürt, liegt nicht
       nur daran, dass viele Deutsche mittlerweile so gut und gerne chillen.
       
       Es liegt auch daran, dass die guten, alten Konflikte für weiteren
       Fortschritt der liberalen Mehrheitsgesellschaft weitgehend ausgereizt sind
       – spätestens mit Merkels Ehe für alle.
       
       Die neue gesellschaftliche Bewegung in Europa, die eine „andere
       Gesellschaft“ will, will nicht Klassenkampf und Emanzipation, sondern
       unsere emanzipatorischen Errungenschaften rückbauen.
       
       Sie will Liberalität durch Illiberalität ersetzen.
       
       An die neuen Konfliktlinien der Realität und ihr Management im Dialog
       trauen sich die Grünen nicht richtig ran. Auch, weil sie teilweise selbst
       emotional und kulturell noch im alten Paradigma festhängen – und große
       Teile der Gesellschaft eben auch. So wird es sich eben zunächst relativ
       ähnlich anhören, was Frau Merkel, Herr Schulz und Herr Kretschmann zum
       Bürgerbetrug durch die Autokonzerne sagen. Und Herr Lindner wird womöglich
       sogar als radikaler erscheinen.
       
       Die entscheidende Frage ist, wer glaubhaft machen kann, dass andere
       Mobilität und die sozialökologische Moderne als Ganzes tatsächlich eine
       fundamentale und trotzdem mehrheitsfähige Alternative zum fossilen
       Sozialdemokratismus ist – die Kriege verhindert, Heimaten bewahrt und
       unsere Emanzipation und Freiheit verteidigt.
       
       9 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Christian Lindner
   DIR AKW
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR CO2
   DIR Wie weiter, Germans?
   DIR Dieselskandal
   DIR Jamaika-Koalition
   DIR Schwerpunkt taz.meinland
   DIR Deutschland
   DIR Christian Lindner
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kolumne Wir retten die Welt: Mit dem Diesel nach Canossa
       
       „Dieser Umweltredakteur ist eine Umweltsau“ wird die „Bild“ schreiben. Aber
       er bettelt nicht um Verständnis – die Umweltbilanz ist nicht so schlecht.
       
   DIR Serie: Wie weiter, Germans? (7): Jetzt oder nie mehr
       
       Was tun, wenn man nur eine Partei wählen will, die den Mut zum Regieren
       hat? Mein Freund hat Angela Merkel gewählt.
       
   DIR Kolumne Liebeserklärung: Die IAA ist einfach klasse
       
       Immerhin Europas größte Autoschau tut was gegen das dieselfeindliche Klima
       im Land. Die modernsten Autos sind konsequenterweise nicht zu finden.
       
   DIR Grüne vor der Bundestagswahl: Auf Distanz zu Jamaika
       
       Eineinhalb Wochen vor der Wahl: Die Grünen-Spitze signalisiert, dass sie
       die Bündnisoption mit Union und FDP für problematisch hält.
       
   DIR Grünen-Wahlkampf in Schleswig-Holstein: Die falschen Kandidaten
       
       In der Kleinstadt Plön herrscht Frust über die politische Gesamtsituation.
       Die Grünen finden Anklang, aber sie bieten nicht das richtige Personal.
       
   DIR Kolumne Die eine Frage: Ist Deutschland super?
       
       Joschka Fischer sagt, Deutschland habe sich wunderbar entwickelt. Er sei
       „Deutscher. Durch und durch“. Das ist eine sehr gute Nachricht.
       
   DIR Kolumne Die eine Frage: Wen kann ICH noch wählen?
       
       Die einen tendieren zu „Frau Merkel“, die zweiten zu Lindner von der FDP
       und die dritten zu sich selbst. Eine aktuelle Wähleranalyse.